12. September 2015
Neueröffnung des Goethe-Instituts im Stadtzentrum von Tunis

Begrüßungsrede des Präsidenten des Goethe-Instituts Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann

1958 – vor fast 60 Jahren – wurde das Goethe-Institut im Herzen der Stadt Tunis gegründet. Es ist damit das älteste Institut im Maghreb, eines von 160 Goethe-Instituten in der Welt. Von Anfang an waren die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Künstlern und Kulturakteuren aus Tunesien und Deutschland geprägt von gegenseitiger kreativer Neugier, von Offenheit und einem gleichwertigen interkulturellen Dialog. Es war über die vielen Jahrzehnte ein Frei- und Dialograum. Nicht umsonst schreibt der Künstler Halim Karabibene in der Broschüre zur Neueröffnung: „Dieser Ort war für mich und für eine ganze Generation von jungen Künstlern, Filmemachern vor allem ein Inselchen der Kultur und der Freiheit. Die Filmvorführungen und die Ausstellungen deutscher Avantgarde gaben uns Kraft und Hoffnung für unser Schaffen, für unser Agieren.“ Solche Zitate finden sich mehrfach in der Publikation.

Der Dialogbegriff ist für das Goethe-Institut zentral. Die Chancen liegen in der langjährigen gegenseitigen Kenntnis und dem Vertrauen, das in dieser Zeit gewachsen ist, aber auch in dem Umstand, dass er nicht einem fertig ausgearbeiteten einseitigen Plan folgt sondern in einer kreativen Lerngemeinschaft geführt wird. Es ist ein Wechselspiel des Erlebens, der Erfahrung und der Reflexion. Damit wird es ein Dialog zum praktischen Handeln und zur Nachhaltigkeit.

Das wunderbare Haus in der Stadtmitte von Tunis musste wegen erheblicher Bauschäden 2006 verlassen werden. Nach neun Jahren kehrt das Goethe-Institut an seinen Ursprungsort zurück – mit großer Freude und mit großer Erwartung auf die neuen erweiterten Arbeits- und Programm-Möglichkeiten. Es ist ein architektonisches Kleinod, das die Baukunst Tunesiens in eleganter und gleichzeitig funktionsbezogener Weise widerspiegelt. Es wird das offene Haus bleiben, das es auch vorher war, offen für seine Besucher, Deutschlerner und Partner, offen aber auch für das Neue, das Ungewöhnliche und das Überraschende.

Auch wenn wir in das „alte Haus“ zurückkehren, so wissen wir, man kann nicht zwei Mal in den gleichen Fluss steigen, so ein Zitat von Heraklit. Die Welt hat sich geändert, Deutschland hat sich verändert, besonders aber Tunesien. Es war das Ursprungsland des „Arabischen Frühlings“.

Als 2011 das weltweite Goethe-Institut seinen 60. Geburtstag in Berlin mit vielen Gästen aus der ganzen Welt feiern konnte, hatten wir als Festredner den tunesischen Theatermacher Fadhel Jaibi eingeladen, der uns alle zutiefst beeindruckt und auch emotional ergriffen hat als er über die  junge tunesische Revolution sprach.

Ich erinnere mich an eine Aussage seiner Rede über die Chancen der Revolution, die er gleichzeitig poetisch als auch zurückhaltend formulierte. Er sagte sinngemäß: „Die westliche Welt nennt diese Revolution die „Jasmin Revolution“. Ich hätte mir einen anderen Namen gewünscht, denn der Jasmin ist zwar eine wunderschöne Pflanze, aber er blüht nur einen einzigen Nachmittag und Abend und verblüht sehr schnell.“ Aber so wie er glauben viele Künstlerinnen und Künstler, insbesondere auch jüngere, an die Kraft der Kunst. Für sie alle sind Bildung und Kultur die einzigen Wege, die in Richtung Demokratie führen. Für sie ist die Kunst nicht naiv sondern sie steht im Dienst des Menschen, um Dinge zu verändern, Klischees zu hinterfragen, dem politisch Korrektem zum Durchbruch zu verhelfen, der Jugend eine Perspektive zu geben.

Für das Land wurde wegen der jüngsten Terroranschläge seit Juli 2015 vorübergehend der Ausnahmezustand verhängt. Tunesien ist und bleibt aber der Hoffnungsträger für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie und verdient jede Unterstützung im Kampf gegen das menschenverachtende Zerstörungswerk der terroristischen Zellen und seiner Mitläufer. Zu Recht hat der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier hierfür seine Unterstützung zugesagt.

Als ich 2012 das letzte Mal in Tunesien war konnten wir mit dem Kulturministerium verschiedene Projekte seitens des Goethe-Instituts vereinbaren. Eines betraf die Erhaltung und Restaurierung des reichen Architekturerbes Tunesiens, das auch die kulturelle Identität dieses wunderbaren Landes ausmacht.  Entstanden ist eine beeindruckende Analyse  islamischer und antiker Stätten, die als Leitfaden für eine künftige Sicherung der bedeutenden historischen Bauwerke dienen kann und den Verfall aufhalten kann. Das Projekt „Architektonisches Erbe“  kommt in Gang, besonders  die antiken Städte Musti und Ain Tounga und Testour, im 17. Jahrhundert entstanden,  sind im Fokus der Aktivitäten. Das Minarett der großen Moschee von Testour hat etwas höchst Ungewöhnliches: eine Uhr, deren Ziffern von rechts nach links verlaufen und keine Zeiger und kein Uhrwerk mehr hatte. Das Goethe-Institut hat zu einer Spendenaktion ermuntert und tatsächlich, eine Bürgerinitiative hat das Geld zusammengebracht. Die Uhr wurde dank des herausragenden Engagements Einzelner restauriert. Diese partizipatorischen Initiativen zeigen die Zukunft, nicht die Auslöschung von Geschichte und Identität wie in Palmyra, Mossul oder Ninive durch den Islamischen Staat. Das moderne Tunesien bekennt sich zu Karthago oder Testour.  Es ist nicht geschichtslos und es hat eine eigene Identität.

