Siedlungsbau

Über den Beitrag deutschsprachiger Stadtplaner und Architekten bei der Lösung der
Planungs- und Wohnraumprobleme Ankaras in der Zeit der frühen Republik

Der Hügel Hıdırlık war in vorindustrieller Zeit wegen der dort verlaufenden Handelsstraßen und seiner die Ebene von Engürü kontrollierenden Lage stets ein wichtiges regionales Zentrum. Einsetzend mit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte auch Ankara Anteil an dem Prozess verschämter Modernität, den das Osmanische Reich durchmachte. In diesem Prozess war es aus Ankaraner Sicht ein bedeutender Wendepunkt, dass 1892 die Bahnstrecke Istanbul-Ankara, die erste gebaute Teilstrecke der berühmten Bagdad-Bahn, die Stadt erreichte. Wenn auch wegen der Einsprüche Russlands diese Strecke nicht weiter nach Osten fortgesetzt werden konnte, so führte sie doch zur Belebung von Ankaras Wirtschaft. Noch wichtiger war, dass die Eisenbahnverbindung in Ankara Mustafa Kemal dazu bewegte, als Hauptquartier für den anatolischen Widerstandskampf diesen Ort auszuwählen.

Ankara war nach dem Sieg im Unabhängigkeitskrieg zur Hauptstadt erklärt worden, kurz bevor am 29. Oktober 1923 die Republik ausgerufen wurde und man sich an den Aufbau eines Nationalstaates machte. Dabei handelte es sich um einen überaus radikalen Beschluss. Istanbul, das drei Imperien als Hauptstadt gedient hatte und in dem die Integration des Landes mit dem Westen am weitesten gediehen war, beiseite zu lassen und Ankara als Hauptstadt auszurufen, markierte einen hohen Anspruch. Ankara sollte als Entscheidungszentrum bei der Gründung eines modernen Nationalstaates dienen und zugleich zum Beispiel einer modernen Stadt werden, in dem das moderne Leben so ablief, wie das die junge Republik vorsah. Es sollte zu einem Modell werden, dem die Städte bei ihrem Aufbruch in die Modernisierung folgen sollten.

Die objektiven Bedingungen, die 1923 in der Türkei herrschten, brachten, was die Realisierung eines solch ehrgeizigen Projektes anging, zahlreiche Beschränkungen mit sich. Ein solches Vorhaben erforderte umfangreiche Investitionen. Dabei waren 1923 die Möglichkeiten der Türkei, zu investieren, äußerst begrenzt. Das Land verfügte nicht über die ausgebildeten Kräfte, die notwendig waren, um Wirtschaft und Administration eines modernen Nationalstaats zu gründen und eine moderne Gesellschaft aufzubauen, die durchgängig verwaltet werden konnte. Nun hatte man allerdings seit der Mitte des 19. Jahrhunderts im Osmanischen Reich begonnen, Bauerschließungspläne aufzustellen; und im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts war ein Baugesetz erlassen und so ein Regelwerk für das Bauwesen erstellt worden. Die Praxis der Stadtplanung allerdings ging nicht über das Anliegen hinaus, Vermessungsingenieure Parzellierungen vornehmen zu lassen. Auch wenn sich in der osmanischen Verwaltungspraxis seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Stadtverwaltungen allmählich etabliert hatten, so waren dies doch, was ihre Kompetenzen und finanziellen Quellen anging, schwache Institutionen. Abgesehen von Cemil Bey (Topuzlu), der nach 1912 unter außerordentlichen Bedingungen als Bürgermeister Istanbuls arbeitete, ist es zu keinem Fall glänzender Stadtverwaltung gekommen.

Angesichts solcher Beschränkungen machte sich die Türkei an die Verwirklichung des ehrgeizigen Projektes „Ankara.“ Die Strategie der Türkei zur Verwirklichung dieses Vorhabens hatte erkennbar zwei Standbeine. Das erste waren die praktischen Maßnahmen, die für den systematischen Aufbau der Stadt ergriffen wurden. Als das zweite kann man all das bezeichnen, was getan wurde, um die Kapazität der Türkei für Stadtplanung und Verwaltung in der Zukunft zu erhöhen.

Die Ausrufung Ankaras als Hauptstadt und das daraufhin einsetzende rapide Bevölkerungswachstum führten zu einem äußerst ernsten Wohnungsproblem. In der Frühzeit der Republik war der Mangel an Wohnraum Ankaras dringlichste Sorge. Die Regierungen der Republik unternahmen auf der Suche nach einer Lösung für diese Schwierigkeit im Rahmen ihrer Doppelstrategie verschiedene Experimente, die allerdings von keinem vollen Erfolg gekrönt waren.

