„Es gibt keine Hitler-Obsession“

© 2013 by Bastei Lübbe AG, Cologne, Germany

Der Autor Timur Vermes über seinen Roman „Er ist wieder da“

Foto: © Olivier Favre
Timor Vermes, Foto: © Olivier Favre

Darf man Adolf Hitler fiktional zum Leben erwecken? Der Autor und Journalist Timur Vermes hat es mit seinem Debütroman „Er ist wieder da“ getan. In der Satire lässt er Hitler durch das moderne Berlin wandeln, mit Politikern unserer Zeit sprechen und Gastgeber einer Fernsehsendung sein. Lachen nicht nur über, sondern auch mit Hitler: Das verursacht bei vielen Lesern Unbehagen. Trotzdem hat sich das Buch allein in Deutschland bereits 700.000 Mal verkauft. Im Interview spricht Timur Vermes über den Humor über Hitler – und seine Grenzen.

Ihr Roman „Er ist wieder da“ ist nicht nur ein Bestseller, sondern hat auch eine öffentliche Debatte darüber nach sich gezogen, ob man so ein Buch schreiben darf. Hatten Sie selbst das Gefühl, ein Tabu zu brechen?

Nein, das hatte ich nicht. Ich wusste aber, dass ich relativ dreist an eine Sache herangehe, die nicht jeder machen würde. Also habe ich mich gefragt: Warum eigentlich? Was kann ich falsch machen? Ich könnte Hitler verharmlosen, oder ich könnte ihn übertreiben. Ich habe also versucht, solche Fehler zu vermeiden. Zudem war klar, dass ich mit dem Buch auch manchen Leuten auf den Schlips treten würde. Wenn man so ein Buch schreibt, weiß man, dass man hinterher möglicherweise aufgefordert wird, sich zu rechtfertigen.

Neben dem Tabubruch müssen Sie sich den Vorwurf gefallen lassen, Ihr Buch nach dem Motto „Hitler sells“ geschrieben zu haben.

Da ich ja selbst von der Zeitung komme, konnte ich mir schon ausrechnen, welche Vorwürfe man auspacken könnte, wenn man möchte. Da ist erstens der Tabubruch, zweitens die Verharmlosung und drittens der Vorwurf, man wolle Geld mit Hitler machen. Das sind Standardvorwürfe, entsprechend kann man sich darauf vorbereiten.

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Was antworten Sie denn auf den Vorwurf, Geld mit Hitler zu machen?

Mit: Warum nicht? Erstens ist es ja ein freies Land. Zweitens gibt das Buch auch aber auch etwas zurück, was über den puren Unterhaltungswert hinausgeht. Es zeigt sich an den Leserreaktionen, dass die Leser dieses Buches zwar den Gag mitnehmen, aber eben auch den Grusel. In dem Buch wird ja auch das Verführungspotential durchexerziert. Leser ertappen sich dabei, wie etwas in ihrem Kopf passiert. Es ist ja angenehm, es gibt etwas zu lachen. Mit dem Witz ist man aber oft schon Hitler weiter gefolgt, als man es eigentlich wollte. Das schafft beim Leser einen Erkenntnisgewinn. Bei einem zweiten Buch hätte man dieses Argument natürlich nicht mehr. Da würde es nur noch um den Witz gehen, während man Hitler durch soundsoviele Kapitel begleitet. Der Schrecken über sich selbst bliebe beim Leser aber aus – also mag ich ein zweites Buch auch nicht schreiben. Trotzdem bin ich mir sicher, dass mir in sieben Jahren kein Kritiker zugutehalten wird, dass ich dieses zweite Buch nicht geschrieben habe.

Eine Ihrer Kritikerinnen schrieb, Sie würden mit „Er ist wieder da“ die Hitler-Manie der Deutschen bedienen. Gibt es in Deutschland eine Obsession für Hitler?

