Johannes Ebert am 12. Mai 2015
Impulsvortrag „Kulturaustausch und Diplomatie“

Impulsvortrag von Johannes Ebert anlässlich der Veranstaltung „Kultur im Dienste der Diplomatie“ in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig

Sehr geehrter Herr Dr. Feist,

Sehr geehrte Frau Zólyom,

Sehr geehrte Gäste,
 
ich möchte mich sehr herzlich dafür bedanken, dass Herr Dr. Feist mich nach Leipzig eingeladen hat, um bei der heutigen Veranstaltung zum Thema „Kultur im Dienste der Diplomatie“ eine Einführung zu geben und auf dem Podium mitzudiskutieren. Eine Einladung, der ich gerne Folge leiste, zumal ich mich sehr freue, heute Ihren Wahlkreis - Herr Dr. Feist - zu besuchen und gleichzeitig in der Kulturstadt Leipzig zu Gast zu sein.
 
Bevor ich konkreter auf die Arbeit und die Zielsetzungen des Goethe-Instituts als größte Mittlerorganisation der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik eingehen werde, möchte ich ein Wort über die vielfältigen und fruchtbaren Kooperationen zwischen dem Goethe-Institut und der Stadt Leipzig und seiner lebendigen Kulturlandschaft sprechen, die unter meinen Kolleginnen und Kollegen einen hervorragenden Ruf genießt. Denn: Die Kultur in den deutschen Städten wie Leipzig ist der Humus für unsere Kulturarbeit im Ausland. Die Kreativität in Deutschland ist eine wichtige Grundlage für die kulturelle Anziehungskraft unseres Landes. In diesem Sinne sind wir auch von der Arbeit in Städten wie Leipzig abhängig, und eine intensive kulturelle Zusammenarbeit bildet die Basis für unsere Arbeit im Ausland, an den 160 Instituten des weltweiten Netzwerks der Goethe-Institute.
 
Exemplarisch möchte ich zwei Felder/Genres herausgreifen:
 
Die Leipziger Buchmesse ist nicht nur eine der wichtigsten deutschen Plattformen im Literaturbereich und für den literarischen Austausch. Auch für das Goethe-Institut ist sie ein wichtiges Forum, um in Veranstaltungen die Themen, Formate und Menschen unserer Arbeit vorzustellen. Es gab bei der letzten Leipziger Buchmesse wieder zahlreiche Podiumsdiskussionen und Veranstaltungen, z.B. über den Buchmarkt und die Literatur nach dem Arabischen Umbruch, über die Arbeit von Übersetzern und Übersetzerinnen und zum diesjährigen Schwerpunktland Israel, zu denen zahlreiche Literaturexperten, Bibliothekare und interessierte Besucher und Besucherinnen kamen. Das Netzwerk „Traduki“ nimmt die Literaturen und Kulturen Südosteuropas und der deutschsprachigen Länder in den Blick. Als Partner dieses Netzwerks lud auch das Goethe-Institut zu den mehr als 20 Traduki-Veranstaltungen auf der Leipziger Buchmesse ein. Außerdem gibt es im Rahmen der Leipziger Buchmesse eine Fortbildung für unsere Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland. Die Zusammenarbeit mit der Leipziger Buchmesse ist für das Goethe-Institut sehr wertvoll.
 
Das Deutsche Literaturinstitut Leipzig ist die wichtigste Ausbildungs- und Förderstätte für deutschsprachige Autoren. Zahlreiche Absolventinnen und Absolventen dieser Akademie sind bei Veranstaltungen in aller Welt für das Goethe-Institut unterwegs, darunter: Lucy Fricke (2011: Stipendiatin Villa Kamogawa, Kyoto), Olga Grjasnowa (Lesungen u.a. in Georgien, Brüssel, Kopenhagen und Jerusalem), Clemens Meyer, Juli Zeh, Katja Lange-Müller, Angela Krauß etc.
 
Weiterhin sind wir dem Herder-Institut eng verbunden. Prof. Dr. Christian Fandrych ist der Vorsitzende unseres Beirats Sprache.
 
Das Goethe Institut arbeitet auch eng mit dem Festival DOK Leipzig zusammen. Es vergibt jedes Jahr einen Dokumentarfilmpreis, der den Namen Leipzigs in die Welt trägt. Zahlreiche Filme des Festivals werden an unseren Instituten im Ausland gezeigt. Kooperationen bestehen darüber hinaus aber auch im Rahmen von unterschiedlichen Fortbildungs- und Mentoringprogrammen (z.B. Fortbildungsveranstaltungen für die Film-Archivare des Goethe-Instituts in Leipzig - alle 2 Jahre).
 
