28. August 2016
Verleihung der Goethe-Medaille 2016

Begrüßung durch Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts

Sehr geehrte Frau StV Ministerpräsidentin Heike Taubert,
Liebe Herr Ministerialdirigent Görgen,
Lieber Herr Oberbürgermeister Wolf,
Sehr verehrte Damen und Herren Abgeordnete des Deutschen Bundestages und des Thüringer Landtages,
Exzellenzen, Präsidenten, Direktoren, Prinz Michael und Prinzessin Dagmar,
Sehr verehrte Präsidiumsmitglieder und Mitglieder des Goethe-Instituts,
verehrte Mitglieder der Kommission zur Verleihung der Goethe-Medaille,
Hoch verehrte Festversammlung,
 
ich heiße Sie herzlich Willkommen in Weimar. Weimar ist nicht nur ein Ort der Klassik und der Romantik, Weimar hat mit der Bauhausbewegung die Architektur der Moderne geschrieben und der ersten Demokratie Deutschlands mit der Weimarer Republik ihren Namen gegeben. Vor genau 25 Jahren wurde das Weimarer Dreieck von den Außenministern Frankreichs, Deutschlands und Polens gegründet, mit dem Ziel, eine gewichtige Stimme für ein gemeinsames Europa zu bilden. Kein Europäer soll sich in einem europäischen Land als Fremder fühlen! Deshalb nehmen die derzeitigen Außenminister bei ihrem diesjährigen Treffen in Weimar ganz besonders die jungen Europäer und das Versprechen Europas für sie in den Blick.  Weimar sollte sich auch mit seinen Ressourcen an Kultur und Bildung den modernen gesellschaftlichen Themen widmen. Schließlich bedarf es einer gemeinsamen Verantwortung für einen europäischen Kulturraum.
 
Johann Wolfgang von Goethe liefert uns dazu selbst die geistigen Vorgaben, wenn er im 2.Heft seiner Zeitschrift „Über Kunst und Alterthum“ schreibt: „Vielleicht überzeugt man sich bald: dass es keine patriotische Kunst und patriotische Wissenschaft gebe. Beide gehören, wie alles Gute, der ganzen Welt an und können nur durch allgemeine, freie Wechselwirkung aller zugleich Lebenden, in steter Rücksicht auf das was uns vom Vergangenen übrig und bekannt ist, gefördert werden“. Goethe plädiert für Weltoffenheit und Weltneugier, für Wertschätzung von Vielfalt und der Gleichwertigkeit der Anderen, für Verstehen und Verständigen durch Begegnung und Austausch, und zugleich des Eigenen bewusst sein.
 
In diesem Sinn ist Goethe nicht nur unser Namensgeber. Der eben zitierte Dialogbegriff ist für das Goethe-Institut zentral, ein Dialog, der wirkliche Antworten gibt und damit Verantwortung eingeht – ein Dialog des praktischen Handelns. In einer Zeit der zunehmenden Radikalisierung und Abschottung, in der Furcht und Hass zu Wegbegleitern werden, ist er wichtiger denn je.
 
 Wir haben nicht ohne Grund als Leitthema für die diesjährige Verleihung der Goethe-Medaillen Migration der Kulturen – Kulturen der Migration gewählt. Jedes Jahr ist die Verleihung der Goethe-Medaille im Weimarer Stadtschloss an Goethes Geburtstag ein Glanzpunkt in der Wertschätzung  des kulturellen Dialogs, der gleichwertigen und eigenständigen Begegnung von Kulturen und ihrer aktiven Vermittlung.
 
Migration stellt ein extremes Beispiel des Zusammentreffens verschiedener kultureller Kontexte dar – mit allen Chancen und Risiken. Mehr denn je ist deshalb die Fähigkeit zur kulturellen Annäherung nicht nur ein hohes Gut, sondern – davon bin ich überzeugt – eine Notwendigkeit, um aktuelle Herausforderungen anzugehen und zu bewältigen.
 
