21. November 2018
"Studio Bosporus" - Kulturakademie Tarabya zu Gast in Berlin

Eröffnungsrede des Präsidenten des Goethe-Instituts Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann

Ich begrüße herzlich Sie, verehrter Herr Außenminister Maas,
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete des Deutschen Bundestages,
liebe Mitglieder des Beirats und der Jury der Kulturakademie Tarabya,
unsere Partner hier im Hamburger Bahnhof, die Stiftung Mercator,
und ganz besonders die aktuellen und ehemaligen Stipendiatinnen und Stipendiaten der Residenzprogramme des Goethe-Instituts.
 
Es ist eine große Freude und ein bedeutender Schritt, dass die Kulturakademie Tarabya heute erstmals ihre Arbeit in Berlin präsentiert, indem sie die von Istanbul inspirierten und häufig in Koproduktion mit türkischen Künstlerinnen und Künstlern entstandenen Werke ihrer Stipendiatinnen und Stipendiaten unter dem passenden Titel „Studio Bosporus“ vom Bosporus an die Spree bringt. Insgesamt 25 Alumni und ihre türkischen Koproduktionspartner beteiligen sich hier heute an der Werkschau. So habe ich es mir in meiner Eröffnungsrede 2011 gewünscht.
 
Ich erinnere mich noch lebhaft an den Oktober 2011, als ich gemeinsam mit der damaligen Staatsministerin im Auswärtigen Amt Cornelia Pieper die Kulturakademie Tarabya auf dem Gelände der historischen Sommerresidenz des deutschen Botschafters eröffnen konnte. Am 2. Juli 2009 hatte der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages die Finanzmittel frei gegeben. Es war eine der letzten wichtigen Beschlüsse der damaligen großen Koalition. Dem folgte leider eine Phase der Irrungen und Wirrungen. Aber die Idee war einfach zu gut als dass sie widerstrebenden Interessen geopfert werden durfte. Nach intensiv geführten Debatten, bei denen parteiübergreifend die Abgeordneten des Deutschen Bundestages eine ungemein aktive Rolle spielten, konnte der Grundstein zur Erfolgsgeschichte gelegt werden. Betrieben wird die Kulturakademie Tatabya von der Deutschen Botschaft Ankara, die kuratorische Verantwortung liegt beim Goethe-Institut.
 
Seither ist viel passiert und nun gleiten dort, in der Kulturakademie in Istanbul, täglich Stifte übers Papier des nächsten Drehbuchs, Gedicht oder Romans, im Atelier riecht es nach frischer Acrylfarbe, am Teehaus wird mit Schleifpapier gearbeitet und aus dem Probenraum ertönen mal Saxophon, mal Schlagzeug und mal Gesang. Mit der Kulturakademie Tarabya in Istanbul ist eine deutsch-türkische Begegnungsstätte entstanden, die eine große Strahlkraft entwickelt hat. Das Goethe-Institut ermöglicht mit seinen vielfältigen und langjährigen Verbindungen zu türkischen Künstlerinnen, Musikern, Schriftstellerinnen, Designern, Regisseurinnen sowie Kulturinstitutionen und –festivals wie auch seiner aktuellen und differenzierten Kenntnis der Kulturszene Deutschlands einen lebendigen Dialog und Austausch. Es hat die Kulturakademie Tarabya zu einem höchst kreativen Freiraum gemacht.

Der Reiz von Tarabya besteht auch in der ungemein lebendigen Szene von Istanbul. Es ist das große Privileg der Kulturakademie Tarabya, ein geschützter Raum für kontemplatives Arbeiten fernab vom Trubel der 18-Millionenstadt Istanbul zu sein - und zugleich ein idealer Ausgangspunkt, um zu diesem aufzubrechen: zur Inspiration für die eigene künstlerische Arbeit, aber auch für Begegnungen mit der Kulturszene Istanbuls, deren Interesse an einem gegenseitigen Austausch enorm ist. Dies gilt besonders in Zeiten politischer Anspannung zwischen Deutschland und der Türkei.
 
Die traditionell guten Beziehungen im Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftsbereich befinden sich derzeit in einer mehr als kritischen Phase und das nach Jahrzehnten steigender Beliebtheit, einem kreativen Austausch, einem messbaren Nutzen für beide Seiten und einer auch international herausragenden Qualität. Immer weniger Wissenschaftler und Künstler reisten zuletzt in die Türkei. Das Goethe-Institut sieht sich hier als glaubwürdiger Vermittler gefordert, als Garant für Meinungsfreiheit. Und gerade in Istanbul fühlen wir uns zu Hause, sind Teil der künstlerischen und kulturellen Szene.
 