Das Goethe-Institut pflegt den Austausch und die Zusammenarbeit mit der Leipziger Baumwollspinnerei. Mit der Galerie für Zeitgenössische Kunst, wo wir heute Abend zu Gast sind, hatte das Goethe-Institut zahlreiche themenspezifische Kooperationen, z.B. das Projekt „Europe (to he power of) n“ und „Going Public. Über die Schwierigkeit einer öffentlichen Aussage“.
 
Da ich nach 15 Jahren Tätigkeit im Ausland, in der Ukraine, in Ägypten und in Russland – Länder die heute durchaus eine große politische Aufmerksamkeit erfahren – seit vier Jahren mit meiner Familie wieder in einer deutschen Kommune wohne – nicht in Sachsen, sondern in München, wo die Zentrale des Goethe-Instituts seinen Sitz hat – weiß ich wie wichtig solche und andere Aktivitäten für das Gemeinwesen sind.
 
Sie tragen dazu bei, sich anderen zu öffnen, sie wecken Kreativität und stärken die gemeinsame Identität. Sie schaffen es, durch Vernetzung und gemeinsames Arbeiten an Projekten und Nachdenken über Themen, kreatives Potenzial zu bündeln und Dialoge zu ermöglichen.
 
Die Stärkung der gesellschaftlichen Identität, die Entwicklung des kreativen Potenzials, die Förderung von Zugang zu Wissen und Bildung, die Teilhabe der Zivilgesellschaft, die Stärkung von Strukturen – alle diese Aspekte sind Grundlage für eine demokratischen Entwicklung und für gesellschaftliche Offenheit. Mit unserem weltweiten Netzwerk haben wir die notwendigen Strukturen, um vor Ort gezielt, schnell aber auch nachhaltig auf Veränderungen reagieren zu können.
 
In vielen Krisenregionen der Welt und in Ländern der Transformation zeigt sich, wie wichtig ein verstärktes Kulturengagement als Teil einer nachhaltigen und vertrauensbildenden Außenpolitik ist. Kulturaustausch kann gerade bei der Bearbeitung tief sitzender gesellschaftlicher Konflikte eine zentrale Rolle spielen. Das Goethe-Institut setzt in Ländern der Krise und der Transformation, in denen wir seit langen Jahren präsent sind, auf ein offenes Haus, offene Gesprächsangebote sowie Plattformen des Austauschs.
 
Gesellschaftliche Umbrüche brauchen Zeit. Umso wichtiger ist es, in diesen Ländern zivilgesellschaftliche Gruppen und Innovationsträger in Kultur und Bildung aktiv und nachhaltig zu unterstützen. Aktuelle Schwerpunkte des Goethe-Instituts sind z.B. die Transformationspartnerschaften in Nordafrika/Nahost sowie der Ausbau der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in den Ländern der östlichen Partnerschaft sowie das Thema Flüchtlinge, das uns immer stärker beschäftigt und wo wir uns engagieren wollen.
 
Ich hatte im Frühjahr 2014 ein längeres Gespräch mit der stellvertretenden Kulturministerin der Ukraine, die ich noch aus meinen ersten Jahren in Kiew gut kenne. Es ging in diesem Gespräch auch darum, wie ein Staat und seine Kommunen, die sich in einer schwierigen Transformationsphase befinden, Kultur und die Zivilgesellschaft fördern können. Nicht nur die alteingesessenen staatlichen Institutionen, sondern auch innovative Ansätze und kreative Formationen der freien Szene. Und es geht dort auch gerade darum, in den Städten der ukrainischen Regionen die Kultur zu fördern und voranzubringen. Denn es wird – unabhängig davon, wie dieser schreckliche Konflikt sich weiter entwickelt – für das Staatswesen der Ukraine von grundlegender Bedeutung sein, eine gemeinsame nationale Identität und Strukturen zu schaffen, die Ost und West einander näherbringt. Es wird darum gehen, den Zugang zum Wissen zu öffnen, sich mit den Nachbarn auszutauschen. Kultur und Bildung spielen hierbei eine fundamentale Rolle und können eine wichtige Brückenfunktion übernehmen.
 
In den vergangenen Jahren ist viel über die Wechselwirkung von Kultur und Krisen reflektiert worden. Es wäre zwar blauäugig, die Wirksamkeit von Kulturarbeit bei der Lösung akuter kriegerischer Auseinandersetzungen zu überschätzen. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass gerade der Kulturaustausch bei der Bearbeitung tief sitzender gesellschaftlicher Konflikte eine zentrale Rolle spielt.
 