Nach der Revolution 2011 hat sich die Arbeitsweise des Goethe-Instituts verändert. Es geht jetzt vor allem um die Unterstützung der gesellschaftlichen Transformation Tunesiens mit Mitteln von Kultur- und Bildungsarbeit. Das Interesse am Austausch mit Deutschland ist groß, die Erwartungen hoch. Dem wollen wir auch gerecht werden. Die Gelder, die uns die deutsche Regierung aus dem Fonds der Transformationspartnerschaft bereitstellt, geben uns größere Spielräume, die wir mit unseren tunesischen Partnern nutzen.

Mit unserer Arbeit setzen wir Schwerpunkte:

  • Zur Professionalität von Kunst und Kulturvermittlung. 2012 ist es zur Etablierungeiner Kulturakademie gekommen. Dazu gehören Kulturmanagement mit Fortbildungsmodulen in Tunesien und Deutschland, Tanzpädagogik mit internationalen Standards, ein Förderprogramm von 2014 bis 2016, Theatertechnik für Bühnenbildner und Lichttechniker, 2012 und 2013, Realisierung von Kurzfilmproduktionen mit Wettbewerben sowie Urheber- und Autorenrecht.
  • Zum kulturellen Dialog. Dazu gab es unter anderem die Ausstellung im Bardo-Museum „Klee, Macke, Moilliet – Tunis 2014“
  • Zur Erreichbarkeit besserer Lebensumstände. Das ist ein internationales Projekt des Goethe-Instituts, das als Internet-Plattform best practice-Beispiele zeigt zum Gelingen von Initiativen und Projekten ( Future Perfect)
  • Zur Qualität von Schulen. Hier unterstützt das Institut die Reform des Bildungswesens (TUNESS), engagiert sich in der Fortbildung von Deutschlehrern und betreut fünf PASCH-Schulen beim Auf- und Ausbau von Abteilungen für deutsche Sprache.
Weiterhin besteht eine steigende Nachfrage nach Deutsch. Jedes Jahr werden Zuwächse von ca. 20% bei Deutschlernern und bei Prüfungen des Goethe-Instituts verzeichnet. Im neuen Haus und unter Beibehaltung der bisherigen Kursräume verfügt das Goethe-Institut nun über 10 Unterrichtsräume. Das ist aber noch immer zu wenig. Überlegt wird deshalb eine Filiale außerhalb von Tunis zu eröffnen.

Deutschkenntnisse werden vor allem für das Studium in technischen und naturwissenschaftlichen Fächern sowie in Medizin benötigt. Außerdem gibt es eine große Nachfrage für Deutsch im Beruf. Im deutsch-tunesischen Mobilitätspakt arbeitet das Goethe-Institut mit der GIZ zusammen, um Austauschprogramme für Ingenieure zu organisieren.

Derzeit sind aufgrund des schwierigen tunesischen Arbeitsmarktes noch immer fast ein Drittel der Hochschulabsolventen arbeitslos. Es ist deshalb wichtig, Perspektiven für eine positive Berufsperspektive zu entwickeln. Das kann einerseits eine berufliche Zukunft in Deutschland sein oder aber – was für die Aufbauarbeit in Tunesien wichtig ist – die in Deutschland erworbene Qualifikation in Tunesien verfügbar zu machen. Da deutsche Unternehmen Tunesien nicht verlassen haben und derzeit der Ausbau einiger Industriezweige, insbesondere der Solarenergie, von der deutschen Regierung erheblich gesteigert wird, ergeben sich hier neue Möglichkeiten.

Zum Schluss möchte ich eine Initiative vorstellen, die mir gerade für eine Gesellschaft im Wandel besonders hilfreich zu sein scheint und die der Mentalität des Goethe-Instituts als Vermittler und Ermöglicher sehr nahe ist: Das Kulturlabor.

Kulturlabor bezeichnet das Erproben neuer Arbeitsformen, Inhalte oder Formate – innerhalb und außerhalb des Goethe-Instituts. Beispielsweise Kunst im Auftrag von Bürgern oder künstlerische Techniken, wie „Flux lumineux“, künstlerisches Arbeiten mit Licht.

Was am Eröffnungsabend heute an der Fassade des Goethe-Instituts zu sehen ist, eine Lichtinstallation von Hartung und Trenz und was in sechs Innenräumen von deutsch-tunesischen Künstler-Kuratoren-Tandems installiert ist, könnte ein Auftakt für weitere Lichtarbeiten sein. Das Kulturlabor ist aber für alle Präsentationsformen von Kunst offen.

Ich hoffe sehr, dass sich die Aufbruchstimmung heute allen Freunden des Goethe-Instituts mitteilt und viele neue Freunde damit gewonnen werden, ich hoffe sehr, dass Kunst und Kultur als Lebensnotwendigkeit einer Gesellschaft begriffen werden, ich hoffe sehr, dass unsere gemeinsame Arbeit zu einer allseits stimulierenden Geistesfreiheit führt.

Denjenigen, die das Goethe-Institut  in diesem Haus wieder heimisch werden lassen, die mit  intellektueller und kultureller Ausstrahlung ein Stück menschlicher Zukunft und Gemeinsamkeit  schaffen,  sei herzlich gedankt. Christiane Bohrer, Sie und Ihr großartiges Team haben alle Wertschätzung verdient.

Herzlichen Glückwunsch!

Es gilt das gesprochene Wort.
 
 

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