12. Mai 2025
Eröffnung des Forums „Vorbereiten. Begleiten. Ankommen.“ des Goethe-Instituts

- Es gilt das gesprochene Wort - 

Am 10. Oktober letzten Jahres bekam ich spät am Abend eine SMS. Das ist ja normalerweise nichts Ungewöhnliches – aber in diesem Fall schon. Denn ich lag gerade in Hamburg im Krankenhaus, am nächsten Tag sollte ich früh am Meniskus operiert werden, und die SMS kam aus dem Auswärtigen Amt. Ob ich schon wisse, dass ich knapp 2 Wochen später mit dem Bundeskanzler und dem halben Kabinett nach Indien reisen sollte – zum Thema Fachkräfte. Nein, das wusste ich noch nicht.

Und so kam es dann auch. Auf Krücken ging es in den Regierungsflieger, und tatsächlich war es eine große Delegation – allein aus dem damaligen Kabinett waren es neben Bundeskanzler Scholz die Außenministerin Baerbock, Wirtschaftsminister Habeck, Arbeitsminister Heil, Forschungsministerin Stark-Watzinger, neben einer Wirtschaftsdelegation, zahlreichen Presse-Vertreter*innen, Personenschützern und dem sogenannten Protokoll.

Die Gewinnung von Fachkräften – dieses Thema mobilisiert Politik und Wirtschaft, und mich auf Krücken – denn es ist eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit, für die es gemeinsame Initiativen aus den unterschiedlichen Ressorts braucht, zusammen mit Unternehmen, den Handelskammern, unserer Gesellschaft mit einer Willkommenskultur.

Indien ist eines der priorisierten Länder der Fachkräfte-Strategie der Bundesregierung, in der auch das Goethe-Institut eine tragende Rolle spielt, für die Förderung des Spracherwerbs, für Deutsch-Zertifikate für die Einreise und den neuen Job, aber auch für die Begleitung des persönlichen Migrationsprozesses. In Indien kommen jeden Monat eine Million (!) junger Fachkräfte auf den Arbeitsmarkt. An den Goethe-Instituten in Indien werden jedes Jahr 170.000 Deutsch-Prüfungen durchgeführt – und der Bedarf ist noch viel größer. Mit den Ministern Baerbock und Heil konnten wir während der Reise an unserem Goethe-Institut in Neu Delhi mit eben solchen Fachkräften sprechen – einer Krankenschwester aus Kerala, die bei uns Deutsch gelernt hat und nun überlegt, an eine Klinik in Deutschland zu kommen – einem jungen Busfahrer, der in der Logistik einen Job sucht, mit einer Unternehmerin, die sich in Deutschland mit einer Bäckerei selbständig machen möchte. Sie alle hatten Fragen an die beiden Minister zum Ankommen in Deutschland – zu Visa, wie sie den passenden Job finden, wie das Leben in Deutschland aussieht – aber es gab auch kritische Fragen, 20% hätten die AFD gewählt, ob man als Inderin, als Inder denn in Deutschland willkommen wäre. Die Migrationsdebatte, die sich hauptsächlich um die Verhinderung illegaler Migration dreht, wird im internationalen Kontext sehr genau verfolgt – und schadet unserem Ansehen, weil sie schweigt über die erwünschte Erwerbsmigration und die vielen anderen Formen der Migration von Menschen, weil sie schweigt über unsere Willkommenskultur, die Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen bei uns begrüßen möchte. Denn eine solche Kultur brauchen wir, und die müssen wir gemeinsam gestalten.

Unser Projekt „Vorintegration und Übergangsmanagement“, dessen Ergebnisse wir Ihnen heute vorstellen, greift genau diesen Punkt auf. Ich gebe zu, an dem Titel können wir noch etwas arbeiten, der klingt noch nicht so sehr nach Willkommen – aber die Ergebnisse schon, das kann ich Ihnen versichern! Kofinanziert vom Asyl-, Migrations- und Integrationsfond (AMIF) der Europäischen Union, ist es das größte Vorintegrationsprojekt Deutschlands in dieser Form. An 61 Standorten weltweit konnten wir Personen aus Drittstaaten auf dem Weg nach Deutschland unterstützen – mit Beratungsangeboten für Neuzuwandernde und Infos zur Orientierung im Alltags- und Arbeitsleben in Deutschland, und natürlich mit Sprachförderangeboten, konkreten landeskundlichen Angeboten sowie Angeboten zur interkulturellen Sensibilisierung. In Deutschland haben wir neben unseren 12 Instituten 50 Infohäuser und sechs Willkommenscoaches, die das Ankommen persönlich begleiten. Unser Webportal “Mein Weg nach Deutschland” hat pro Jahr durchschnittlich 700.000 Zugriffe.

Wir konnten damit einen substanziellen Beitrag zur Unterstützung regulärer Migration nach Deutschland leisten. Bis Ende 2024 haben wir bereits 66.000 Personen mit unseren Programmen erreicht, unser Ziel zum Ende der dreijährigen Projektlaufzeit ist es, 90.000 Menschen tatkräftig zu unterstützen.
Unsere Stärke als Goethe-Institut ist dabei ein kultursensibler, respektvoller Umgang in allen Phasen des Migrationsprozesses. Es geht bei uns um eine große Nähe zu den Menschen, ihren Familien und ihren jeweils persönlichen Bedürfnissen – daher wählen wir auch länderspezifische Ansätze, um auf die jeweiligen Bedürfnisse reagieren zu können.

