02. November 2016
Eröffnung der Deutsch-Israelischen Literaturtage

Grußwort des Präsidenten des Goethe-Instituts Klaus-Dieter Lehmann

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich freue mich, Sie heute Abend auf der Eröffnung der Deutsch-Israelischen Literaturtage zu begrüßen. Dieser literarische Austausch unserer beiden Länder auf höchstem Niveau hat inzwischen Tradition: Seit 2005 laden die Heinrich-Böll-Stiftung und das Goethe-Institut deutsche und israelische Autorinnen und Autoren abwechselnd nach Tel Aviv und Berlin ein.

Israel ist ein wichtiger Fokus unserer Arbeit. Das galt auch und ganz besonders für das Jahr 2015. Mit einem interdisziplinären Programm hat das Goethe-Institut 12 Monate lang das 50-jährige Jubiläum der deutsch-israelischen diplomatischen Beziehungen gemeinsam mit zahlreichen israelischen Partnerinstitutionen gefeiert. Auch die Deutsch-Israelischen Literaturtage 2015 in Israel unter dem Dachthema „Zurück aus der Zukunft“ waren Teil des Programms. Das deutsch-israelische Jahr hat gezeigt: Die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel sind lebendig und dynamisch – und das gegenseitige Interesse spiegelt sich in allen Facetten des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens wider.

Eine Veranstaltung hat mich im letzten Jahr besonders berührt. Sie zeigte Verbindungen auf, die so nicht bekannt und vorstellbar waren – die Eigenständigkeit von Kulturgut auch in unmenschlichen Zeiten. Sie hat mit unserem Thema zu tun, dem Drucken von Texten!

Das Goethe-Institut hat gemeinsam mit dem Literaturarchiv Marbach und dem Israel Museum Jerusalem eine Ausstellung für das Israel Museum konzipiert. Sie befasste sich mit der sensationellen Entdeckung von Arbeiten dreier jüdischer deutscher Buchgestalter, die in den 30er Jahren wegen der Nationalsozialisten nach Palästina emigrieren mussten: Moshe Spitzer, Franzisca Baruch und Henri Friedlaender. Sie schufen die modernen Schriften des jungen Staates Israel. Das ist so faszinierend, wir mussten die Ausstellung machen und sie wurde ein großer Erfolg. Ich meine, auch in Deutschland sollte man um diese Beziehung wissen. Deshalb möchte ich die Ausstellung 2017 nach Berlin und Leipzig bringen.

Wir sind uns der historischen Verantwortung des Zivilisationsbruchs im 20. Jahrhundert bewusst. Vor diesem Hintergrund beobachten wir mit Freude, dass insbesondere bei den jüngeren Israelis das Interesse an Deutschland wächst, das sich teils jenseits retrospektiver Familienhistorie und damit verbundener Traumata, teils aber auch ganz bewusst mit Bezug auf diese Erinnerungen formiert. Dieser Entwicklung wollen wir mit unseren Programmen gerecht werden und mit diesen im Gedenken an die Vergangenheit einen sensiblen und reflektierten Blick auf die Gegenwart werfen. So auch bei den diesjährigen deutsch-israelischen Literaturtagen!

Literatur kann wie kaum eine andere Kunstgattung die Gesellschaft spiegeln, verhandeln und vermitteln. Sie kann fehlende Brücken bauen, durch die vereinte Arbeit von Autorinnen und Autoren, von Übersetzerinnen und Übersetzern. Sie ist unverzichtbar! Das gilt insbesondere in unserem globalen, transnationalen Zeitalter. Es ist ein Zeitalter, das geprägt ist von Migration – dem hochaktuellen Dachthema der diesjährigen Deutsch-Israelischen Literaturtage mit dem Titel „Im Neuland“. Gegenwärtig sind so viele Menschen auf der Flucht wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr: Es sind 60 Millionen Geflüchtete, viele davon in Afrika. Eine neue Dimension hat die Migration 2015/2016 erreicht, bei der innerhalb eines Jahres rund 800 000 Flüchtlinge in Deutschland Aufnahme suchten.

