„Ein Armutszeugnis für den Bildungsauftrag“

Foto: © Linn Selle, Junge Europäische Föderalisten Deutschland e.V.

Eine junge Europäerin und ihre gescheiterte Petition gegen die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF

Foto: © Linn Selle, Junge Europäische Föderalisten Deutschland e.V.
Linn Selle als Europaretter auf einer Aktion der Jungen Europäischen Föderalisten am 9. März in Berlin. Foto: © Linn Selle, Junge Europäische Föderalisten Deutschland e.V.

Es ist eine Petition der ungewöhnlichen Art, die Linn Selle gestartet hat: Die Politikwissenschaftlerin, die auch im Bundesvorstand der Jungen Europäischen Föderalisten sitzt, hat von den beiden öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern ARD und ZDF gefordert, die TV-Debatte zur Europawahl im Hauptprogramm anstatt im Spartensender Phoenix zu zeigen. Mehr als 27.000 Unterschriften hat die Petition erreicht – die Sender zeigten sich dennoch kompromisslos.

Linn, du hast eine ungewöhnliche Petition gestartet, die sich an die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ARD und ZDF richtet. Wie kam es dazu?

Wir als Junge Europäische Föderalisten hatten schon Anfang April einen offenen Brief an ARD und ZDF geschrieben, nachdem wir erfahren haben, dass die beiden öffentlich-rechtlichen Sender die TV-Debatte zur Europawahl am 15. Mai nicht in ihrem Hauptprogramm zeigen wollen, sondern lediglich im Spartensender Phoenix unterbringen. Die Antworten der Sender auf den Brief waren sehr enttäuschend. Der Tenor war: „Wir tun ja schon so viel.“ Die Idee, eine Petition zu starten kam schließlich mit der Organisation iChange Europe zustande und wurde gleich von der Petitionsseite change.org unterstützt.

Warum war es euch so wichtig, dass die TV-Debatte im Hauptprogramm gezeigt wird?

Bei der Fernsehdebatte am 15. Mai handelte es sich um die eigentlich zentrale Debatte im Europa-Wahlkampf. ARD und ZDF haben zwar jeweils eigene Debatten zur Europawahl gesendet, und das finden wir auch gut. Bei diesen handelte es sich aber um nationale Produktionen, die Perspektive war immer sehr deutsch. Die TV-Debatte vom 15. Mai war da anders, weil sie als einzige aus einer wirklich europäischen Perspektive berichtet hat.

Wir finden es auch nicht ausreichend, dass die Debatte auf Phoenix ausgestrahlt wurde. Phoenix ist ein Spartensender mit 1,1 Prozent Marktanteil. Das ist kein Sender, bei dem man beim Durchschalten mal so hängen bleibt. Die Europa-Debatte haben entsprechend nur Leute gesehen, die sich sowieso schon für die Europawahl interessieren.

Dass ARD und ZDF nicht mutig genug waren, die Debatte in ihr Hauptprogramm aufzunehmen, finde ich wahnsinnig enttäuschend. Unsere Gesellschaften werden immer europäischer, aber ausgerechnet die öffentlich-rechtlichen Sender machen nicht mit. Ich finde, das ist ein Armutszeugnis für den Bildungsauftrag von ARD und ZDF, zumal das ZDF am 15. Mai stattdessen eine deutsche Spielfilmproduktion gezeigt hat – als Wiederholung.

Foto: © Linn Selle, Junge Europäische Föderalisten Deutschland e.V.
Linn Selle hat von den beiden öffentlich-rechtlichen TV-Sendern ARD und ZDF gefordert, die Debatte zur Europawahl im Hauptprogramm zu zeigen. Foto: © Linn Selle, Junge Europäische Föderalisten Deutschland e.V.

Wie sieht es mit der Übertragung denn in anderen EU-Mitgliedsländern aus?

