Johannes Ebert am 30. Januar 2024 in Schwäbisch Hall
Fachkräftepotenziale im Ausland nutzen: Vorbereitung und langfristige Bindung von internationalen Talenten

Vortrag von Johannes Ebert beim Gipfeltreffen der Weltmarktführer in Schwäbisch Hall am 30.01.2024

Wer von Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist mit seinem oder ihrem Unternehmen vom Mangel an Fachkräften betroffen? Bei wem ist Englisch die Unternehmenssprache?

Bevor ich auf unser Thema komme, ganz kurz einige Informationen zum Goethe-Institut. Das Goethe-Institut ist in 98 Ländern mit 158 Goethe-Instituten tätig. Wir haben weltweit etwa 4000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und einen Gesamtetat von 431 Mio. Euro. Wir sind als eingetragener Verein im Auftrag des Auswärtigen Amtes weltweit unterwegs. Über ein Drittel unseres Gesamtetats erwirtschaften wir selbst mit Sprachkursen und Prüfungen auf der ganzen Welt. Wir fördern den internationalen Kulturaustausch und den globalen Dialog. Wir fördern Deutsch im Ausland, bieten Deutschkurse in Deutschland an und vermitteln Informationen über Deutschland. Unsere Vision: Im Austausch mit der Welt. Für Vielfalt, Verständigung und Vertrauen.
Sie können sich vorstellen, dass wir in diesen unruhigen Zeiten intensiv gefordert sind, dieses Vertrauen in Deutschland herzustellen.

Durch unser großes Netzwerk erreichen wir viele Menschen: Gemeinsam mit unseren Sprachkurskooperationspartnern 2023 weltweit ca. 280.000 Sprachkursteilnehmer und über 912.000 abgelegte Sprachprüfungen. Allein in Deutschland verzeichneten die 12 Goethe-Institute im Jahr 2023 über 54.000 Kursteilnahmen und über 74.000 Prüfungen. Gerade in Asien, Südamerika oder Nordafrika, sind viele – auch viele gut ausgebildete – Menschen darunter, die in Deutschland arbeiten wollen oder sich schon ganz konkret auf einen Stellenantritt vorbereiten.
Im Oktober war ich am Goethe-Institut Vietnam. Das Goethe-Institut dort brummt wie ein Bienenhaus. An meinem ersten Tag vor Ort haben sich im Hof des Goethe-Instituts etwa 150 Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer versammelt. Dann wurde eine Frage gestellt: „Wer Deutsch lernt, um in Deutschland zu arbeiten, bitte auf die rechte Seite stellen“. Schnell hat sich dort eine große Gruppe gebildet. Sie alle lernen Deutsch, weil sie in Deutschland arbeiten möchten. Pflegeberufe und technische Studienfächer an einer Hochschule in Deutschland genießen Priorität. Viele der Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer haben bereits Verwandte oder Bekannte in Deutschland. Einige wenige haben bereits Kontakt zu deutschen Firmen. Und alle sind hoch motiviert, Deutsch zu lernen und sich auf Deutschland vorzubereiten. Denn diesen jungen Menschen ist klar: Deutschkenntnisse und ein Grundwissen, wie unser Land funktioniert, sind wichtige Voraussetzungen für den Erfolg im Beruf und in der Gesellschaft. Es geht also nicht nur darum, Deutsch zu lernen, sondern sich auf einen neuen Lebensabschnitt in einem völlig neuen Land vorzubereiten.

Dies sind oft ganz konkrete Fragen, die den Kolleginnen und Kollegen an den Goethe-Instituten begegnen: Wie kann ich meine Zeugnisse anerkennen lassen? Wie funktioniert eine Krankenversicherung? Wie kann ich mein Kind in der Schule anmelden?
Unsere Erfahrung zeigt deutlich: Deutschland wird als attraktiver Wirtschaftsstandort wahrgenommen. Als ein Land, das gute Lebensbedingungen und interessante berufliche Möglichkeiten bietet.

Dieses Interesse trifft auf Sie: auf Unternehmen, die weiterhin hohe Fachkräftebedarfe melden. Wer von Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, beschäftigt bereits Fachkräfte aus dem Ausland in seinem oder ihrem Unternehmen? Wer von Ihnen beabsichtigt, das in der nächsten Zeit zu tun und entsprechende Schritte zu unternehmen?

