Johannes Ebert im September 2014
Gegenseitiges Lernen und Austausch fördern, Erfahrungen teilen

Artikel von Johannes Ebert zu der Rolle von Kultur in den Außenbeziehungen der EU in den „Kulturpolitischen Mitteilungen“

Sieben europäische Choreographinnen und Choreographen erarbeiten im EUNIC[1]-Projekt „Intradance“ mit russischen Compagnien zeitgenössische Tanz-Vorstellungen. Das „DocNet Southeast Asia“ zielt darauf, die Bedingungen für den Dokumentarfilm in den Ländern Südostasiens zu stärken. Das Festival „Dancing Egyptian Spring“ bringt europäische und arabische Tänzer und Choreographinnen zusammen. Dies sind nur einige Beispiele, wie die EU – auch im Rahmen ihrer Entwicklungszusammenarbeit – weltweit Kultur fördert.

Das Bewusstsein für den Sinn eines strategischen Ansatzes für Kultur in den EU-Außenbeziehungen hat sich erst in den letzten Jahren schrittweise entwickelt. Eine erste Etappe war die „UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ aus dem Jahr 2005. Sie empfiehlt, die Beziehungen Europas mit anderen Weltregionen zu stärken und verweist dabei auch auf die wichtige Rolle der Kultur. In ähnlicher Weise ist Kultur als „zentrales Element der internationalen Beziehungen“ eine der drei Säulen der „Europäischen Kulturagenda“ (Europäische Kommission 2007).
Parallel dazu gab es eine Reihe zivilgesellschaftlicher Initiativen für eine stärkere Rolle der Kultur in den EU-Außenbeziehungen: So veröffentlichte die Europäische Kulturstiftung 2006 mehrere Studien zum Thema, im selben Jahr erblickte der europäische Zusammenschluss der nationalen Kulturinstitute EUNIC das Licht der Welt. Aus dem Kreis der EUNIC-Mitglieder und in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen entstand 2011 die Initiative „More Europe“, die sich der kulturellen Dimension der EU-Außenbeziehungen in mehreren öffentlichen Debatten annahm.

Ein kritischer Bericht der niederländischen Europaabgeordneten Marietje Schaake über die kulturelle Dimension der auswärtigen EU-Politik veranlasste 2011 das Europäische Parlament, das Thema zu behandeln. Es zeigte sich „besorgt über die Fragmentierung der externen EU-Kulturpolitik und -projekte, die die strategische und effiziente Nutzung der kulturellen Ressourcen und die Entwicklung einer sichtbaren gemeinsamen EU-Strategie für die kulturellen Aspekte der Außenbeziehungen der EU behindert.“ (Europäisches Parlament 2011: 6). Im Sommer 2012 veröffentlichte daraufhin die Generaldirektion Bildung und Kultur eine Ausschreibung zu der „Vorbereitenden Maßnahme Kultur in den EU-Außenbeziehungen“.

Den Zuschlag für diesen Forschungs- und Beratungsauftrag erhielt ein internationales Konsortium unter Federführung des deutschen Goethe-Instituts, dem die EUNIC-Mitglieder British Council, Institut Français, Dänisches Kulturinstitut, Institut für Auslandsbeziehungen und Goethe-Institut sowie die Europäische Kulturstiftung, der Palast der Schönen Künste BOZAR und die Beratungsfirma KEA angehörten. Externe Experten waren Prof. Raj Isar (Amerikanische Universität Paris), Dr. Damien Helly (European Centre for Development Policy Management, Maastricht), Rod Fisher (International Intelligence on Culture, London) und Gottfried Wagner (Bundesministerium für Bildung und Frauen, Wien). Untersucht wurden die wechselseitigen kulturellen Beziehungen zwischen der EU bzw. ihren Mitgliedstaaten und einer Reihe von Drittstaaten – einmal der 16 Länder der Europäischen Nachbarschaftspolitik, aber auch zehn strategischer Partnerländer (Brasilien, China, Indien, Japan, Kanada, Mexiko, Russland, Südafrika, Südkorea und den USA). Mit wenigen Ausnahmen (Syrien, Libyen, Belarus) konnte das Konsortium auch mit Hilfe der europäischen Kulturinstitute vor Ort (EUNIC-Cluster) Konsultationen mit Vertretern und Vertreterinnen von Kulturministerien oder -behörden sowie Kulturschaffenden durchführen. Im Zentrum standen folgende Fragen:

Welche Strategien haben Drittländer für ihre internationale Kulturzusammenarbeit, insbesondere gegenüber der EU? Mit welchen Inhalten, Methoden und Absichten bringen sie das EU-Handeln im Kulturbereich in Verbindung?

Welche Muster lassen sich erkennen, die das EU- oder Drittlandhandeln im Kulturbereich strukturieren? Welche Art von Projekten ist vorherrschend? Welche Akteure sind beteiligt?

In welchen Bereichen besteht ein besonderer Mehrwert für potenzielle neue EU-Aktionsprogramme und Finanzierungsinstrumente? Woran lässt sich dieser Mehrwert festmachen?