Deutschland ist bereits seit längerem ein Zuwanderungsland. 20 Millionen Menschen mit ausländischen Wurzeln leben hier. Für alle ist die deutsche Sprache der Schlüssel zur Integration. Deutschland hat in den zurückliegenden Jahren eine enorme Integrationsleistung vollbracht, nicht nur für die Eingliederung von Fachkräften. Längst gibt es Musiker, Filmemacherinnen, Bildende Künstler und natürlich Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die sich ganz selbstverständlich als Teil der deutschen Kultur verstehen. Sherko Fatah, Pierre Jarawan, Marica Bodrozic und Shida Bazyar, die Sie alle in den nächsten Tagen erleben können, sind hierfür beispielhaft und bereichern die deutschsprachige Literatur durch ihre jeweiligen, ganz eigenen Perspektiven.

Auch die israelischen Autorinnen und Autoren, die im Rahmen der deutsch-israelischen Literaturtage hier zu Gast sind, vermitteln eine Vielzahl von Perspektiven auf Migration und interkulturelle Begegnungen im heutigen Israel. So diskutiert der israelische Schriftsteller Germaw Mengistu, selbst aus Äthiopien stammend, mit Pierre Jarawan über die Suche nach den eigenen Wurzeln. Anat Einhar schreibt über die Erfahrungen einer dunkelhäutigen Soldatin in der israelischen Armee. Dorit Rabinyan wiederum schrieb einen Liebesroman über die Beziehung einer israelischen Jüdin und eines Palästinensers in New York, die ihre Liebe aber in der jeweils eigenen Heimat geheim halten müssen. (Anmerkung, nur für den Hintergrund: Letzteres Buch wurde vom israelischen Erziehungsministerium im Januar diesen Jahres von der Leseliste für die Oberstufe gestrichen!) Yonatan Berg verarbeitet in seinen Texten seine Kindheit in einer streng-religiösen Familie in einer Westbank-Siedlung. Einige der genannten Autorinnen und Autoren wurden bislang nicht auf Deutsch publiziert. Die Textauszüge hat das Goethe-Institut eigens für die Veranstaltung übersetzen lassen und wir freuen uns, Ihnen die Texte dieser großartigen Schriftstellerinnen und Schriftsteller in den nächsten Tagen erstmals zugänglich machen zu können.

Erstmals zeigen wir im Rahmen der Deutsch-Israelischen Literaturtage auch eine TV-Serie: Die erfolgreiche israelische Serie „Fauda“ (Anmerkung: Arabisch für „Chaos“). Fernsehserien sind seit einigen Jahren das Medium schlechthin – und „Fauda“ gehört zu den besten Produktionen. (Anmerkung: Diese Serie ist deshalb so bemerkenswert, weil sie weder die Israelis überhöht noch die Palästinenser verteufelt. Es beschreibt die Aktivitäten einer israelischen Undercover-Eliteeinheit, die in die palästinensische Gesellschaft eingeschleust werden, um dort Hamas-Aktivisten „unschädlich“ zu machen. Es geht um ihre Zweifel, die familiären Konflikte, die dies bei den Agenten hervorruft usw. Es wird aber auch das persönliche Leben der Palästinenser beschrieben, die Gründe für die Verzweiflung, der Mensch hinter dem Terroristen). Es freut uns besonders, dass die Drehbuchautorin Leora Kamenetzki am Sonntag persönlich über die Stoffentwicklung und auch die Rezeption der Serie in Israel berichten wird.

Lieber Etgar Keret: In Ihrem ersten nicht fiktionalen Buch „Die sieben guten Jahre. Mein Leben als Vater und Sohn“ erzählen Sie von der Zeit zwischen der Geburt Ihres Sohnes und dem Tod Ihres Vaters. Ungewöhnlich ist, dass es in vielen Ländern veröffentlicht wurde – auch im Iran – auf Ihren Wunsch hin aber nicht in Israel. Mit diesem Buch betreten daher auch Sie gleich mehrfach „Neuland“. Anfang dieses Jahres erschien es in einer deutschen Übersetzung von Ihnen, lieber Daniel Kehlmann. Ich heiße Sie beide herzlich Willkommen zum Eröffnungsabend und bin gespannt auf Ihre Ausführungen.
Ich bedanke mich abschließend im Namen des Goethe-Instituts bei der Heinrich-Böll-Stiftung – namentlich bei Christian Römer und seinem Team – für die ausgezeichnete Zusammenarbeit. Mein herzlicher Dank gilt auch allen Organisatoren und natürlich ganz besonders den anwesenden Autorinnen und Autoren und ihren Übersetzerinnen und Übersetzern.

Einen inspirierenden Abend!

Es gilt das gesprochene Wort.

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