Im Dezember ist der „Fachkräftemigrationsmonitor“ der Bertelsmann Stiftung erschienen. Bei dieser im Sommer 2023 durchgeführten Studie wurden 7.500 Unternehmen befragt. Dabei zeigte sich, dass nur knapp 17 Prozent der Unternehmen im Ausland rekrutieren. Die Rekrutierung von Fachkräften aus dem Ausland im Vergleich zu anderen Maßnahmen – zum Beispiel verstärkt auszubilden, Frauenerwerbstätigkeit zu steigern oder Geflüchtete zu integrieren – eher zurückhaltend. Doch die Politik ist bereits dabei, die Rahmenbedingungen der Einwanderung zu verbessern. Die Erwerbsmigration aus Drittstaaten stieg 2022 von 40.000 auf etwas mehr als 70.000 Personen. Mit der Novellierung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, das bis Mitte des Jahres schrittweise in Kraft tritt, werden wichtige Erleichterungen umgesetzt. Ziel sind 130.000 Einreisen zur Erwerbstätigkeit oder Arbeitsplatzsuche pro Jahr. Wir sind überzeugt, dass diese Zahl ansteigen wird. So hat das IAB – Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung – errechnet, dass wir jährlich eine Nettozuwanderung von 400.000 Personen benötigen, damit das Arbeitskräfteangebot langfristig konstant bleibt. Gerade auch Menschen aus dem außereuropäischen Ausland – Asien, Südamerika oder Nordafrika – werden ein wichtiger Baustein der Fachkräftesicherung für die deutsche Wirtschaft sein.

Die Bertelsmann Stiftung hat die Unternehmen auch nach den größten Hürden gefragt, die gegen eine Rekrutierung im Ausland sprechen. Inzwischen nennen Unternehmen, die bereits Erfahrungen mit der Rekrutierung internationaler Fachkräfte haben, mit 62% sprachliche Verständigungsschwierigkeiten als Haupthürde der Auslandsrekrutierung. Erstmals werden Aspekte wie bürokratische oder rechtliche Hürden oder die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen als weniger herausfordernd als die sprachliche Verständigung eingeschätzt. Dies wird vermutlich auch in den nächsten Jahren eine Rolle spielen: Es wird zwar für eine Reihe von Fachkräften gerade auch in akademischen Berufen mit der neuen Gesetzgebung nicht mehr notwendig sein, für die Visumsvergabe Deutschkenntnisse nachzuweisen. Aber die Erfahrungen zeigen: Deutsch ist weiterhin in vielen Feldern notwendig, um sich hierzulande in der Arbeit zurechtzufinden. Deutsch ist notwendig, wenn sich Menschen in unserer Gesellschaft engagieren sollen. Nicht nur beim Einkaufen, sondern auch im Fußballverein oder beim guten Umgang mit den Nachbarn. Deutsch ist notwendig, wenn sich Menschen hier wohlfühlen sollen und dann auch gerne hierbleiben. Deutsch ist der Schlüssel zur erfolgreichen Teilhabe und Integration. Deutsch ist notwendig für den Erfolg in Deutschland.

Mit den Worten von Tristan Simpson aus Australien, der heute in Deutschland als Tischler arbeitet: „Deutsch für mich zu lernen, war ganz wichtig am Anfang. Ich konnte irgendwo hingehen und arbeiten und die sagten „Du arbeitest, dann, dann, und dann“ Und ich sagte: „Ok, ja, ich verstehe dich“ Und das war ganz wichtig für mich, weil … ich wollte hier wohnen… Ich wollte hier auch bleiben!“
Bei Fachkräften aus dem Ausland empfehlen wir von Seiten des Goethe-Institutes die Einreise mit einem fortgeschrittenen Sprachniveau, idealerweise mit dem Deutschniveau B2- Das bedeutet, Menschen können sich spontan und fließend verständigen und in Texten komplexere Inhalte verstehen. Mindestens aber empfehlen wir die Einreise mit dem Deutschniveau A2. D.h. die Person kann sich zumindest in einfachen, routinemäßigen Situationen verständigen – eine gute Basis, um in Deutschland weiterzulernen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Deutschland, die noch kein oder wenig Deutsch sprechen, sollten beim Spracherwerb unterstützt werden, z.B. indem Sie für einige Stunden in der Woche freistellen und Kurse finanziell unterstützen. Und eines ist wichtig: Deutsch ist nicht schwierig! Man kann es gut lernen durch modernen, kommunikativen, lernerzentrierten Deutschunterricht. Oder um es wissenschaftlich mit den Worten von Prof. Dr. Olaf Bärenfänger, dem Direktor des Sprachenzentrums der Universität Leipzig, zu sagen: „Wir sollten das Image vom „schweren Deutsch“ nicht noch verstärken, sondern einfaches Deutsch situationsbezogen vermitteln.“ Oder mit den Worten eines Betroffenen, von Tadeu Lima, einem Bauingenieur aus Brasilien, der heute in Deutschland Autobahnen baut „Deutschlernen war im Endeffekt das Einfachste am gesamten Integrationsprozess und beim Ankommen in Deutschland.“