Die Türkei hat sich in dieser frühen Zeit der Republik deutschsprachiger Stadtplaner und Architekten sowohl bei der Formulierung der beiden Standbeine ihrer urbanen Strategie bedient als auch bei der Suche nach Abhilfe für den Wohnungsmangel. Während einerseits der Ausbau Ankaras fortschritt, wurde die Stadt andererseits durch die dabei gesammelten Erfahrungen zur Quelle der Inspiration bei der Ausbildung der institutionellen Struktur für die frührepublikanische Stadtverwaltung und -entwicklung. Wir wollen versuchen, diese Geschichte kurz nachzuvollziehen.

Die Republik möchte Ankara als eine geplante Stadt erbauen

Bei dem Vorhaben, aus Ankara eine beispielhafte Stadt zu machen, hatte die Republik zwischen den in jenen Jahren miteinander wetteifernden französischen und deutschen der Stadtplanungsschulen zu wählen. 1913, in der zweiten konstitutionellen Periode, war die Neuordnung Istanbuls dem französischen Stadtplaner Auric anvertraut worden. Im Gegensatz dazu hat die frisch gegründete Republik keine zwei Monate nach ihrer Ausrufung die mit deutschem Kapital gegründete „Türkische Aktiengesellschaft für Erschließung und Bau“ (Keşfiyat ve İnşaat Türk Anonim Şirketi) mit der Planung Ankaras beauftragt. Den ersten Plan Ankaras erstellte Carl Christoph Lörcher, einer der Stadtplaner der Gesellschaft. Diese war zu der Zeit bereits in Ankara aktiv und hatte ein Prestigevorhaben übernommen, die Errichtung des Hotels Ankara Palas.

Während sich die Republik auf der einen Seite um die schnelle Erstellung eines Bebauungsplans bemühte, strebte sie andererseits den Aufbau einer neuen Verwaltung für die Stadt an. 1924 wurde ein Bürgermeisteramt geschaffen, das anders auch als das Istanbuls unter Aufsicht des Innenministeriums stand. Als Bürgermeister Ankaras ernannte man Haydar Bey, der ein sehr praktisch veranlagter Mann war. Er machte sich an die Produktion von Zement, Ziegelsteinen, Kalk und Dachziegeln, die in Ankara als Baustoffe benötigt wurden. Ein Elektrizitätswerk und Arbeiterheime wurden erbaut. Er packte die Errichtung einer Mühle und eines Brennstofflagers an und kümmerte sich als Administrator der Stadt um die Sicherung der Produktion jener Grundstoffe, die für den Aufbau und den Unterhalt einer Stadt nötig waren. Als ein Schritt zum Aufbau einer Infrastruktur für Elektrizität und Stadtgas wurde am 27. März 1927 der deutschen Firma Didier eine entsprechende Lizenz auf 60 Jahre erteilt.

Im Mai 1924 unterbreitete Lörcher seinen Bebauungsplan dem Bürgermeisteramt. Er war ein konservativer Stadtplaner und sah vor, eine Bevölkerung von 200.000 Menschen rund um die vorhandene Stadtfläche anzusiedeln. Wohl wegen der mit einem solchen Plan verbundenen Schwierigkeiten von diesem nicht überzeugt, sorgte Haydar Bey für die Verabschiedung eines seit drei, vier Jahren in der Diskussion stehenden Gesetzes, das die Verstaatlichung eines 400 Hektar großen Sumpfgebietes neben dem Areal der Stadt vorsah, sowie dann für dessen Trockenlegung; auf diese Weise eröffnete er der Stadt die Möglichkeit, sich auf eine neue Fläche auszuweiten, auf der ein Plan leichter umgesetzt werden konnte und die man Yenişehir, „Neustadt“, nannte. 1925 wurde auch der Bebauungsplan für diese neue Fläche Lörcher anvertraut. Er machte sich daran, auf diesem Gebiet um einen Verwaltungskern herum Wohngebiete anzuordnen. Man begann dann mit der Umsetzung dieses Plans, wobei man bei dem Gesundheitsministerium und seiner Umgebung anfing.

