06. juni
Eröffnung des Festivals "Once We Were Trees, Now We Are Birds"
- Es gilt das gesprochene Wort -
ONCE we were trees, now we are birds
Ein so poetischer Titel, der aber wehmütig macht – denn als Bäume haben wir Wurzeln, einen starken Stamm und eine Krone, in unseren Blättern können die Vögel nisten. Now we are birds – entwurzelt, mussten wir fortfliegen, uns auf den Weg machen, um in fremden Landschaften, auf fremden Bäumen Zuflucht zu finden, womöglich ein Nest zu bauen, temporär – oder auf Dauer. Dieses Bild beschreibt das Exil, das Thema dieses Festivals ist, aber auch das Schicksal der Künstler*innen, die im Rahmen der Martin Roth Initiative eingeladen wurden. Ihr Schicksal teilen sie mit zu vielen Menschen auf der Welt.
Laut UNHCR lebten 2024 weltweit etwa 43 Millionen Menschen im Exil. Etwa 122 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Seine Heimat zu verlassen, Zuflucht zu suchen, ins Exil zu gehen, ist kein Phänomen mehr, das wenige Menschen betrifft – es sind viel zu viele. Auch Kulturschaffende geraten weltweit immer mehr unter Druck, müssen ihr Land verlassen, weil die Meinungsfreiheit eingeschränkt ist, weil sie verfolgt werden aufgrund ihrer kritischen Haltung, ihrer Unbequemlichkeit.
In einer Zeit, in der zivilgesellschaftliche Freiräume weltweit auf diese Weise unter Druck geraten, braucht es gezielte, mutige und nachhaltige Antworten. Die Martin Roth-Initiative haben wir als Goethe-Institut gemeinsam mit dem ifa – Institut für Auslandsbeziehungen im Jahr 2017 ins Leben gerufen und sie steht exemplarisch für eine solche Antwort: Sie stärkt Künstler*innen dort, wo sie bedroht sind.
Seit der Gründung im Jahr 2017 sind 572 Künstler*innen aus 41 Ländern mit 125 Gastorganisationen gefördert worden.
Die Biografien der Menschen, die Teil unseres Schutzprogramms sind, erzählen uns nicht nur persönliche Lebensgeschichten – sie sind ein Spiegel politischer Umbrüche, ein Zeugnis von Mut und Ausdruck künstlerischer Kraft. Ich möchte Ihnen daher heute von Ma Thida erzählen –eine der bekanntesten Schriftstellerinnen Myanmars. Und sie ist weit mehr als das: Chirurgin, öffentliche Intellektuelle, Präsidentin des PEN Myanmar – und eine ehemalige politische Gefangene.
In ihren Texten verarbeitet Ma Thida nicht nur ihre persönlichen Erfahrungen, sondern auch die kollektiven Traumata eines Landes im Umbruch. Während ihres Stipendiums der Martin Roth-Initiative arbeitete sie an der Fortsetzung ihres berühmten Romans The Roadmap. Gleichzeitig unterstütze sie aus dem Exil heraus die Protestbewegung in Myanmar, sprach auf Podien, in Interviews, bei Veranstaltungen über die Situation in ihrem Heimatland. In einem Gespräch beschrieb Ma Thida ihre Arbeit im Exil als ein Spannungsfeld: Die Sehnsucht nach den eigenen Wurzeln bleibt (hier wird wieder das Bild des Baumes mit seinen Wurzeln deutlich), während sie gleichzeitig versucht, die neue Umgebung mit all ihren Herausforderungen und Projektionen auf sich selbst zu verstehen. Das Stipendium habe ihr geholfen, sich zu vernetzten und ihre Ziele, die zuvor unerreichbar schienen, weiterzuentwickeln – now we are birds. Und das alles ist nicht selbstverständlich – wie findet man innere Stabilität im Zustand der Staatenlosigkeit? Wie leben im Neuen? Auch hier hat sie durch das Stipendium ihren Weg gefunden.
Das Beispiel von Ma Thida zeigt eindrucksvoll, wie Programme wie die MRI nicht nur Einzelpersonen schützen und stärken, sondern auch demokratische Narrative und zivilgesellschaftliche Bewegungen weltweit unterstützen können. Die temporäre Integration in lokale Kunst- und Kulturszenen hier in Deutschland ermöglicht es den Stipendiat:innen aus einem sicheren Raum heraus neue Perspektiven auf ihre künstlerische Arbeit, aber auch auf die Situation in ihrer Heimat zu entwickeln. Vielleicht ist es für einige auch ein Neuanfang.
Gleichzeitig gestalten die Künstler*innen in ihren neuen Ankunftskontexten aktiv gesellschaftliche Teilhabe und schaffen Verbindungen, die einen unverzichtbaren Beitrag zur Pluralisierung unserer Gesellschaft leisten – in Zeiten, in denen genau diese Offenheit und Vielfalt hier in Deutschland zunehmend unter Druck geraten. Sie bereichern uns und unsere Gesellschaften.
Als gemeinsames Projekt zwischen Partnerorganisationen, Gastgeberinstitutionen und Künstler:innen leistet die Martin Roth Initiative so einen konkreten Beitrag zur Aufrechterhaltung von Meinungsfreiheit, Kunstfreiheit und demokratischen Werten. Und gerade jetzt ist der Schutz und die Stärkung dieser Werte nicht nur ein „nice to have“, sondern überlebenswichtig – auch für Deutschland. Das ist unsere politische Verantwortung in der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, das ist unser Auftrag als Goethe-Institut.
Mit unserem Goethe-Institut im Exil sind wir ein zentraler Partner dieses Projekts. Hier bieten wir nicht nur Schutz, sondern auch eine Bühne für Stimmen, die in ihren Herkunftsländern zum Schweigen gebracht wurden. Und ich freue mich sehr, dass wir in den kommenden drei Tagen diese Bühnen hier im ACUD mit dem Goethe-Institut im Exil, mit einem so spannenden und widerständigen Programm bespielen werden.
Once we were trees, now we are birds – lassen Sie uns mit diesem Bild in die kommenden Tage gehen. Und in diesen so schönen hellen Nächten hört man in Berlin im Tiergarten die Nachtigallen – achten Sie mal darauf, das ist wunderschön – vielleicht waren sie alle einmal Bäume?
Herzlichen Dank an alle beteiligten Künstler*innen, an die Kurator*innen und unsere MRI-Stipendiat*innen. Danke an das Team Goethe-Institut im Exil, das Team Kommunikation des Goethe-Instituts, das Team Martin Roth-Initiative, Team ifa und Team ifa Galerie, das Team ACUD und die Produktionsleitung des Festivals.