Unsere Beobachtung ist aber auch: Für ein gutes Ankommen und langfristigen Verbleib internationaler Fachkräfte in den Unternehmen und in unserem Land bedarf es mehr als Sprache: Es braucht fundierte Informationen über Alltag und Arbeitsleben, auch im Sinne eines Erwartungsmanagements; sowie eine gute Begleitung in der ersten Zeit in Deutschland. Dies bieten wir als Goethe-Institut bereits seit über zehn Jahren im Projekt „Vorintegration und Übergangsmanagement“. Dank einer Kooperation mit dem BAMF und einer Kofinanzierung aus EU-Mitteln sind diese Angebote kostenlos. Inzwischen sind wir an über 60 Standorten im In- und Ausland mit über 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aktiv. Bis Mitte 2025 werden wir rund 100.000 potenzielle Zuwandernde im In- und Ausland erreichen. Die Vorbereitung im Ausland ist vielfältig: Informationsveranstaltungen zur Arbeitssuche und Visabeantragung, interkulturelle Trainings, Beratungen zu individuellen Fragen wie Schulbesuch der Kinder, Ausreise von Ehegatten.
Es geht aber auch um den Umgang und das Leben in einer fremden Gesellschaft. Denn manchmal sind die Unterschiede groß, wie eine Stimme aus Vietnam zeigt: „Im Kurs lernt man viel über die Tabus in Deutschland und auch über das Alltagsleben wie die Trennung von Müll. Ich war am Anfang schockiert, dass man das Wasser direkt aus dem Wasserhahn benutzt“. Diese interkulturelle Vorbereitung gibt Sicherheit in einem fremden Umfeld.
Anknüpfend an solche Angebote im Ausland oder auf digitalen Kanälen betreuen Kolleginnen und Kollegen, sog. Willkommenscoaches, an sechs Goethe-Instituten in Deutschland weiter: mit kostenlosen Infoveranstaltungen oder Lernberatung, online oder in Präsenz, und vielem mehr. Da darf ich auch auf unser „Infohaus“ – 50 Stück werden wir davon in Deutschland aufstellen – hinweisen, eine Holzstruktur in Form eines kleinen Hauses; gespickt mit Informationen für Zuwandernde in 30 Sprachen. Ein Exemplar finden Sie hier in Schwäbisch Hall, in der Stadtbibliothek, 15 Minuten von hier am Marktplatz. Es wurde im Dezember gemeinsam mit Herrn Bullinger eröffnet und ist jetzt zugänglich für alle, die sich über Integrationsangebote in Schwäbisch Hall informieren möchten.

Vor diesem Hintergrund möchten wir ganz konkret mit Ihnen zusammenarbeiten:

1) Nutzen Sie die kostenlosen Angebote der Vorintegration im Ausland und der Willkommenscoaches in Deutschland. Die Kollegin, Lisa Beck, ist Willkommenscoach am Goethe-Institut in Mannheim. Sie ist Ansprechpartnerin für ausländische Fachkräfte, organisiert Veranstaltungen – auch zugeschnitten auf Ihre Bedürfnisse, z.B. zum Thema Wohnen, Gesundheit, Arbeit, soziale Integration oder Lernberatung für Deutsch.