Leider nicht viel besser. In Frankreich wurde die Debatte zum Beispiel gar nicht im Fernsehen ausgestrahlt. Wie in einigen anderen Ländern gab es deshalb dort auch eine Petition. Im französischen Fall hat sie ziemlich hohe Wellen geschlagen, weil sich viele französische Kandidaten für das Europaparlament als Petitionsunterstützer eingeschaltet haben.

Wie sieht es denn mit der politischen Unterstützung eurer Petition aus?

Dafür, dass wir eine relativ kleine Organisation sind, ist die Resonanz wirklich super, und das parteienübergreifend. Unter den mehr als 27.000 Unterzeichnern befinden sich auch einige namhafte Politiker, zum Beispiel Christian Lindner (FDP), Ska Keller (Grüne) oder Staatsminister im Auswärtigen Amt Michael Roth (SPD). Zudem hat die Partei Die Linke die Petition unterstützt. Der Erfolg der Kampagne ist gerade auch darauf zurückzuführen, dass wir mit so starken Partnern zusammenarbeiten. Wie bei anderen Projekten auch, kooperieren wir auch hier mit den Jugendorganisationen einiger Parteien.

Ihr hattet die Gelegenheit, mit dem ZDF-Chefredakteur Peter Frey zu sprechen. Wie ist das Gespräch verlaufen?

Total enttäuschend. Wir hatten gehofft, zumindest einen Kompromiss zu erzielen, der zum Beispiel in einem ZDF-Spezial hätte bestehen können. Das ZDF argumentiert, dass Sendungen, in denen gedolmetscht werden muss, schlechte Quoten haben. Angeblich schalten da alle weg. Für uns ist das eine klassische Henne-Ei-Frage: Woher weiß das ZDF, dass die Zuschauer nicht schon europäisch genug denken, wenn sie es nicht einfach ausprobieren?

Das Interview führte Isabelle Daniel

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
Mai 2014

    Einschaltquote der Debatte zur Europawahl

    Die Debatte zur Europawahl am 15. Mai strahlte schließlich der öffentlich-rechtliche Spartensender Phoenix aus. Im Schnitt schalteten ab 21 Uhr nur 160.000 Zuschauer ein, die einem Marktanteil von 0,5 Prozent entsprachen. Zum Vergleich: Das zeitgleiche torlose Fußballspiel um die Relegation zur Ersten Fußball-Bundesliga zwischen dem Hamburger SV und Greuther Fürth in der ARD (Das Erste) sahen 8,47 Millionen Zuschauer (Marktanteil 27,7 Prozent). Das ZDF-Familiendrama Das Beste kommt erst lockte vier Millionen (12,9 Prozent) vor die Mattscheibe. Quelle: dwdl.de und ka-news.de

    Themen auf jádu

    Gemischtes Doppel | V4

    Vier Kolumnisten aus der Slowakei, Tschechien, Polen und Ungarn schreiben über die Bedeutung Europas, Rechtspopulismus, nationale Souveränität, gesellschaftlichen Wandel, die Arroganz des westlichen Blicks – und brechen damit staatliche und gedankliche Grenzen auf. Mehr...

    Heute ist Morgen
    Oder ist es umgekehrt?! Und war nicht auch gestern schon mal Morgen? In was für einer Welt wollen wir gerne leben? Und wie lange wollen wir warten, bis sie Wirklichkeit wird? Mehr...

    Im Auge des Betrachters
    … liegt die Schönheit. Da liegt aber auch die Hässlichkeit – und alles dazwischen. Als Betrachter sind wir jedoch nur selten allein. Und als Betrachtete sowieso nicht. Mehr...

    Dazugehören
    Seit gesellschaftliche Akteure jeder Couleur ihre Forderung nach Integration einem Mantra gleich herunterbeten, gerät viel zu oft in Vergessenheit, dass Integration ein individueller Prozess ist, der auch von uns selbst etwas verlangt. Mehr...

    Themenarchiv
    Ältere jádu-Schwerpunkte findest du im Themenarchiv. Mehr...