Die Ergebnisse der Konsultationen sind vielstimmig und ermutigend. Sie zeigen, dass weltweit großes Interesse daran herrscht, mit der EU und ihren Mitgliedstaaten im Bereich der Kultur zusammenzuarbeiten. Viele Befragte ließen erkennen, dass sie mit Europa verbundene Merkmale wie die Förderung kultureller Vielfalt, die Meinungsfreiheit, aber auch die ökonomische Vitalität der europäischen Kulturlandschaft als Inspiration für das eigene Umfeld betrachten. Allerdings werden europäische Programme in Drittstaaten auch bisweilen immer noch als dominant oder paternalistisch betrachtet – insbesondere in ehemals von EU-Mitgliedern kolonisierten Ländern. Kritisch wird angemerkt, dass die Programme die Interessen und Lebensbedürfnisse junger Menschen bisweilen zu wenig berücksichtigen.
Diese Meinungsbilder wurden in einem Bericht zusammengefasst, den die Europäische Kommission im Juni 2014 unter dem Titel „Engaging the World: Towards Global Cultural Citizenship“ veröffentlichte. Darin werden acht Schlüsselbotschaften formuliert. Eine wichtige Schlussfolgerung aus den Ergebnissen der Untersuchung, die das Goethe-Institut mit seinem dialogisch geprägten Ansatz des Kulturaustausches sehr positiv beurteilt, ist die Forderung, „über die Repräsentation allein hinauszugehen und gegenüber dem Rest der Welt eine Haltung an den Tag zu legen, die gegenseitiges Lernen und Austausch fördert“ (Europäische Kommission 2014: 4). Es geht hier um eine werteorientierte Außenkulturarbeit, die offene Äußerung, kritische Reflexion und freie Diskussion zum Grundsatz macht, die es den Partnern ermöglicht, ihre Vorstellungen in die Gestaltung von Kulturkooperation einzubringen, um Erfahrungen zu teilen und weniger darum, europäische Kultur vorzuführen.

Die Studie verweist auf die wichtige Rolle von Kulturschaffenden und Kulturinstitutionen bei der Ausgestaltung einer europäischen Außenkulturarbeit, die im Sinne des Subsidiaritätsprinzips die Außenkulturpolitik der Mitgliedsstaaten ergänzt. Sie regt eine Bündelung der Ressourcen, die Vereinfachung von Verfahren, den Abbau von Mobilitätshindernissen sowie eine stärkere Berücksichtigung von Zivilgesellschaft und Jugendkultur an. In den letzten beiden Schlüsselbotschaften fordert der Bericht eine Strategie ein, die „klare Ziele, Prioritäten und realistische Ergebnisse“ (ebd.: 11) anstrebt. Weiterhin sollte die EU ausgewählte Pilotprojekte initiieren – genannt werden beispielsweise Kulturmanagementfortbildungen oder kulturelle Städtepartnerschaften mit Drittstaaten –, die exemplarisch aufzeigen können, „wie Europas internationale Kulturbeziehungen konzipiert und organisiert werden“ (ebd.) und so schrittweise die bisherige Praxis verändern helfen.

Wie geht es nun weiter? Die oben skizzenhaft zusammengefassten Ergebnisse liegen der Europäischen Kommission vor. Die scheidende Kulturkommissarin Androulla Vassiliou hat den Bericht ihren Nachfolgern in der neuen Europäischen Kommission sowie dem neuen Kulturausschuss des Europäischen Parlaments wärmstens empfohlen. Nun bleibt abzuwarten, wann die neuen Abgeordneten das Thema auf die Tagesordnung setzen und ob eines der jährlichen Arbeitsprogramme zum Programm „Kreatives Europa“ der Generaldirektion Bildung und Kultur oder einer anderen EU-Behörde bereits Pilotaktionen enthalten werden.

Unabhängig davon gibt es auf EU-Ebene einige Indizien dafür, dass sich das Thema etabliert. So ist „Kultur in den EU-Außenbeziehungen“ in einer Ausschreibung  der Generaldirektion Bildung und Kultur zum „Erneuerten Strukturierten Dialog im Kulturbereich“[2] prominent vertreten. Und auch die Ernennung eines Beauftragten für Kultur im Europäischen Auswärtigen Dienst direkt beim Büro des Generalsekretärs ist eine organisatorische Neuerung, die dazu beitragen wird, das Thema lebendig zu halten – ganz im Sinne der „Vorbereitenden Maßnahme Kultur in den EU-Außenbeziehungen“. Das Fazit: Kultur besitzt ein beachtliches Potenzial „in der sich rasch verändernden und multipolaren Welt des einundzwanzigsten Jahrhunderts … Wenn Europa es versäumt, dieses Potenzial jetzt optimal auszuschöpfen, würde es sich eine riesige Chance entgehen lassen.“ (ebd.)

(Der Bericht zur Vorbereitenden Maßnahme „Kultur in den EU-Außenbeziehungen“ ist zu finden unter: http://cultureinexternalrelations.eu/main-outcomes/).
Quellen:
Europäisches Parlament (2011): Bericht über die kulturellen Dimensionen der auswärtigen Politik der EU (2010/2161(INI)). Ausschuss für Kultur und Bildung. Berichterstatterin: Marietje Schaake. Brüssel, 31.03.2011.
Europäische Kommission (2014): Preparatory Action „Culture in EU External Relations”. Kurzfassung. Engaging the World: Towards Global Cultural Citizenship. Brüssel
 
[1] EUNIC: European National Institutes for Culture – Zusammenschluss der europäischen nationalen Kulturinstitute
[2] Zum Strukturierten Dialog im Kulturbereich siehe http://ec.europa.eu/culture/policy/strategic-framework/stakeholder-dialogue_en.htm.
 
Johannes Ebert,
Generalsekretär des Goethe-Instituts

Erschienen in:
Kulturpolitische Mitteilungen.
Zeitschrift für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft, III/2014.



 

Top