Sonia Jardim: Wer liest, ist nie allein

Sonia Jardim
Foto: Ana Branco © Goethe-Institut

Sonia Jardim empfängt im Konferenzraum des Verlags "Record" in Sao Cristóvão, der mit Regalen voller Bücher ausgestattet ist. Sonia sitzt vor dem Regal mit den Neuerscheinungen, sie sind nach Monaten geordnet. Darunter auch einige deutsche Bücher, die auf Portugiesisch erschienen sind.

Ausser Verlegerin ist Sonia Jardim auch Organisatorin der Bienal do Livro Rio, die im Jahr 2013 Deutschland ehrte. Im Interview ordnet sie die Errungenschaften und Herausforderungen des Austauschs zwischen Brasilien und Deutschland in der Literatur sowie die Rolle des Goethe-Instituts Rio de Janeiro auf diesem Gebiet ein.

Frau Jardim, im Jahr 2013, als Brasilien Ehrengast der Frankfurter Buchmesse war, haben Sie Deutschland bei der Bienal do Livro Rio geehrt. Inwieweit ist das Goethe-Institut Rio de Janeiro bei dieser Zusammenarbeit fundamental?

Sonia Jardim: Die Partnerschaft besteht nicht nur darin, deutsche Autorinnen und Autoren nach Brasilien zu holen. Das Goethe-Institut hat auch brasilianische Autorinnen und Autoren sowie Verlegerinnen und Verleger nach Deutschland gebracht, damit sie den reichen Buchmarkt der deutschen Literatur kennenlernen.

Worin bestand genau die Unterstützung?

Sonia Jardim: In Übersetzer- und Reisestipendien. Zur Frankfurter Buchmesse ist eine Delegation mit 80 brasilianischen Autorinnen und Autoren gereist. Das Goethe-Institut hat auch andere Autorinnen und Autoren sowie Verlegerinnen und Verleger  eingeladen und mit ihnen eine Tour durch verschiedene Städte gemacht, Verlage, Bibliotheken und Kulturzentren besucht.

Auch die brasilianische Regierung hat Übersetzungen angeregt, sodass die Bücher verschiedener Autorinnen und Autoren zur Buchmesse für die deutschen Leserinnen und Leser zugänglich waren. Was ist davon geblieben?

Sonia Jardim: Literatur zu internationalisieren ist nicht einfach. Oft fragen wir uns – wir haben diesen Ausdruck – “Ob dieses Buch wohl reist?” In eine andere Kultur, zu einem anderen Leser. Die brasilianische Literatur hatte früher die Eigenschaft des Exotischen. Heute hat man hat eine zeitgenössische Literatur mit Genres und Themen, die nicht Teil waren. Brasilien besteht aus verschiedenen Ländern, und seine Literaturen können andere Völker, andere Sprachen auch interessieren.

Wie sehen Sie dann den Austausch zwischen Brasilien und Deutschland in der Literatur nach 2013?

Sonia Jardim: So wie die brasilianische Literatur im Ausland noch wenig bekannt ist, ist es die deutsche Literatur in Brasilien. Da hat das Goethe-Institut eine wichtige Rolle in Bezug auf Übersetzerstipendien. Es besteht ein Interesse in der brasilianischen Bevölkerung, Deutschland kennenzulernen. Ein Land mit grossen Umbrüchen, Wiedervereinigung, Nachkriegszeit, Zweiter Weltkrieg – all das spielt sich in der Literatur ab. Ein Buch, das wir bei “Record” mit viel Erfolg veröffentlicht haben, ist “Der Vorleser”. Aber auch die aktuelle Phase Deutschlands und die Fragen, die in Europa auftauchen, sind interessant.

Bienal do Livro do Rio

Und umgekehrt?

Sonia Jardim: Wir haben viele Bücher, die einen Platz finden wollen. Die Zahl der Leserinnen und Leser in Deutschland erweckt Neid. Brasilien hat immer noch einen grossen Markt, der erobert werden will. Deutschland ist da auf einer anderen Stufe und es besteht ein grosses Interesse, dieses Land darüber kennenzulernen, was in den Büchern beschrieben ist. Lya Luft hat erzählt, dass sie in Rio Grande do Sul geehrt worden ist, indem eine Bücherei in einem Gefängnis ihren Namen bekommen hat. Sie ging zur Einweihung und dachte, was sie den Gefangenen sagen sollte. Sie sagte: “Literatur ist Freiheit.” Wenn man liest, ist man nicht eingeschlossen. Wenn man liest, bereist man die Welt.

Was ist die Funktion, die das Goethe-Institut in der Zusammenarbeit mit einem Verlag haben kann, um den Blick zu weiten?

Sonia Jardim: Mit diesem Austausch und dieser Partnerschaft wie zur Frankfurter Buchmesse. Als die Verlegerinnen und Verleger nicht nur die Buchmesse, sondern auch Verlage kennengelernt haben, um ein Netzwerk zu bilden und Informationen auszutauschen. Was in den kommenden 60 Jahren fundamental sein wird, ist die Information. Wer Information hat, ist auf dem richtigen Weg. Aber wie kann man Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden? Also sehe ich die Erweiterung der Kultur als eine grundlegende Funktion, die das Goethe-Institut weiter ausüben kann.

Welche Rolle nimmt  das Buch in dieser Welt der Information ein?

Sonia Jardim: Die Tendenz in der Zukunft geht dahin, weniger zu arbeiten. Die Leute werden viel Zeit zum Lesen haben, das kann man an fast jedem Ort. Wo immer man ist, ein Buch ist eine gute Gesellschaft.
 

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