Johannes Ebert am 6. Oktober 2022 in Berlin
Eröffnung des "Goethe-Institut im Exil" in Berlin

Grußwort von Johannes Ebert zur Eröffnung des "Goethe-Institut im Exil" in Berlin am 06.10.2022

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste, liebe Freunde.

„Sayyidati wa sadati – ahlan wa sahlan bikum.“ So haben wir im Jahr 2016 begrüßt, als wir nicht unweit von hier das „Goethe-Institut Damaskus – im Exil“ eröffnet haben. Für einen Monat hatten wir damit eine Plattform für geflüchtete syrische Künstlerinnen und Künstler in Berlin geschaffen. Viele der dort versammelten Akteurinnen und Akteure kannten das Goethe-Institut Damaskus noch aus ihrer Heimat. Das Projekt war ein voller Erfolg – es förderte den Austausch untereinander, aber auch den Austausch mit deutschen Partnerinnen und Partnern, und brachte neue Projekte hervor, beispielsweise einen Stadtführer speziell für Geflüchtete.

“Laskavo Prosymo”, “kha raglast”, “vitaem”. Dass wir heute in weiteren Sprachen – auf Ukrainisch, Pashtu, Belarussisch – begrüßen, zeigt dass sich die Welt verändert hat, leider nicht zum Besseren. Kriege und Gewalt führen dazu, dass ganze Bevölkerungsgruppen ihre Länder verlassen müssen, außerhalb ihrer Länder Zuflucht suchen und nicht mehr zurück können.

Innerhalb von Gesellschaften wird die freie Meinungsäußerung eingeschränkt und die Zivilgesellschaft, sowie die freie Kultur- und Bildungsszene unter Druck gesetzt. Viele Menschen verlassen ihre Heimatländer. Auch wenn die Arbeit vor Ort schwieriger wird, können die Goethe-Institute in vielen Ländern weiterhin arbeiten und ihre Partner vor Ort auch unter schwierigen Umständen unterstützen. In Belarus, Afghanistan, der Ukraine und Syrien ist das nicht so – wir alle wissen, wie es aktuell um diese Länder bestellt ist.

Die ersten Konzepte für das Goethe-Institut im Exil entstanden bereits im Jahr 2021, als Reaktion auf die Situation in Ländern, in denen das Weiterarbeiten in der bekannten Form nicht mehr möglich war, womöglich auch, weil das Goethe-Institut als Ort nicht mehr zur Verfügung stehe konnte. Noch wichtiger als die Orte sind aber die Menschen –wir verfügen über enge Kontakte in die Kulturszenen der Länder, in denen wir teils jahrzehntelang erfolgreich mit Partnerinnen und Partnern zusammengearbeitet haben.

Von 1997 bis 2002 war ich Institutsleiter in Kiew und als ich 2002 die Stadt verließ, plagte mich lange das Heimweh nach Kiew und der Ukraine. Wie viel größer muss das Heimweh derer sein, die dort aufgewachsen sind und jetzt ihr Land verlassen mussten. Derer, deren Angehörige das Leben vor Ort aufrechterhalten und auch gegen den Angreifer kämpfen. Wie groß ist das Leid derjenigen, die sich direkt im Kriegsgebiet befinden und dort dem Schrecken des Krieges ausgesetzt sind. Das Buch „Internat“ von Serhij Zhadan beschreibt diese Situation in einer Stadt im Osten der Ukraine. Es beschreibt Menschen, die zwischen den Fronten umherirren – orientierungslos, verloren und unsicher, aber auch mit Hoffnung. „Internat“ ist ein Beispiel dafür, warum Literatur, Kunst, Film und Theater in diesen Zeiten besonders wichtig sind.