Warum? Kunst und Kultur machen gesellschaftliche Konflikte bewusst, können die Fähigkeit verstärken konstruktiv mit Konflikten umzugehen und zeigen Perspektiven auf, wenn politische Prozesse an ihre Grenzen stoßen. Eine vorausschauende Außenpolitik fördert das interkulturelle Verständnis und die Auseinandersetzung mit anderen Wertvorstellungen – entscheidende Voraussetzungen für die Verhinderung, Lösung und Bearbeitung von Konflikten.
 
Ich möchte dies am Beispiel der Ukraine veranschaulichen:
Das Goethe-Institut arbeitet seit 1993 mit den Künstlern und Künstlerinnen vor Ort, mit den Vertretern von Kultur- und Bildungseinrichtungen und der freien Szenen eng zusammen. Die politischen Ereignisse seit Herbst 2013 haben gezeigt, dass sich das Land auch 13 Jahre nach der Unabhängigkeit immer noch im Übergang befindet: die laute Forderung nach stärkerer Teilhabe der Zivilgesellschaft an Entscheidungsprozessen, die unsichere Positionierung zwischen Europa und Russland, strukturelle Probleme in vielen Sektoren beispielsweise auch in der ukrainischen Kulturlandschaft – dies sind nur einige Herausforderungen des Transformationsprozesses.
 
Kulturinitiativen fehlt es an Geld und Kompetenzen, gerade auch um junge Menschen zu erreichen. Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik kann hier einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der Zivilgesellschaft leisten, indem sie Akteure miteinander vernetzt und vor Ort oder in Deutschland qualifiziert. Gemeinsame Kulturprojekte zeigen unseren ukrainischen Partnern, dass Europa sie nicht vergessen hat. Grundlage für die schnelle Umsetzung – und das ist in Krisenzeiten besonders wichtig - ist der enge und kontinuierliche Kontakt zur Kulturszene und zivilgesellschaftlichen Akteuren vor Ort.
 
Das Goethe-Institut Kiew legt seit Sommer 2014 den Schwerpunkt seiner Arbeit auf Partizipation: Junge Kulturschaffende, zivilgesellschaftliche Akteure, Kulturjournalistinnen und Kulturmanager aus der Ukraine, Belarus, Georgien und der Republik Moldau erhalten die Möglichkeit, sich zu qualifizieren und untereinander sowie mit Akteuren aus Deutschland zu vernetzen.
 
Zahlreiche Projekte, die 2014 durch den Sonderfond „Ausbau der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in den Ländern der Östlichen Partnerschaft“ des Deutschen Bundestags ermöglich wurden, konnten vor Ort erfolgreich und schnell konzipiert und umgesetzt werden.
 
Einige Beispiele:
 
Kultur- und Bildungsakademie Ukraine:
In Kiew fand vom 10. bis 12. November 2014 eine Konferenz zu Kulturpolitik und Kulturmanagement statt, bei der zum ersten Mal Vertreter und Vertreterinnen der öffentlichen und freien Kulturinstitutionen der Ukraine gemeinsam in Arbeitsgruppen debattierten, welche grundlegenden Strategien für die zukünftige Kulturarbeit in ihrem Land von entscheidender Bedeutung sind. Das war bislang einzigartig in der Ukraine und hat viel Aufmerksamkeit und Zustimmung erfahren. Das Goethe-Institut bot hier die Möglichkeit einer neutralen Plattform. Nur durch einen gemeinsamen Austausch zwischen diesen beiden, sich bislang eher skeptisch gegenüberstehenden Gruppen, kann es zu einer langfristigen erfolgreichen Kultur- und Bildungsarbeit in den Regionen und Städten kommen.

Mit der „Kultur- und Bildungsakademie“ möchte das Goethe-Institut insbesondere den innerukrainischen Erfahrungsaustausch der Kulturakteure unterstützen, freie Gruppen fördern, die kommunale und nationale Kulturpolitik voranbringen sowie Raum bieten, um langfristige Strategien für den Kultur- und Bildungsbereich entwickeln zu können. Im Rahmen der Kultur-und Bildungsakademie soll im Jahr 2015 in Form eines „Runden Tisches“ das Thema Stadtentwicklung in der Ukraine (soziale Stadt, Partizipation, Quar-tiermanagement) im Mittelpunkt stehen.
 