Über 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Eine Folge der globalen Migrationsbewegungen sind fragmentierte Gesellschaften. Die globale Vernetzung – physisch und digital – stellt uns vor Aufgaben, die wir nur auf dem Weg der kulturellen Annäherung lösen können. Gerade weil diese Welt so viel Unterschiede, Ungleichzeitigkeiten und Brüche zeigt, weil sie ein hohes Maß an Veränderungsbereitschaft der Menschen abfordert, bieten Weltformeln oder rein ökonomische Sichten kaum ausreichende Lösungswege.
 
Ohne ein kulturelles Verständnis, ohne Dialogfähigkeit wird unsere Welt immer weniger lesbar. Genau deshalb braucht es Menschen mit der Fähigkeit des Umgangs mit kulturellen Unterschieden, mit der Kenntnis anderer Modelle des Zusammenlebens, mit Mehrsprachigkeit und mit Empathie, die sie immer wieder einsetzen, um oft gegensätzliche kulturelle Muster auszutarieren.
 
Zivilgesellschaftliche Gruppen im Bildungs- und Kulturbereich zu fördern und Diskussionen zwischen Kunstschaffenden oder Intellektuellen aus Europa und aus Krisenländern anzuregen, ist daher in diesen Tagen ein Schwerpunkt in der Arbeit des Goethe-Instituts. Hierfür gilt es, geschützte Frei- und Dialogräume zu schaffen – Begegnungsorte, in denen man ungehindert arbeiten, reden und gestalten kann und sich in einem interkulturellen Dialog aktiv austauscht. So können Kulturen der Migration entstehen! Man spürt besonders in schwierigen Zeiten: Kultur ist nicht die Spielwiese der Intellektuellen und Künstler, sie ist die Basis und das Ferment der Gesellschaft.
 
Den Heimatländern unserer Preisträger kommt im Kontext der Migration eine besondere Rolle zu: Georgien und die Ukraine haben immer wieder Wellen der Migration erlebt, insbesondere von Künstlern und Intellektuellen während der stalinistischen Herrschaftsjahre. Nicht wenige wurden erst im Exil bekannt. Die Ukraine leidet derzeit wiederum unter erheblichen Belastungen, die zu äußerer oder innerer Migration führen.
 
Afrika, der Heimatkontinent unseres dritten Preisträgers, ist ganz aktuell von Migrationsprozessen betroffen: Von der Migration nach Europa, aber vor allem auch innerhalb des Kontinents. Die Hälfte der Bevölkerung Afrikas ist 18 Jahre und jünger, bis zum Jahr 2050 wird sich die Bevölkerung auf über 2 Milliarden verdoppeln. Die Stadtbevölkerung wächst mehr als doppelt so schnell wie die Landbevölkerung. Über die Hälfte der Bevölkerung in Afrika lebt mittlerweile in Städten.
 
Das Goethe-Institut engagiert sich gemeinsam mit Architekten, Stadtplanern und Aktivisten aus Subsahara-Afrika und Deutschland mit einer Vielzahl von Projekten für nachhaltigen Urbanismus. Zudem verfolgen wir einen präventiven Ansatz mit unseren Programmen, die die kulturelle Infrastruktur gerade in von Migration geprägten Ländern stärken: So im Bereich Musik mit der Plattform „Music in Africa“ gemeinsam mit der Siemens-Stiftung, im Bereich Fotografie mit den „Centers of Learning Photography in Africa“, an dem unser Preisträger Akinbode Akinbiyi beteiligt ist. Zukunftsentwürfe für Afrika müssen in Afrika entstehen.
 
Drei unermüdliche interkulturelle Mittler, drei herausragende Persönlichkeiten, die sich in ihrer Arbeit mit dem hochaktuellen Thema  „Migration der Kulturen – Kulturen der Migration“  auseinandersetzen – fotografisch, wissenschaftlich und literarisch – ehren wir heute mit der Goethe-Medaille 2016.  Es ist uns eine große Freude, sie am Tag von Goethes Geburtstag für ihr Schaffen auszeichnen zu können. Alle drei Preisträger haben sich um den interkulturellen Austausch zwischen ihren Herkunftsländern und Deutschland verdient gemacht. Alle drei empfinden eine tiefe Begeisterung und Faszination für Deutschland, die deutsche Sprache und die deutsche Kultur. Alle drei treten offen und bestimmt für die Begegnung und den Austausch mit Deutschland ein und sind zentrale Stimmen des kulturellen und intellektuellen Diskurses in ihren Heimatländern. Alle drei kennen die Herausforderungen von Migration aus persönlicher Erfahrung und setzen sich mit dieser auseinander. Für uns sind sie treue Freunde, kluge Gesprächspartner, kritische Berater, wichtige Wegbegleiter – und nicht selten auch Wegbereiter – der Arbeit der Goethe-Institute im Ausland.
 