Ganz offensichtlich nahmen die Führungskreise der Republik 1927 eine umfassende Neubewertung der Umsetzung des Hauptstadtprojekts sowie der erreichten Ergebnisse vor. Ein Aspekt dieser Beurteilung betraf auch den bis dahin bevorzugten architektonischen Stil. Bis zu jenem Zeitpunkt waren die Gebäude, die die Republik in Ankara hatte errichten lassen, im großen und ganzen dem Architekturstil entsprechend entworfen worden, den man in der Zweiten Konstitutionellen Periode entwickelt und später als Ersten Nationalstil bezeichnet hatte. Ziya Gökalps synthetischer Kulturbegriff, auf dem diese Strömung beruhte, hatte inzwischen allerdings begonnen, Mustafa Kemal zu missfallen. Das erste Zeichen dafür war gewesen, dass die Türkei 1926 das Schweizer Bürgerliche Gesetzbuch eingeführt hatte. Die Türkei wollte die westliche Kultur in ihrer Gesamtheit übernehmen. Diese Kursänderung wurde auf dem Gebiet der Architektur reflektiert, als 1927 der Architekt Ernst Egli aus Wien gerufen wurde, um Schulbauten im Stile des Modernismus zu errichten. Damit wandte sich die Türkei vom Ersten Nationalen Stil ab und schloss sich der Strömung der modernistischen Architektur an.

Die zweite Neubewertung erfolgte auf dem Gebiet der Stadtplanung. Nachdem 1927 Asaf Bey zum Bürgermeister ernannt worden war, wurde in einer Beurteilung festgestellt, dass Lörchers Plan den Anforderungen nicht genügte, und die Erstellung eines neuen Bebauungsplans beschlossen. Eine Kommission machte sich auf den Weg nach Berlin und konferierte dort mit Prof. Ludwig Hoffmann. Hoffmann empfahl Hermann Jansen und Josef Brix, beide Professoren an der Technischen Hochschule Berlin. Jansen hatte 1910 im Wettbewerb zur Stadtplanung Berlins den ersten Preis erhalten. Brix war dafür bekannt, dass er großen Wert auf Stadthygiene legte. Nach ihrer Rückkehr in die Türkei forderte die Kommission außer diesen beiden Architekten noch den französischen Meisterarchitekten Léon Jaussely, der im Wettbewerb um die Stadtplanung Barcelonas den ersten Preis davongetragen hatte, auf, Entwürfe einzureichen. Man bat diese Stadtplaner um einen Entwurf für ein Ankara von 300.000 Einwohnern. Den Wettbewerb gewann Hermann Jansen. Bis zum Jahr 1938 sollte dieser erfahrene Stadtplaner die Arbeiten am Bebauungsplan Ankara leiten. Lörcher und Jansen waren beide Stadtplaner unter dem Einfluss Camillo Sittes und Ebenezer Howards. Insofern kann es nicht schwer fallen, zwischen den Entwürfen der beiden Kontinuitäten festzustellen.

Eine dritte Neubewertung wurde im Bereich der Stadtverwaltung vorgenommen. Auf die Erkenntnis hin, dass es dem technischen Personal und der Organisation des Bürgermeisteramtes nicht gelang, den Aufbau Ankaras erfolgreich zu leiten, wurde durch ein 1928 verabschiedetes Gesetz ein schlagkräftiges Baureferat für die Stadt Ankara eingerichtet. Es sollte nicht dem Bürgermeisteramt, sondern dem Innenministerium zugeordnet sein, seine Einnahmen direkt aus dem Staatshaushalt beziehen, einheimische und ausländische Experten in genügender Zahl beschäftigen, Bebauungspläne und -programme selbst erstellen oder erstellen lassen und dem Kabinett zur Genehmigung vorlegen. Änderungen im Bebauungsplan würden durch das Kabinett zu bestätigen sein. Das eigentliche Entscheidungsorgan sollte aber aus drei bis fünf Personen bestehen, die der Baudirektor und das Kabinett auswählen sollten. So hatte man einen sehr machtvollen Mechanismus für die praktische Arbeit geschaffen. Dennoch sind die Ergebnisse dieser praktischen Umsetzung bis heute nicht unumstritten.