Ich war im Februar an unserem Institut in Mexiko City und konnte mich von dem herausragenden Angebot überzeugen. Ein gut ausgebildeter Mund-Gesichts-und Kiefern-Chirurg, der bei uns Deutsch gelernt hatte, war für einen Austausch nach Berlin an die Charité gekommen und trug sich nun mit dem Gedanken, dauerhaft als Arzt nach Deutschland zu kommen. Genau solche Menschen brauchen wir! Er nahm unsere Beratung in Anspruch – bei Fragen zum Visum, aber auch für Kontakte etwa über die IHK / AHK, aber auch ganz pragmatische Fragen – was kostet ein Haarschnitt in Deutschland? Wie ist das Wetter? Gibt es auch eine  mexikanische Community vor Ort?
Mich hat unser Angebot wirklich beeindruckt – das kleine Büro mit drei Mitarbeiter*innen war überlaufen mit Anfragen, das Interesse ist sehr groß. Und gerade beim Thema bürokratische Hürden auf dem Weg nach Deutschland können wir helfen. Wichtige Vokabeln beim Deutschlernen sind dabei: Anerkennung, Qualifikation, Abschluss, Gleichwertigkeit, Antragsformular
Denn, wie sang Reinhard Mey doch so schön

Sie brauchen nur einen Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars zur Bestätigung der Nichtigkeit des Durchschriftexemplars dessen Gültigkeitsvermerk von der Bezugsbehörde stammt zum Behuf der Vorlage beim zuständ’gen Erteilungsamt

Auch das singen wir gemeinsam in unserem Büro zu Vorintegration und zum Übergangsmanagement.
Auch das gehört zur deutschen Kultur!

Und ein weiteres neues Wort habe ich gelernt – ich war gerade am Freitag, am Europatag, in Straßburg, um unsere deutsch-französische Kooperation zu Kultur und Sprache vor Ort durch ein Memorandum of Understanding zu festigen. Die Grenzregion um Strassburg und das Elsass ist wie ein Labor Europas – hier wird die Europäische Zusammenarbeit auch für die Arbeitswelt jenseits von Grenzen praktiziert. Und das neue Wort, das ich gelernt habe:

Grenzüberschreitende Gesetzesfolgenabschätzung.

Aber zurück zum Goethe-Institut: Uns ist es ein besonderes Anliegen, Migration und Integration aus einem Guss mitzugestalten – und damit die Fachkräftestrategie der Bundesregierung zu unterstützen. Unsere große Reichweite im Ausland mit unseren 150 Instituten und unseren unschätzbar wertvollen Netzwerken vor Ort bieten dafür die besten Rahmenbedingungen als Brücke vom Herkunftsland bis in die Integrationssysteme des Bundes. Für die Menschen, die nach Deutschland kommen wollen, ist das Goethe-Institut vor Ort häufig der erste Kontakt mit Deutschland, das erste Bild, das sie bekommen – mit unseren Kulturveranstaltungen, Film-Screenings, gemeinsamen Kochen, mit unseren Bibliotheken und Informationen. Und unserer Freundlichkeit, Nahbarkeit, unserem Vor-Ort-sein. Gemeinsam eine – neudeutsch würde man Customer-Journey sagen – zu gestalten, einen Ankommen-Prozess aus einem Guss, aus Sicht der Menschen, die nach Deutschland kommen möchten, das muss unser Ziel sein – und das können wir nur in den starken Kooperationen mit unseren Partnern: den AHKs und IHKs, der GIZ, den Unternehmen, den Botschaften, dem BMAS, den Welcome-Centern und kommunalen Einrichtungen in Deutschland, anderen Projektträgern (wie z.B. der Diakonie) sowie unzähligen weiteren lokalen Partnern an den Projektstandorten.
 
Ich freue mich sehr, diese dicht gefüllten zwei Tage Programm heute mit Ihnen eröffnen zu können – um Ergebnisse zu präsentieren, Erfahrungen auszutauschen, Potentiale zu identifizieren, und mit Projektmitarbeitenden aus allen Projektregionen ins Gespräch zu kommen, um gemeinsam die nächsten Schritte zu vereinbaren. Denn unser Ziel ist klar: die Fachkräfte-Gewinnung gemeinsam zu gestalten, Menschen hier willkommen zu heißen, die nicht nur unser Arbeitsmarkt dringend braucht, sondern die auch unsere Gesellschaft so sehr bereichern, und ihnen hier eine neue Heimat zu geben.

Übrigens – um Ihnen meine Geschichte mit dem Meniskus noch zu Ende zu erzählen: ich habe nach der OP natürlich intensiv Physiotherapie gemacht und hatte eine indische Physiotherapeutin in Berlin. Sie sprach perfekt deutsch – und Sie dürfen raten, bei wem sie das gelernt hat: natürlich beim Goethe-Institut!

In diesem Sinne: Ihnen und uns allen einen guten Austausch!


 

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