Nun zu unserem ersten Preisträger. Als Schriftsteller ist Juri Andruchowytsch eine der bedeutendsten intellektuellen Stimmen der Ukraine und als Übersetzer zugleich Brückenbauer für die deutsche Literatur. Selbst im ehemaligen Galizien, der heutigen Westukraine, in einer multiethnischen, multireligiösen Umgebung aufgewachsen,  steht Herr Andruchowytsch für die europäischen Werte der Anerkennung von Vielfalt und Mehrsprachigkeit. Das Schwerpunktthema der Goethe-Medaille 2016 „Migration der Kulturen – Kulturen der Migration“ füllt er mit persönlicher Erfahrung und intellektueller Reflexion.  Mit seiner eigenen schriftstellerischen Arbeit machte er das literarische Territorium seines Heimatlandes einem deutschen Publikum bekannt. Er vertraut auf die Bildungsmacht der Literatur. Damit ist er ganz nah bei den Idealen der Weimarer Klassik. Herzlich Willkommen in Weimar, lieber Herr Andruchowytsch! Wir freuen uns, dass Sie unserer Einladung gefolgt sind.
 
Die Lobrede auf Sie wird Ihre Übersetzerin Sabine Stöhr halten, die ihr Werk bis auf den letzten Buchstaben kennt. Die studierte Slawistin und Publizistin ist nicht nur eine herausragende Übersetzerin, sie ist seit 20 Jahren im diplomatischen Dienst tätig und kennt Sie und Ihre Heimat aus erster Hand. Ihre regionale Zuständigkeit macht Sie aufgrund der aktuellen Entwicklungen zu einer viel beschäftigten Diplomatin, aber gerade diese authentischen Erfahrungen bilden wohl einen wichtigen Bezugspunkt zu Ihrem Laureaten. Herzlich Willkommen in Weimar, liebe Frau Stöhr!
 
Der nigerianische Fotograf Akinbode Akinbiyi ist ein unermüdlicher interkultureller Mittler. Er erkundet die urbanen Zentren Afrikas und Europas am liebsten zu Fuß mit seiner analogen Mittelformatkamera.  Mit seinen beeindruckenden Aufnahmen aus dem Alltag afrikanischer Großstädte bringt er den Betrachtern das urbane Leben in Afrika und die dortigen Migrationsbewegungen näher und vermittelt einen Eindruck der rasanten Veränderungen, die diese durchlaufen. An der dokumenta 14 ist er im nächsten Jahr mit neuen Arbeiten vertreten. Er ist einer der wichtigsten künstlerischen Mittler zwischen Deutschland und Afrika südlich der Sahara. Sehr verehrter Akinbode Akinbiyi, mit Ihnen erstmals einen Preisträger der Goethe-Medaille  aus Subsahara-Afrika zu erleben, erfüllt uns mit großer Freude. Herzlich willkommen!
 
Ihre Laudatio wird die Fotografin Eva Leitolf halten. Die kritische Auseinandersetzung mit Praktiken der Bildproduktion und der Bildkontextualisierung ist zentral für ihre Arbeiten, die sich mit Kolonialismus und Migration auseinandersetzen. Eva Leitolf dokumentiert in Bild und Text jene Orte, an welchen sich die globale Migration in konkreten Konflikten auf Individualebene manifestiert. Auch Ihnen ein herzliches Willkommen, liebe Frau Leitolf.
 