Die Organisation der Ausbildung in modernistischer Architektur und Stadtplanung

Als die Türkei 1923 beschloss, Ankara zur Hauptstadt zu machen, existierte keine Literatur zur Stadtplanung auf Türkisch. Das früheste einschlägige Schrifttum entstand erst, nachdem die Republik ausgerufen worden war. Eine Führungsrolle übernahm dabei in der Amtszeit des Chirurgen Emin Bey das Bürgermeisteramt von Istanbul. Seit 1924 erschien das İstanbul Şehremaneti Mecmuası („Zeitschrift des Bürgermeisteramts von Istanbul“), das erste türkischsprachige Periodikum zu Fragen der Stadtverwaltung. 1926 veröffentliche das Bürgermeisteramt Camillo Sittes berühmtes Werk Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen in der Übersetzung Celal Esats (Arseven), 1927 folgte Edouard Joyants Traité d’urbanisme in der Übersetzung Emin Beys als Şehircilik. Das zuerst 1898 erschienene Buch des österreichischen Architekten Camillo Sitte, das eine Planung von Städten nach künstlerischen Gesichtspunkten vorsah, hatte die deutsche Schule der Stadtplanung stark beeinflusst. Joyants Buch dagegen repräsentierte die französische Schule.

In Umsetzung von Atatürks Entscheidung, in der Türkei die modernistische Architekturströmung zu fördern, wurden die Vertreter der alten Schule von der Akademie entfernt und 1928 die klassenbesten Studenten nach Europa geschickt, um dort ihre architektonischen Fähigkeiten zu entwickeln. Die in den ersten Jahren der Republik zur Ausbildung ins Ausland geschickten Studenten wurden im Allgemeinen nach Deutschland gesandt. Daran hatte einerseits die führende Rolle deutscher Universitäten in der damaligen weltweiten Wissenschaft Anteil, andererseits die Bürokraten im Erziehungsministerium, die selbst ihre Ausbildung in Deutschland genossen hatten. Von den nach Europa geschickten Absolventen der Akademie traten Seyfi (Arkan) und Sedat Hakkı (Eldem) in das Büro des Professors an der Technischen Hochschule Berlin Hans Poelzigs ein. Emin (Onat) von der Ingenieurs-Hochschule (Mühendis Mektebi) dagegen wurde an die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) nach Zürich geschickt. Diese jungen Männer wurden nach ihrer Rückkehr in die Türkei zu Vorkämpfern der neuen Architekturausbildung.

Ernst Egli, ein junges Mitglied des Lehrkörpers der Technischen Universität Wien, wurde 1927 in die Türkei gerufen, um moderne Schulbauten zu errichten, und entwarf in der Folge zahlreiche Schulen in Ankara. 1930 erhielt er eine neue Aufgabe. Er sollte einen neuen Lehrplan für die Kunstakademie erstellen und die Entwurfsateliers dort leiten. Im Rahmen dieser Neuordnung wurde an der Akademie erstmals Stadtplanung unterrichtet. Dieser Kurs wurde erst von Celal Esat, nach 1935 aber von dem aus Deutschland zurückgekehrten Seyfi Arkan gegeben.

Die Einwanderung für Stadtplanung und Architektur wichtiger deutscher Experten in die Türkei setzte recht eigentlich erst nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 ein. Nationalsozialisten hatten die Führung der deutschen Ingenieurs- und Architektenverbände übernommen und begonnen, auf Juden und Sozialdemokraten Druck auszuüben, der diese aus dem Lande treiben sollte. Einer derer, die sich an dieser Maßnahme führend beteiligten, war Carl Christoph Lörcher, der den ersten Bebauungsplan für Ankara verfasst hatte.

Unter den aus Deutschland geflohenen Stadtplanern und Architekten war Martin Wagner, der für den Bebauungsplan von Istanbul kam und an der Akademie Stadtplanung unterrichtete. Er war auch Vermittler, wenn es darum ging, wichtige modernistische Architekten an die Akademie der Schönen Künste zu ziehen. Nach der Rückkehr Ernst Eglis akzeptierte Hans Poelzig (1869–1936) die Einladung in die Türkei. Er sollte wie Egli sowohl die Architektenausbildung leiten als auch ein Architekturbüro betreiben. Poelzigs plötzlicher Tod verhinderte die Verwirklichung dieser Pläne. Auch wenn sich deutsche offizielle Stellen darum bemühten, für den dem Regime nahestehenden Fritz August Breuhaus de Groot eine Einladung zu erwirken, gelang es Martin Wagner doch, im Briefkontakt mit seinem Mitarbeiter Bruno Taut diesen zu überreden, aus Japan in die Türkei zu kommen.