„Hinter den erfrorenen Sonnenblumen ziehen sich die Strommasten wie Stangen für Fischernetze. In der Senke, weit weg, hinter den Feldern, dunklen mit nassem Fell die kahlen Bäume der Datschensiedlung. In diesem Winter sind die Bäume irgendwie besonders: Wachsam wie Tiere erzittern sie bei jeder Explosion, behalten ihre Wärme bei sich… Die Rinde ist feucht und schutzlos – du berührst sie und befleckst dich mit ihrem dunklen Schmerzenssaft wie mit Farbe, wie mit Blut aus Schnittwunden." (Zhadan, Serhij (2018): Internat)

Weit deutlicher als Fernsehbilder und Zeitungsreportagen bringen sie uns das Land und das Leben der Menschen in der Ukraine näher. Sie bilden Emotionen, Gefühle, Ängste, Mut und Menschlichkeit ab und gehen dabei unter die Oberfläche und unter die Haut. Deshalb sind Kultur und Kunst in diesen Zeiten so wichtig, und auch deshalb ist es so wichtig, Plattformen und Begegnungsmöglichkeiten für Kunst- und Kulturschaffende zur Verfügung zu stellen – gerade in der Diaspora und gerade im Exil.

Das Goethe-Institut im Exil ist eine Plattform und ein geschützter Raum für Kunst- und Kulturschaffende um sich außerhalb ihrer Länder auszutauschen, ihre Arbeit fortzusetzten und diese vorzustellen. Das Goethe-Institut im Exil bietet gleichzeitig die Möglichkeit, Netzwerke zu schaffen und auszubauen. Im Fall der Ukraine ermöglicht es außerdem, die eigene Kultur des Landes weiter darzustellen, denn – viele Künstlerinnen und Künstler sind dageblieben, oder sind auch zurückgekehrt. Sie beklagen, dass die ukrainische Kulturszene zu wenig als eigenständige Kulturszene wahrgenommen werde. Oksana Sabushko sagt in einem Interview mit dem Standard in Wien: „Die Ukraine wurde vom Westen nie als wichtig wahrgenommen. Meine Karriere im Ausland fällt mit dem politischen Auftauchen und Verschwinden der Ukraine in den internationalen Nachrichten zusammen.“ Oder Andrej Kurkov im „Tagebuch einer Invasion“: „In der Ukraine ist der Zukunftsglaube sehr präsent. Das liegt vor allem daran, dass sich Kulturschaffende jeder auf seine oder ihre Weise dem Krieg gestellt haben, weil fast jeder von ihnen an der einen oder anderen Front einen Nutzen für seine Fähigkeiten und Talente finden konnte. Alle teilen sie ein gemeinsames Anliegen: die Unabhängigkeit ihres Heimatlandes zu schützen.“
Also ist das Goethe-Institut im Exil – und das sieht man am Programm des Eröffnungsfestivals – auch ein Ort, an dem ukrainische Kulturschaffende aus der Ukraine mit dem deutschen Publikum in Kontakt und Austausch treten.

Das Goethe-Institut sieht sich in der Verantwortung: Das physische Goethe-Institut in Kiew ist seit dem Februar geschlossen, aber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, arbeiten von ganz unterschiedlichen Orten aus auf Hochtouren. Das Goethe-Institut hat zahlreiche Programme aufgelegt, mit denen wir im Bereich der deutschen Sprache Geflüchteten das Ankommen erleichtern. Mit denen wir einen solidarischen Beitrag zur Stabilisierung der Kunst- und Kulturszene in der Ukraine und ihren Nachbarländern leisten. Mit denen wir Künstler und Kulturschaffende direkt unterstützen. Und mit denen wir ukrainische Kulturschaffende und Institutionen mit ihren Counterparts in Deutschland und Europa verbinden.

Besonders freue ich mich auf die Frankfurter Buchmesse, bei der das Goethe-Institut in diesem Jahr den Auftritt der Ukraine unterstützt. Dafür gilt mein Dank insbesondere dem Auswärtigen Amt und dem deutschen Bundestag, die für diese Aktivitäten Sondermittel zur Verfügung gestellt haben. Mein Dank gilt aber natürlich auch meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die das Goethe-Institut im Exil betreuen: Olena Lykhovodova und Olga Sievers mit ihrem Team und den Kolleginnen und Kollegen unserer Kulturabteilung, Wolf Iro, Marina May, Anja Dunkel und Marc-André Schmachtel. Mein besonderer Dank gilt den Künstlerinnen und Künstlern, die bei der Eröffnung von Goethe-Institut im Exil dabei sind.