Ich finde diesen Vorwurf albern. Diese vermeintliche Obsession wurzelt vor allem in der Art und Weise, wie man heute Geschichte und Geschichten erzählt. Man kann das tun, indem man Fakten herunterbetet. Aber besser lassen sich Geschichten eben an Personen erzählen. Da ist es naheliegend, die Geschichte des „Dritten Reichs“ anhand von Hitler zu erzählen, der nun mal die prominenteste Person in diesem Themenkomplex ist. Das ist einfach das Handwerk des Erzählens. Das als Obsession zu bezeichnen, finde ich merkwürdig.

Hatten Sie beim Schreiben selbst Angst, Hitler zu verharmlosen?

Nein, aber ich habe mir natürlich Gedanken darüber gemacht, worin so eine Verharmlosung bestehen würde und wie man sie vermeidet. Alles, was mit der Ideologie des „Dritten Reichs“ und dem Holocaust in Zusammenhang steht, wird in meinem Buch erwähnt. Hitler äußert sich an diesen Stellen immer ganz klar, mit grausamer Knappheit. Es gibt allerdings eine bestimmte Vorstellung über den Umgang mit diesen Themen, die ich nicht erfülle: Immer wieder wundern sich Menschen, dass mein Hitler zu wenig darüber sagt und dass ich nicht extra dazuschreibe, dass es schlimm ist. Dabei ist diese Erwartung aus meiner Sicht anerzogen. Wir sind so sehr daran gewohnt, die Geschichte ganz deutlich und mit einer deutlichen negativen Wertung serviert zu bekommen, dass manche Leute es vermissen, wenn nicht auch noch dabeisteht, dass es schlimm ist. Das macht mich ganz rasend. Ich hoffe doch, dass die Leute darauf selbst kommen. Diese Aufarbeitung unserer Geschichte ist ja auch sehr von dem Entsetzen geprägt, was Menschen alles machen und zulassen. Dadurch entsteht diese Befürchtung, dass Menschen Grausamkeit nicht bemerken, wenn man sie nicht darauf hinweist.

Der Schauspieler Christoph Maria Herbst hat die Hörbuchversion von „Er ist wieder da“ eingelesen.

Gibt es eine Schmerzgrenze für den Humor über Hitler?

Die erste Grenze ist einfach die Frage: Ist es witzig? Wenn ich feststelle, dass kein Mensch darüber lacht, ist es nicht witzig. Zum anderen sind Grenzen nicht ewig gültig, sondern verschieben sich mit dem zeitlichen Abstand. Dieses Buch hätte man vor 40 Jahren vermutlich nicht schreiben können, zumindest nicht in Deutschland. In den USA ist in den sechziger Jahren die Filmkomödie Frühling für Hitler (engl. Originaltitel: The Producers) erschienen, die in Deutschland, im Gegensatz zu den USA, ziemlich erfolglos geblieben ist. Es gibt neben dem zeitlichen auch einen räumlichen Abstand, den es in Deutschland als dem Land der Täter so nicht gibt.

Das Erschreckende an „Er ist wieder da“ ist ja, dass man sich als Leser dabei erwischt, der Logik „Ihres“ Hitlers folgen zu können. Ging Ihnen das bei der Recherche zu Ihrem Buch auch so – also als Sie zum Beispiel „Mein Kampf“ gelesen haben?

Sicher. Das ist ja das Verblüffende an Mein Kampf – dass es nicht von vorn bis hinten nur aus Unsinn besteht. Er erliegt massiven Trugschlüssen, folgt diesen dazwischen aber immer wieder erstaunlich konsequent. Unbarmherzig, völlig skrupellos, aber eben doch auch logisch. Das macht das Ganze auf eine gewisse Weise faszinierend. Beim Lesen stellt man fest, dass man sich etwas ganz anderes unter Hitler vorgestellt hat, einen blindwütigen, engstirnigen Geiferer. Was man entdeckt ist, dass Hitler zwar Fanatiker war, aber eben nicht doof. Das hat mich überrascht, und ich schließe daraus, dass es im allgemeinen Bewusstsein nur noch eine sehr vereinfachte und verteufelte Version von Hitler gibt, so eine Art Grundschulversion, die aber mit der Gefährlichkeit und den Fähigkeiten eines echten Hitler wenig zu tun hat.

Das Interview führte Isabelle Daniel

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
November 2013

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