Ich teile die Sorge von Außenminister Maas um Osman Kavala, unseren langjährigen Partner, der seit mehr als einem Jahr in Untersuchungshaft sitzt, und dem ein rechtsstaatliches Verfahren gebührt. Beunruhigend sind die neuerlichen Verhaftungen von Kulturakteuren und Wissenschaftlern vom letzten Freitag, die teilweise unter Auflagen wieder frei sind. Zu ihnen gehört auch Asena Günal, die Vertreterin von Anadolu Kultür, die heute Abend für die Podiumsdiskussion vorgesehen war und nicht ausreisen darf.
 
Uns ist die Sicherheit unserer Partner ein großes Anliegen. Wir haben in unserer gegenseitigen Wertschätzung so viel überzeugende Erfahrungen gemacht, dass wir auch bei enger werdenden Freiräumen in unserem Engagement für die Partnerschaften fest bleiben. Es ist unsere Zukunft!
 
Die Türkei und Deutschland sind auf vielfältige Weise miteinander verbunden, viele Menschen in unseren Ländern sind in beiden Kulturen zu Hause. Dialogfähigkeit müssen wir uns deshalb auch hier beweisen und uns um Brücken und ein besseres Verständnis füreinander bemühen. Ich bin der Auffassung: Kultur ist dann wirkungsvoll, wenn sie sich öffnet, sich mitteilt, gegenseitige Kenntnis fördert, eine Wertschätzung von Vielfalt und die Gleichwertigkeit der Anderen zugrunde legt und den genannten rechtlichen Bedingungen von Freiheit von Kunst entspricht. Dann kann sie Alternativen entwickeln statt sich auf Konflikte fixieren, Prozesse ermöglichen und ausreichend selbstkritisch durch die Kenntnis des Anderen sein. In diesem Sinne zeigt sich die Bedeutung der Residenzarbeit besonders deutlich: Die Zusammenarbeit der Stipendiatinnen und Stipendiaten mit lokalen Partnern und Akteuren der Zivilgesellschaft hält den deutsch-türkischen Kulturaustausch lebendig.
 
Künstlerresidenzen sind keine einsamen Inseln der Glückseligen, keine Elfenbeintürme. Sie sind kein arkadisches Refugium, sondern eher ein Basislager für Künstler und Intellektuelle – ohne Produktionsverpflichtung, zweckfrei und ergebnisoffen. Aber sie sind Freistätten der Inspiration, der Begegnung und der künstlerischen Arbeit, die sich mit ihren Veranstaltungen einem vielfältigen und auch der lokalen Bevölkerung Publikum öffnen. Es sind ehrgeizige Orte, die Zukunft schaffen.
 
Doch was wären diese Residenzorte ohne ihre Residenten, die sie mit Leben füllen. Ich möchte die aktuellen Stipendiatinnen und Stipendiaten ganz herzlich begrüßen, die heute ausstellen, ebenso wie die vielen Alumni, die ebenfalls gekommen sind.

Lassen Sie mich darüber hinaus einige Worte sagen, die auf die aktuelle Entwicklungen in der Kulturakademie Tarabya Bezug nehmen:
 
In den letzten Jahren ist das deutsch-türkische Team der Kulturakademie, das aus Vertreterinnen und Vertretern beider Institutionen – dem Auswärtigen Amt und Goethe-Institut – besteht, teilweise neu besetzt worden. Vor allem aber ist ein harmonisches Team entstanden, das Hand in Hand zusammen arbeitet und gemeinsam viel Neues auf die Beine gestellt hat: Allein 2017 fanden in der Türkei mehr als 40 Ausstellungen, Lesungen, Filmvorführungen, Konzerte und Workshops an Universitäten mit Residenzkünstlerinnen und -künstlern und ihren türkischen Koproduktionspartnern in Zusammenarbeit mit lokalen Kulturinstitutionen statt. Es ist ein ungemein spannender und nachgefragter Austausch. Dem Team möchte ich für diese hervorragende Arbeit meinen herzlichen Dank aussprechen. Es sind nicht nur Kompetenz und Kreativität, es ist wirkliche Leidenschaft für die Aufgaben, die hier zum Tragen kommen. Stellvertretend für alle möchte ich namentlich nennen: Pia Entenmann mit ihren Kolleginnen Lena Alpozan und Cigdem Ikiisik.