Auch auf europäischer Ebene unterstützen wir als EUNIC, der Vereinigung der europäischen Kulturinstitute, die ukrainische Kulturszene. Und ich freue mich an dieser Stelle besonders, dass die Mitglieder des Vorstands von EUNIC gerade in Berlin sind: Camilla Mordhorst vom dänischen Kulturinstitut, Auschrine Zilinskiene vom litauischen Kulturinstitut, Ondrej Czerny vom tschechischen Kulturinstitut und der Geschäftsführer von EUNIC in Brüssel Andrew Manning.

Zum Schluss möchte ich noch einen Bogen spannen zwischen der arabischen Welt und der Ukraine. Ich erwähne den 11. September 2001. Jeder erinnert sich, wo er an diesem Tag war. Ich war im Goethe-Institut Kiew. Ich war bei meinem Mitarbeiter Igor Berdnikov im Büro und wir haben gemeinsam dem schrecklichen Schauspiel zugesehen, wie große Flugzeuge in die New Yorker Hochhäuser flogen.
Es war damals in Kiew unmöglich zu glauben, dass auch die Ukraine von ähnlicher Gewalt heimgesucht wird. Alles war in Aufbruchsstimmung und von Hoffnung geprägt. Kurz darauf übernahm ich die Leitung des Goethe-Instituts Kairo. Der 11. September hatte im Verhältnis zum Nahen Osten den Charakter einer Zeitenwende. Neue Mittel wurden für den Dialog der Kulturen zur Verfügung gestellt. Wir dachten unsere Arbeit neu: Wie konnten wir die Zivilgesellschaft stärken, wie konnten wir Gruppen erreichen, zu denen wir bisher keinen Kontakt hatten? Wie gestalten wir die Arbeit in schwierigen Kontexten? Man war damals in der deutschen Außenpolitik sehr froh, in den Städten des Nahen Ostens mit dem Goethe-Institut ein Kulturnetzwerk zu haben, das man in dieser Situation noch stärker aktivieren konnte. Dabei wurde eins sehr deutlich: Kultur war in einer Zeit des Misstrauens zwischen der arabischen Welt und „dem Westen“ eine solide und verbindende Brücke - eine der wenigen. Gleichzeitig ging der Kultur-und Bildungsaustausch mit der Ukraine, in Osteuropa, in vielen Teilen der Welt, die damals nicht dieser akuten Krise ausgesetzt waren, weiter.

Auch heute sind wir in einer Zeitenwende, in der sich Spaltungen in der Welt, in und zwischen Gesellschaften vertiefen. In der, der Kulturaustausch gefordert ist, Verständigung und Zusammenhalt zu schaffen, aber auch Positionen der Freiheit und der Offenheit zu vertreten. Wir müssen neu überlegen, wie wir Bewährtes fortsetzen, aber auch anders neu akzentuieren und manche Dinge ganz neu denken.
Eine Erfahrung sollten wir jedoch mitnehmen: Krisen können überall passieren. Auch dort, wo sie niemand erwartet. Und dann ist es essenziell, dass man über langfristige Kontakte des Vertrauens verfügt, an die man anknüpfen kann und die kooperieren wollen, auch wenn es schwierig ist. Dass man über Glaubwürdigkeit verfügt, die sich über langjährige Zusammenarbeit aufbaut. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir für Deutschland mit dem Goethe-Institut ein weltweites Kulturnetzwerk haben, das diese Eigenschaften für Deutschland mitbringt. Und ich hoffe, dass dies auch in Zukunft so bleibt.

Meinen herzlichen Dank an alle, die heute gekommen sind und an alle unsere Partnerinnen und Partner, die weltweit mit uns zusammenarbeiten.
 

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