2) Unterstützen Sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die noch nicht so gut Deutsch sprechen, beim Erlernen der Sprache. Die Goethe-Institute im Ausland und auch in Deutschland können hier gute Anlaufstellen sein. In Deutschland sind wir an zwölf Standorten, unter anderem hier in Schwäbisch Hall, aber auch in Mannheim, Freiburg und Frankfurt. Die Institutsleiterin aus Schwäbisch Hall, Frau Hecklau, ist während der Konferenz vertreten. Sie finden Sie zusammen mit Kolleginnen am Stand des Goethe-Instituts. Das Kursangebot ist vielfältig, online und in Präsenz, Kleingruppenkurse, Kurse spezifisch für den Beruf und auch Prüfungen können bei allen Goethe-Institut abgelegt werden. Darüber hinaus gibt es Unterstützung im Onboarding-Prozess, z.B. Interkulturelle Trainings.

3) Gehen Sie mit uns in Austausch für gemeinsame Projekte. Ein wichtiges Arbeitsfeld für uns im Ausland ist die Zusammenarbeit mit Schulen, an denen Deutsch unterrichtet wird. Darunter sind auch immer mehr berufsbildende Schulen. Wir sehen hier ein interessantes Entwicklungsfeld für die Zuwanderung in die Ausbildung: Die Schulabgängerinnen und Schulabgänger sprechen bereits etwas Deutsch, haben sich mit Deutschland beschäftigt und sind hochmotiviert. In ersten Projekten machen wir hierzu gute Erfahrungen, den „Ausbildungspartnerschaften“ im Gesundheitsbereich in Lateinamerika. Ähnliches sehen wir in unseren zahlreichen Projekten zur sprachlichen und interkulturellen Vorbereitung von fertig ausgebildeten Fachkräften. Das Interesse an Deutschland und die Bereitschaft, sich auf ein Arbeitsleben in Deutschland einzulassen, ist bei den Menschen im Ausland groß. Aber sie brauchen Informationen und eine gute Vorbereitung und Begleitung. Sie brauchen aber auch eine Arbeitsstelle und einen Arbeitgeber oder eine Arbeitgeberin, die sich auf diese Prozesse einlassen.

Hier aktiv zu werden liegt aus unserer Sicht in der Hand der Wirtschaft selbst. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Branchenverbände. Um als Goethe-Institut mit unserem weltweiten Netzwerk in größerem Maße wirksam zu werden, sind weitergehende Kooperationen auch mit mittelständigen Unternehmen und Branchenverbänden nötig. Wir teilen unsere Erfahrungen gerne und denken mit Ihnen zusammen weiter. Kommen Sie auf uns zu!

Bitte lassen Sie mich, bevor ich zum Schluss komme, noch auf eine Sache zu sprechen kommen, die mir sehr am Herzen liegt: Die Ablehnung von Zuwanderung, die in der aktuellen, leider manchmal polemischen und einseitigen Debatte in unserem Land ein Übergewicht bekommt, halte ich für sehr gefährlich. Denn sie wird im Ausland wahrgenommen. Sie wird im Ausland auch von denen wahrgenommen, die wir in Deutschland brauchen und die wir haben wollen. Wir brauchen eine offene und empathisch Willkommenskultur, denn nur durch Zuwanderung können wir unseren Wohlstand sichern. Wir brauchen eine offene und empathische Willkommenskultur. Nur dann kommen die zu uns, die wir brauchen. Denn beim Ringen um wichtige Fachkräfte, wartet niemand darauf, bis Deutschland sich sortiert hat. Viele attraktive Länder von Kanada bis Korea sind hier unterwegs, mit mehr Erfahrung und erprobten Mechanismen, die wir hier erst noch lernen müssen. Und um es auch noch mit den Worten von Hubertus Heil, dem Arbeitsminister der Bundesrepublik Deutschland, zu sagen: „Wir sind eine offene Gesellschaft, darauf gründet auch unser wirtschaftlicher Erfolg. Qualifizierte Fachkräfte, die wir für Deutschland dringend gewinnen müssen, werden nur dann kommen, wenn sie sicher sein können, dass sie hier nicht ausgegrenzt oder gar bedroht werden."

Bitte erlauben Sie mir also diesen kleinen Appell an Sie als Unternehmerinnen und Unternehmer, mit Ihrer starken Stimme aus der Mitte der Gesellschaft für diese gute Willkommenskultur in unserem Land einzutreten. Denn sie ist in unser aller Interesse!

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