Zwei Projekte möchte ich besonders hervorheben:
 

  • Im Rahmen seines Stipendiums an der Kulturakademie Tarabya adaptierte der Regisseur Tuğsal Moğul sein Stück „Auch Deutsche unter den Opfern" über die NSU-Morde als deutsch-türkische Koproduktion mit dem Istanbuler Theater Kumbaraci50 (sprich: Kumbaratschi Elli). Es war bewegend, dass ausgerechnet drei junge türkische Schauspieler in die Rollen von Zschäpe, Mundlos und Böhmhart schlüpften – wo doch zahlreiche türkischstämmige Deutsche unter den Opfern waren. Tugsal Mogul wird aus erster Hand bei einer Paneldiskussion berichten.
  • Das Tarabya-Ensemble. Der Drummer Christian Thomé gründete es während seines Aufenthaltes in der Kulturakademie Tarabya und es besteht aus einem Pool deutscher und türkischer Musikerinnen und Musiker, meist aus den Bereichen Jazz, Weltmusik und improvisierte Musik. Die Mitglieder kommen Konzertbezogen in wechselnden Besetzungen zusammen. Grundidee für dieses interkulturelle Projekt ist eine Plattform zur Begegnung diverser Musikstile verschiedenster Herkunft. Hierbei werden Schnittmengen musikalischer Kommunikation ausgelotet: im besten Fall entstehen neue Spielarten und Klangmischungen. Diese dynamische Formation gibt zukünftigen Stipendiatinnen und Stipendiaten der Tarabya Kulturakademie ein Sprungbrett in dortige Musikszenen.
Im Herbst 2017 wurde zudem das Bewerbungsverfahren in eine öffentliche Ausschreibung überführt, mit dem die Kulturakademie neue Zielgruppen erreichen und weiteren, außergewöhnlichen Talenten Arbeitsaufenthalte in der Kulturakademie ermöglichen möchte. Aus über 300 Bewerbungen hat die Jury 20 exzellente Stipendiatinnen und Stipendiaten ausgewählt, von denen die ersten im September in die Kulturakademie eingezogen sind. Durch die öffentliche Ausschreibung steht die Kulturakademie nun offen für Kreative mit Lebens- und Schaffensmittelpunkt in Deutschland, die in den Disziplinen Architektur, Bildende Kunst, Darstellende Kunst, Design, Literatur, Musik, Film, Publizistik oder Kulturtheorie tätig sind. Da der deutsch-türkische Kulturaustausch gerade in den angespannten politischen Beziehungen wichtiger denn je ist, sind nun auch Bewerbungen deutsch-türkischer Künstlertandems im Rahmen von sogenannten Koproduktionsstipendien möglich.
 
Im Juni 2018 schließlich fand das 1. Kunst- und Kulturfestival der Kulturakademie auf dem Gelände der Historischen Sommerresidenz des deutschen Botschafters statt: mit Alumni, aktuellen und zukünftigen Stipendiatinnen und Stipendiaten, die die zauberhafte Parkanlage an acht Spielorten - performativ, musikalisch, literarisch, visuell - in einen Schauplatz ihres kreativen Schaffens verwandelten. Mehrere hundert türkische Gäste aus der Istanbuler Kunst- und Kulturszene folgten der Einladung.
 
Auch für das nächste Jahr sind weitere Meilensteine geplant: So ist im Rahmen des Alumni-Konzepts die Einrichtung eines Nachförderungsfonds, gezielt für Folgeprojekte im Anschluss an die Stipendiendauer, geplant, um die Nachhaltigkeit der entstandenen Kontakte mit türkischen Kulturschaffenden zu sichern.
 
Wir dürfen also gespannt sein, auf weitere viele inspirierende Momente aus diesen Beziehungen für unsere Länder!
 
Abschließend möchte ich meinen Dank aussprechen:
  • an das Auswärtige Amt und die Auslandsvertretung in Ankara und Istanbul, hier namentlich Meik Clemens und Sinem Tekel für die Akademiebetreuung,
  • an den Deutschen Bundestag, den Beirat der Kulturakademie Tarabya und deren Jury,
  •  sowie der Stiftung Mercator für die großzügige Unterstützung der heutigen Veranstaltung und dem Hamburger Bahnhof für die Gastfreundschaft.
Ihnen allen einen inspirierenden Abend!

Es gilt das gesprochene Wort!
 

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