Nun zum dritten im Bunde. Lieber David Lordkipanidze, ich freue mich ganz besonders, dass wir uns heute hier in Weimar anlässlich der Verleihung der Goethe-Medaille wiedertreffen. Wir kennen uns noch aus meiner Zeit als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, mit der Sie in regem Austausch standen und stehen. Ihre Initiative zur Berliner Ausstellung der prähistorischen georgischen Goldfunde „Medeas Gold“ 2007 war ein entscheidender Beitrag zu den deutsch-georgischen Kulturbeziehungen. Als Direktor des Georgischen Nationalmuseums engagiert sich David Lordkipanidze seit Jahrzehnten im postsowjetischen Raum für die Modernisierung der Museumslandschaft und den Austausch zwischen georgischen und deutschen Wissenschaftlern und Museumsexperten. Außerdem hatte ich das Privileg, den Salon des Vaters Ihrer Schwiegermutter, Wladimir Gudiaschwili zu erleben, der ihm als Atelier diente und der die Kunstgeschichte Georgiens beeindruckend widerspiegelt, besonders auch durch seine eigenen Werke. Ein Erlebnis! Lieber David Lordkipanidze, herzlich willkommen!
 
Friederike Fless, die Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts, wird die Laudatio auf unseren Preisträger halten. Der Forschungsschwerpunkt der Archäologin und Historikerin liegt neben der römischen Religionsgeschichte und des antiken Handels auch auf Fragen des kulturellen Erbes und des Kulturaustausches. Sehr verehrte, liebe Frau Fless, ein herzliches Willkommen und Dank für Ihre Bereitschaft, heute in Weimar David Lordkipanidze vorzustellen.
 
Kurz einführen möchte ich Sie auch in das heutige Musikprogramm.  Gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Transcultural Musical Studies an der Hochschule für Musik Franz Liszt hier in Weimar stellen wir Ihnen Musik mit einer Verbindung zu den Heimatländern unserer Preisträger vor. Kuratiert hat das Programm Prof. Tiago Oliveira Pinto, dem ich herzlich dafür danke.
 
Juri Andruchowytsch ist die Komposition „Feuervogel“ der in Deutschland lebenden ukrainischen Pianistin und Komponistin Marina Baranowa gewidmet – eine poetische Hommage an ihr Heimatland.
 
In „For Africa“ übernimmt Bertram Lehmann musikalische Elemente der zwei afrikanischen Musiker Christo Greyling und Mukasa Wafula, um sie zu einer neuen Komposition zu verarbeiten. Die sieben-saitige kenianische Leier Litungu gehört zu den ältesten Instrumenten Ost-Afrikas. Ihr Klang dient der Begleitung von Epenliedern und von gesungenen Erzählungen. Sie steht im Zentrum der Komposition. Das Klavier und die Perkussion liefern im musikalischen Dialog dazu Reminiszenzen an die Gegenwart.
 
Zuletzt singt der Kammerchor der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar zwei Madrigale – als Hommage an die Vokalpolyphonie Georgiens, dem Heimatland  unseres Preisträgers David Lordkipanidze.
 
Ich möchte auch nicht versäumen, mich noch einmal ausdrücklich bei der Klassik Stiftung Weimar zu bedanken. Lieber Herr Seemann – einen passenderen, festlicheren und eindrucksvolleren Rahmen als das Stadtschloss Weimar könnten wir uns für die Verleihung der Goethe-Medaille kaum wünschen!
 
Gemeinsam mit dem Kunstfest Weimar hat das Goethe-Institut im Rahmen einer Diskussionsrunde schon gestern die Möglichkeit zur Begegnung mit den drei diesjährigen Preisträgern ermöglicht sowie eine Ausstellung von Fotografien Akinbode Akinbiyis im Gärtnerhaus der Galerie Eigenheim. Wir bedanken uns beim Kunstfest Weimar und der Galerie Eigenheim für die  ausgezeichnete Zusammenarbeit.
 
Und nun freue ich mich, das Wort an die Stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes Thüringen, zu übergeben. Bitte sehr, verehrte Frau Taubert!
 
Ihnen allen eine wunderbare Festveranstaltung und herzlichen Dank.

Es gilt das gesprochene Wort.

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