16. November 2016
Eröffnung Vila Sul

Grußwort des Präsidenten des Goethe-Instituts Prof. Dr. h. c. Klaus-Dieter Lehmann

Anrede
 
Herzlich Willkommen in der Vila Sul – der ersten Künstlerresidenz des Goethe-Instituts im „globalen Süden“. Salvador de Bahia bildet einen Knotenpunkt des Süd-Süd-Dialogs: Durch seine geographische Lage am Black Atlantic einerseits, andererseits als  erste Hauptstadt Brasiliens und Stadt mit der größten schwarzen Community außerhalb Afrikas.
 
Unser Namensgeber Johann Wolfgang von Goethe hat es leider seiner Lebtag nicht nach Salvador und auch nicht nach Brasilien geschafft. Tatsächlich aber entwickelte er in seinen letzten Lebensjahren eine regelrechte Leidenschaft für Brasilien: Seinen Tagebüchern zufolge las er wochenlang in allen Büchern, die damals über Brasilien zu finden waren, korrespondierte mit den führenden Wissenschaftlern zu brasilianischen Themen und empfing regelmäßig Forschungsreisende in Weimar. "Goethe der Brasilianer", nannte ihn einst Ernst Feder. Warum erzähle ich das? Goethe hätte sich hier in der Vila Sul als Literaturstipendiat sicher wohl gefühlt. Warum? Goethe hat immer wieder in seinen Schriften über das Eigene und das Fremde reflektiert. So schrieb er:
 
„Wir lernen die Menschen nicht kennen, wenn sie zu uns kommen; wir müssen zu ihnen gehen, um zu erfahren, wie es mit ihnen steht.“

Oder:
„Die Existenz fremder Menschen sind die besten Spiegel, worin wir die unsrige erkennen können.“
 
Die Zitate sprechen von der Erfahrung mit der Fremdheit und vom Nutzen der Wechselwirkung.  Das Verlassen der eigenen heimatlichen Denk- und Lebensstrukturen sind entscheidende Voraussetzungen für Offenheit, Erkenntnis, Verstehen und Verständnis. Goethe plädiert für Weltoffenheit und Weltneugier, er plädiert aber auch dafür, sich des Eigenen bewusst zu sein – und das Eigene und das Fremde nicht vermessend, sondern in ihrer Unterschiedlichkeit gleichwertig neben- und miteinander zu denken. Diese Auffassung Goethes ist für unsere Zeit keine Selbstverständlichkeit, aber eine umso dringendere Notwendigkeit. Flucht und Vertreibung, Zensur und Einschränkung der Meinungsfreiheit, Propaganda, erschwerter Bildungszugang, Behinderung zivilgesellschaftlicher Prozesse bestimmen in vielen Teilen der Welt – auch im globalen Süden – das Bild.
 
Ohne kulturelles Verständnis, ohne Dialogfähigkeit wird unsere Welt immer weniger lesbar und zugänglich. Es braucht Menschen, die sich dem Dialog aussetzen, mit der Fähigkeit des Umgangs mit kulturellen Unterschieden, mit der Kenntnis anderer Modelle des Zusammenlebens, mit Mehrsprachigkeit und Empathie. Weltformeln bieten keine Lösung, eher die persönlichen Begegnungen und Erfahrungen, die zu Lerngemeinschaften führen.
 
Außenminister Steinmeier hat im Zusammenhang mit dem von ihm angestoßenen Review Prozess für die AKBP auf den notwendigen Ausbau von Künstlerresidenzen  hingewiesen. Sie seien die entscheidenden Knotenpunkte und griffen weiter in ihrer Wirkung. Sie können die langfristige und nachhaltige Vernetzung zwischen kulturellen Szenen leisten, sie können einen ungewöhnlichen Perspektivwechsel ermöglichen, sie können kulturpolitische Impulse im Gastland und im Anschluss im Herkunftsland auslösen und sie bieten durch den Eigenwert künstlerischen Schaffens experimentelle Freiräume für Neues.
 