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Region Nordafrika/Nahost im Rahmen der Transformationspartnerschaften:
 
Tahrir-Lounge Kairo:
Kurz nach der Revolution fanden sich im Februar 2011 junge Ägypter und Ägypterinnen zusammen, die die Idee eines Begegnungsortes entwickelten, zu dem junge Menschen kommen können, die ein Interesse am Aufbau der Zivilgesellschaft in Ägypten haben. Das war die Geburtsstunde der Tahrir-Lounge. Seitdem organisiert die Tahrir-Lounge eine Vielzahl von Podiumsdis-kussionen, Workshops, Konferenzen und Kulturveranstaltungen. Die Beteiligten glauben fest an die freiheitlichen Grundprinzipien und wollen zeigen, wie man durch Förderung von Jugendinitiativen und von anderen ernst gemeinten Ideen erreichen kann, dass alle Bevölkerungsgruppen, unabhängig von Geschlecht, Religion oder politischer Ausrichtung, davon profitieren.
 
Cultural Innovators Network:
Das Cultural Innovators Network ist wie die Tahrir-Lounge ein Projekt des Goethe-Instituts im Rahmen der Deutsch-Arabischen Transformationspartnerschaft des Auswärtigen Amtes. Der Deutsche Bundestag stellte in Folge der Umbrüche auch hierfür Sondermittel zur Verfügung. An dem Projekt, das 2012 in Leben gerufen wurde, beteiligen sich mehr als zwanzig Goethe-Institute im Mittelmeerraum. Hauptziel des Projekts ist es, mit künstlerischen Mitteln und kulturellen Prozessen demokratische Transformationsprozesse zu unterstützen. Das Projekt zielt auf den Aufbau einer Netzwerkstruktur, die in die Lage versetzt wird, sich selbst zu erhalten. Hier sind wir bereits weit gekommen. Zielgruppe des Projekts sind junge Aktivistinnen und Aktivisten in Europa, Nordafrika und Nahost, die der gemeinsame Wunsch verbindet, durch innovative Ideen am Prozess sozialer Veränderungen teilzunehmen und sich für eine bessere Zukunft in ihren Ländern zu engagieren. Mittlerweile umfasst das Netzwerk über 139 Mitglieder aus 33 verschiedenen Ländern.
 
Das Goethe-Institut sowie alle Mittler der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik leisten mit den unterschiedlichsten Projekten einen wichtigen Beitrag – „im Dienste der Diplomatie“ auch mit Blick auf Krisen- und Transformationsländer. Unsere kontinuierliche und langjährige Arbeit und Präsenz in den Ländern und die Partnerschaften im kulturellen und zivilgesellschaftlichen Bereich bilden eine wichtige Basis. Die Programme und Angebote der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik aus Deutschland tragen dazu bei, international Vertrauen für Deutschland zu schaffen. Ein Vertrauen, das sich heute und in Zukunft auszahlt.
 
Aus aktuellem Anlass – genau heute vor 50 Jahren nahmen Israel und Deutschland ihre diplomatischen Beziehungen wieder auf – möchte ich abschließend noch auf unsere Aktivitäten anlässlich dieses Jubiläums einzugehen.
 
Das Verhältnis zwischen beiden Ländern ist besonders, gründet es doch auf der deutschen Verantwortung für den Holocaust in der Zeit des Nationalsozialismus. Seit dem 12. Mai 1965 hat sich eine lebendige und enge Beziehung entwickelt, die sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens umfasst – auch die kulturelle Zusammenarbeit hat sich kontinuierlich intensiviert und vertieft. Für das Jubiläumsjahr 2015 sind viele Projekte geplant:
 
Am 30. Mai wird eine Ausstellung der „Bronner Residency” im Herzliya Museum for Contemporary Art eröffnet. Dabei steht der kulturelle Austausch aus kunsthistorischer und soziologischer Sicht im Mittelpunkt: Zwölf Stipendiaten aus Israel und Deutschland stellen in ihren Arbeiten eigene Perspektiven zu Gastfreundschaft, Fremdheit, Identität und Heimat zur Diskussion.
 
Kürzlich feierte das Dokumentartheaterstück „Out of Mea Shearim” über und mit Aussteigern aus der Ultraorthodoxie in Israel und Deutschland Premiere.
 
Mit dem Programm „50/50/50” durchzieht außerdem eine große Filmreihe mit fünfzig Filmen aus fünfzig Jahren von fünfzig verschiedenen Regisseuren das deutsch-israelische Jahr: Jede Woche läuft in den Cinematheken von Tel Aviv, Jerusalem, Holon, Haifa und Sderot ein deutscher Film aus einem bestimmten Jahr, beginnend mit 1965.
 
Im Herbst 2015 wartet ein weiterer Höhepunkt: die deutsch-israelische Theaterinszenierung von Lessings Aufklärungsdrama „Nathan der Weise” mit deutschen und israelischen Schauspielern jüdischer und arabischer Herkunft.
 
Ich freue mich auf den Austausch und die Diskussion mit Ihnen.
 
Vielen Dank! 
 
Gehalten am 12. Mai 2015 in Leipzig.
 

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