Nachdem Emin Onat 1938 begonnen hatte, die Architektur-Abteilung der Ingenieurs-Hochschule zu leiten, erlebte diese Schule eine der der Akademie vergleichbare Entwicklung. Nach dem „Anschluss“ Österreichs wurde Clemens Holzmeister, der schon seit 1927 Entwurfsaufträge für Ministerien und wichtige Amtsgebäude in Ankara ausgeführt hatte, von der Akademie in Wien entfernt, woraufhin er an die Ingenieurs-Hochschule in Istanbul ging, dort als Professor lehrte und zugleich weiter Gebäude entwarf. Ein ähnlicher Fall war Gustav Oelsner. Er war als überzeugter Sozialdemokrat aus seinem Lande vertrieben worden und begann 1939 als Chefberater für Stadtplanung und Bauwesen am Ministerium für Öffentliche Bauten zu arbeiten. Nach einer Weile holte ihn Emin Onat als Lehrstuhlinhaber für Stadtplanung an die Ingenieurs-Hochschule. Auch Paul Bonatz, der 1943 aus Anlass einer deutschen Architekturausstellung in die Türkei gekommen war, begann 1946 an der inzwischen in Technische Universität Istanbul umbenannten Hochschule zu arbeiten.

Während die Qualität der Ausbildung für Stadtplaner an den Architekturschulen solchermaßen sprunghaft anstieg, kam es auch zur Einrichtung eines Kurses für Stadtplanung an der Verwaltungshochschule (Siyasal Bilgiler Okulu). Dieser Kurs wurde von dem ehemaligen Bürgermeister Magdeburgs, Ernst Reuter, gegeben, der als Experte für Verkehrstarife an das Verkehrsministerium gekommen war. Er gründete auch 1940 an der gleichen Hochschule ein Institut für Stadtplanung und Siedlungswesen (Şehircilik ve İskân Enstitüsü). Reuter war der politisch aktivste der in die Türkei gekommenen Experten. So wurde er auch nach seiner Rückkehr aus der Türkei zu einem legendären Oberbürgermeister Berlins.

Das Konzept der „Siedlung“ dringt in die Planung neuer Wohngebiete ein

Jeder Schritt, den die Türkei auf dem Weg zu einem modernen Nationalstaat tat, führte zum Wachsen der Zentralbürokratie – und Ankaras Bevölkerung wuchs dementsprechend rasant an. Die Zahl der in der Stadt neu errichteten Wohnungen konnte die Nachfrage nicht befriedigen. Das führte einerseits zur Errichtung von Baracken als erster Form der ungeplanten Stadtrandsiedlungen (gecekondu), andererseits zum Anstieg der Mieten. Der Staat zahlte zum Schutz seiner Beamten in Ankara Mietbeihilfe. Ganz unterschiedliche Faktoren kamen zusammen, die verhinderten, dass das Wohnungsangebot in Ankara anstieg. Unter anderem kann man die schnell steigenden Grundstückspreise nennen, die Schwäche der zur Wohnungsbaufinanzierung entwickelten Institutionen wie der Immobilien- und Waisenbank (Emlâk ve Eytam Bankası), die hohen Preise für Baumaterialien oder der Mangel an ausgebildeten Arbeitskräften.

Die Suche nach Lösungen inmitten dieses Mangels führte zu einer Neuheit, auf die man viele Hoffnungen setzte: der ersten Wohnungskooperative Bahçeli Evler Konut Kooperatifi mit 169 Mitgliedern. Diese Neuheit hatte zwei Standbeine: Das eine war, dass das Wohngebiet nach dem Konzept der „Siedlung“ errichtet wurde. Das andere bestand aus der Organisation nach Art einer Wohnkooperative.

„Siedlungen“ waren städtische Wohnviertel mit Gärten, die im Deutschland der 1920er- und 1930er-Jahre für Arbeiter entwickelt worden waren, die über kein für den Erwerb von Hausbesitz genügendes Einkommen verfügten. Die deutschen Stadtplaner und Architekten, von denen wir gesehen haben, wie sie in die Türkei gekommen waren, waren durch die von ihnen gegründeten Siedlungen berühmt geworden. Martin Wagner und Bruno Taut hatten in Berlin unter dem Dach der Wohnungsbaukooperative GEHAG in Zehlendorf für den Bau wichtiger Sozialbauprojekte gesorgt. Der Bürgermeister Berlins rühmte diese Wohngebiete, weil die Stadtverwaltung mit ihnen für den Aufstieg der gesellschaftlichen Unterschicht gesorgt habe. Gustav Oelsner war bei der Stadtplanung Hamburg-Altonas durch ähnliche Projekte bekannt geworden.