Deshalb ist der Ansatz der Vila Sul so richtig: Dem Kulturexport haben wir als Goethe-Institut schon lange den Rücken gekehrt und den Weg frei gemacht für Kulturaustausch und Koproduktion. Die Vila Sul geht aber noch einen Schritt weiter: Sie bietet deutschen und erstmals auch internationalen Residentinnen und Residenten für jeweils zwei Monate eine Plattform, um sich mit dem hochaktuellen Themenfeld des globalen Südens auseinander zu setzten. Gibt es eine globale Kunstgeschichte? Wie können wir unser Gedankengut dekolonisieren? Welche künstlerischen Zukunftsvisionen entstehen in Südamerika, welche in Afrika? All das sind Fragen, mit denen sich unser interkontinentales Großprojekt „Episoden des Südens“ seit längerem beschäftigt. Mit der Vila Sul ist nun endlich auch der physische Raum für den Süd-Süd-Dialog geschaffen, an dem die kreativen Denkansätze führender internationaler Künstler und Denker zusammenkommen. Es freut mich, diesen wichtigen Ort heute offiziell mit dem Präsident des Deutschen Bundestags, mit Ihnen, verehrter Herr Lammert, eröffnen zu können.   
 
Unsere Residenzen – und das gilt ganz besonders für die Vila Sul – sind dabei keine einsamen Inseln der Glückseligen, keine Elfenbeintürme. Sie sind kein arkadisches Refugium sondern eher ein Basislager für Künstler und Intellektuelle. Eine Produktionsverpflichtung besteht nicht, Residenzen sind zweckfrei und ergebnisoffen. Aber sie sind Freistätten der Inspiration, der Begegnung und der künstlerischen Arbeit, die sich mit ihren Veranstaltungen einem vielfältigen und auch der lokalen Bevölkerung Publikum öffnen. Es sind ehrgeizige Orte, die Zukunft schaffen! Unsere Stipendiatinnen und Stipendiaten stürzen sich hier – mit unserer tatkräftigen Unterstützung – ins künstlerische Leben. Die Lage der Vila Sul ist dafür optimal: Sie könnte zentraler nicht liegen; das Gebäude wird auch von unseren Partnern genutzt. Die Residenz bietet mit einem Studiotheater, zwei Galerien, einem Innenhof und einer Bibliothek ideale Bedingungen für Begegnungen in allen Sparten an, die Reflexionen befördern und das kulturelle Schaffen vorantreiben.
 
Doch was wäre eine Residenz ohne ihre Residenten, die sie mit Leben füllen. Ich möchte die aktuellen Stipendiatinnen und Stipendiaten ganz herzlich begrüßen, die seit wenigen Wochen hier leben und arbeiten: Die Intendantin des Tanztheaters Wuppertal Adolphe Binder, den Politikwissenschaftlicher Christoph Bieber, Grada Kilomba, die zu Rassismus- und Genderthemen forscht und performt, Jürgen Kirner, inmitten dessen Bühnenbild wir gerade stehen, die Kuratorin und Dramaturgin Sigrid Gareis und das Kollektiv Dimenti aus Salvador.
 
Durch Residenzen wie die Vila Sul entstehen Netzwerke und Freundschaften, die lange über den eigentlichen Aufenthalt hinaus wirken. Besondere Bedeutung kommt deshalb auch der Alumni-Arbeit zu. Sie zu pflegen wird künftig fester Bestandteil der Residenzarbeit sein. Die Arbeiten der Residentinnen und Residenten der Vila Sul sollen auch nach ihren Aufenthalten vor Ort weiterverfolgt und in einem Archiv -  sowohl im Web als auch physisch in der Bibliothek des Goethe-Instituts Salvador - festgehalten werden. Darüber hinaus sind regelmäßige Alumni-Treffen geplant.

Zum Schluss möchte ich Manfred Stoffl und seinem Team meinen herzlichen Dank aussprechen. Sie alle haben eine großartige Arbeit in kurzer Zeit geleistet, die Vorfreude auf die Zukunft der Vila Sul macht.
 
Herzlichen Dank!

Es gilt das gesprochene Wort.

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