Den jungen Dänen ist Europa egal

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Ausgang der Freistadt Christiania in Kopenhagen, Foto: zoonabar, CC BY 2.0

Es ist ein sonniger Nachmittag in Kopenhagen. Die Cafés in der Freistadt Christiania im Osten der Stadt sind brechend voll; besonders alternative junge Leute zieht es an vielen Wochenenden hierher. Passiert man das Tor, das Kopenhagen von diesem außergewöhnlichen Stadtteil trennt, verlässt man gewissermaßen EU-Territorium. „You’re now leaving the EU“ steht in großen Lettern am Eingang. Und tatsächlich: Man fühlt sich hier weit weg von Brüssel.

„Wann ist die Europawahl nochmal? Irgendwann im Mai?“, fragt Janne Bialik. Wirklich interessiert sei sie nicht an der Brüsseler Politik, sagt die Biologiestudentin. „Aber wählen zu gehen ist das einzige Mitentscheidungsrecht, das wir Bürger noch haben. Also gehe ich natürlich zur Wahl.“

Dänemark gilt innerhalb der EU als besonders großer Außenseiter. Ähnlich wie Großbritannien besteht die dänische Regierung bei gesamteuropäischen Entscheidungen oft auf der so genannten Opt-Out-Option, die Sonderkonditionen für weniger integrationswillige Mitgliedstaaten zulässt.

„Die dänische Jugend ist seit der Eurokrise sehr viel skeptischer gegenüber der EU eingestellt als zuvor. Die dänischen Medien berichten fast ausschließlich negativ über ‚Brüssel‘; es geht vor allem um den potentiellen Ausstieg aus der EU, die aufgezwungenen Sparmaßnahmen, ‚Wohlfahrtstourismus‘, gesellschaftliche Proteste und Krisen, bei denen eine auf die nächste folgt. Gleichzeitig sind dänische Politiker und die Regierung auffällig leise und zurückhaltend gegenüber Fragen, die die EU betreffen. Auf dem Präsentierteller der Dänen landen deshalb fast nur negative Geschichten aus der EU“, erklärt Rebecca Adler-Nissen, Politologin an der Universität Kopenhagen.

Unfähige Politiker gehen nach Brüssel

Für Janne und ihren Freund Søren Folke Larsen ist die fehlende Information über die Europawahl ein Problem. „In Dänemark beginnt der Wahlkampf erst zwei Wochen vor der Wahl – egal ob es um Dänemark oder Europa geht. Auch die Einladungen zur Wahl erhalten wir erst kurz vorher. Ich habe keine Ahnung, wer überhaupt für Dänemark kandidiert“, sagt Janne. Vielen ihrer Freunde geht es ähnlich. „In Dänemark interessieren sich die Älteren für Europa – in dem Sinne, dass sie Angst vor einem Verlust der nationalstaatlichen Souveränität haben. Den Jungen ist Europa schlicht egal.“

Søren, der bei einer großen NGO arbeitet, sieht die Schuld an der Europaverdrossenheit der Dänen auch bei der Regierung. „Es hat sich hier leider eingebürgert, dass unfähige Politiker nach Brüssel abgeschoben werden. Das trägt nicht gerade zu größerem Vertrauen in die Europapolitik bei.“ Er erzählt von „Mr. Fünf-Prozent“, einem einstigen Parteichef, der nach Brüssel musste, nachdem er seine Partei auf ein Stimmenminium reduziert hatte. „Wer auch immer in einen Skandal verwickelt ist, landet in der EU. Deshalb nutzen die Wähler ihre Stimme zur Europawahl eher, um die jeweils aktuelle dänische Regierung abzustrafen.“

„Mehr Dänemark – Weniger EU“: Morten Messerschmidt von der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei, Foto: Elgaard, CC BY-SA 3.0

Die derzeitige dänische Regierung, geführt von der sozialdemokratischen Premierministerin Helle Thorning-Schmidt, sinkt konstant in den Beliebtheitswerten, weil sie einige unbequeme Reformen erlassen hat. „Die meisten Wähler hätten solche Entscheidungen eher von den Konservativen erwartet und fühlen sich nun um ihre Stimme betrogen“, erklärt Janne, die fürchtet, dass die rechten Parteien von der Politikverdrossenheit der Dänen auch im Europaparlament profitieren.

EU-Skepsis ist zum Mainstream geworden

„Mehr Dänemark – Weniger EU“: Damit wirbt zum Beispiel Morten Messerschmidt großformatig in vielen Kopenhagener Metrostationen. Der erst 33-Jährige Europaabgeordnete der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei wird mit großer Wahrscheinlichkeit wiedergewählt. Außerdem macht Messerschmidt Volksmusik. „Seine verschwörerischen Lieder sind total lächerlich, kommen aber gut an“, sagt Søren.

Das wirkt sich sogar auf die Politik der restlichen Parteien aus, wie Politologin Adler-Nissen beobachtet: „In den neunziger Jahren gehörten die dänischen Parteien noch der so genannten ‚Ja‘-Fraktion an, die das Maastricht-Referendum unterstützten. Das ist jedoch nicht länger der Fall. Alle dänischen Parteien sind kritischer gegenüber einer europäischen Integration geworden. Das ist einerseits eine Reaktion auf den großen Erfolg der Dänischen Volkspartei und den Versuch, Morten Messerschmidt zu imitieren, andererseits eine Konsequenz auf die Aufgabe der pro-europäischen Allianz aus Sozialdemokraten, Liberalen und Konservativen in Dänemark, die nicht länger besteht. EU-Skepsis ist zum Mainstream in Dänemark geworden.“

Wahlergebnisse der Europawahl 2014 in Dänemark

Die rechtspopulistische Dänische Volkspartei hat die Europawahlen in Dänemark deutlich gewonnen. Sie holte 26,6 Prozent der Stimmen und besetzt künftig vier Sitze im Europäischen Parlament. Die dänischen Wähler straften die regierenden Sozialdemokraten ab. Nur 19,1 Prozent (drei Mandate) holte die Partei von Premierministerin Helle Thorning-Schmidt. Die dänischen Liberalen errangen zwei Mandate. Je einen Abgeordneten im Europäischen Parlament stellen künftig die Grünen und die Linken.

Die Wahlbeteiligung lag in Dänemark bei 56,4 Prozent, etwas weniger als bei den Europawahlen 2009.

Nachtrag, 27. Mai 2014


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Mai 2014

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