Siedlungen waren nicht nur ein Entwurf im Raum, sondern auch eine kooperative Organisationsform, die für die Verwirklichung dieses Entwurfes sorgte. Der 1933 an die Universität Istanbul kommende Gerhard Kessler war ein Spezialist für Sozialpolitik, der sich intensiv für Kooperativen interessierte. Wegen seines gegen die Nationalsozialisten gerichteten Buches Kampf und Aufbau! war er der ersteProfessor gewesen, den die Nationalsozialisten aus der Universität entfernt hatten. Als er in der Türkei ankam, landete er mitten in einer Debatte über Wohnungsbaukooperativen.

1931 war auf Anregung Atatürks die „Türkische Gesellschaft für das Kooperativwesen“ (Türk Kooperatifçilik Cemiyeti) gegründet worden. In diesem Kreis hatte Nusret Uzgören Kooperativen zur Lösung des Wohnungsproblems in Ankara zu propagieren begonnen. Dabei stand der Begriff der „Gartenstadt“ im Mittelpunkt. Zur gleichen Zeit diskutierte man zur Abhilfe des Wohnungsmangels in Ankara unter anderem den Bau eines „Staatsviertels“ für Staatsbeamte und die Verwirklichung des im Plane Jansens vorgesehenen Arbeiterviertels nach dem Vorbild einer entsprechenden Baumaßnahme in Izmir. Nun kam zu diesen Möglichkeiten noch die Alternative, durch Kooperativen Wohnraum zu schaffen. Uzgören schlug vor, ein Viertel von 1.000 Häusern durch eine Kooperative errichten zu lassen. Das war fünfmal so viel Wohnraum, wie damals pro Jahr neu auf den Markt kam.

Am 26. Januar 1935 gründeten 134 Mitglieder die „Gartenhaus-Baukooperative von Ankara“ (Ankara Bahçeli Evler Yapı Kooperatifi). Diese Kooperativ-Mitglieder waren hochrangige Bürokraten der republikanischen Verwaltung. Die Kooperative hatte kein Grundstück erworben, das zu der vom Jansen-Plan erfassten Fläche gehörte, sondern ein recht großes Stück Land außerhalb davon. Bevor das Grundstück erworben wurde, sorgte man für eine Besichtigung durch Jansen. Mit der Erstellung des Bebauungsplanes und dem Entwurf der acht verschiedenen Gebäudetypen hatte man ebenfalls Jansen beauftragt. In der Praxis wurde der Bebauungsplan Ankaras so durch seinen eigenen Autor durchkreuzt. Die Wohnungen entsprachen keinen Sozialwohnungen, sondern waren ausgesprochen geräumig. Die Finanzierung wurde vollständig durch Bankkredite gesichert; Ersparnisse der Mitglieder wurden nicht herangezogen. 169 Wohnungen wurden errichtet. Als der Bau abgeschlossen war, wurde das Kooperativeigentum aufgelöst und in individuelles Eigentum überführt.

Der zur Begutachtung der Kooperative von Bahçeli Evler nach Ankara gerufene Kessler führte aus, dass der Erfolg einer Wohnungsbaukooperative von drei Bedingungen abhängig sei, nämlich gemeinsamem Sparen, gemeinsamer Kreditaufnahme und dem Verbleib des Grundes sowie der Wohnungen in gemeinschaftlichem Eigentum. Kessler kritisierte Bahçeli Evler, weil das Projekt keinem dieser Kriterien entspräche. Nichtsdestotrotz wurden die Bahçeli Evler zu einem Modell, das die Leute in allen Städten schön fanden und idealisierten. Nach dem Zweiten Weltkrieg breitete es sich in den Städten außerhalb Ankaras aus.

In der Zeit der frühen Republik diente Ankara als ein Laboratorium, in dem Stadtplanung und ihre Umsetzung in der Türkei erlernt wurden. Die in diesem Laboratorium gesammelten Erfahrungen bildeten mit den nach 1930 verabschiedeten Gesetzen über Stadtverwaltungen, allgemeine Volksgesundheit, Bauten und Straßen den institutionellen Rahmen für das System des Bauwesens. Wenn man all diese Gesetze gemeinsam einer Beurteilung unterzieht, kann man sagen, dass sie eine modernistische Legitimation für die Stadtentwicklung boten. Dieser legitimatorische Rahmen sollte nach dem Zweiten Weltkrieg angesichts der rapiden Verstädterung der Türkei nicht mehr ausreichen; und Ringe von gecekondu wuchsen an ihrer Peripherie um die Städte herum.

Prof.Dr. İlhan Tekeli
Übersetzung: Christoph K. Neumann

Goethe-Institut Ankara
September 2010