Cicero Sandroni: Die brasilianische Version des “Faust”

Der Journalist und Schriftsteller Cicero Sandroni
Guilherme Gonçalves © ABL

Der Journalist und Schriftsteller Cicero Sandroni ist viermal, darunter auch auf Einladung des Goethe-Instituts, in Deutschland gewesen, wobei er seine Eindrücke als “Writer in Residence” in der historischen “Faust”-Stadt Staufen in der Kurzgeschichte “O Diabo só Chega ao Meio Dia” und der gleichnamigen Erzählsammlung literarisch verarbeitet hat. In Rio de Janeiro war er dabei, als das Goethe-Institut Rio de Janeiro den “Prêmio Goethe”, einen Preis für brasilianische Schriftstellerinnen und Schriftsteller gründete, die eine Reise nach Deutschland gewinnen konnten.
 

Herr Sandroni, wie ist der Kontakt zum Goethe-Institut Rio de Janeiro zustande gekommen, erinnern Sie sich noch? 

Nenem Krieger, die für die Öffentlichkeitsarbeit und das Kulturprogramm des Goethe-Instituts Rio de Janeiro zuständig war, hat mich eingeladen. Ich hatte eine Kolumne im “Jornal do Brasil” und Nenem hat mich um Unterstützung bei der Verbreitung von Nachrichten über Aktivitäten des Goethe-Instituts, wie Konferenzen und Filmzyklen, gebeten und über Künstlerinnen und Künstler, die aus Deutschland gekommen sind. Ich bin ein Freund der deutschen Künstlerinnen und Künstler geblieben.

Das spiegelt sich auch darin wieder, dass Sie Mitglied im Beirat des Goethe-Instituts sind.

Der Beirat kommt in der Regel einmal im Jahr zusammen, um über die Aktivitäten des Goethe-Instituts unterrichtet zu werden. Normalerweise loben wir diese. (Lacht) Das Goethe-Institut leistet in der Verbreitung der deutschen Sprache und Kultur eine wichtige Arbeit. Mein Kontakt war am intensivsten, als Dr. Ulrich Merkel Direktor des Instituts war. Edino Krieger hat die Zwölftonmusik von Arnold Schönberg in Brasilien verbreitet. Die Zahl der Sprachkurse beziehungsweise der Schülerinnen und Schüler ist angestiegen. Damals war das Institut in Castelo und ist dann an die Cinelândia gezogen, wo es aus allen Richtungen gut zu erreichen ist.

Inwiefern war das von Bedeutung?

Das Interesse am Sprach- und Kulturaustausch ist wegen der deutschen Unternehmen gestiegen. Dr. Everardo (Everardo Moreira Lima, heute Präsident des Beirats) hat mich immer zu Veranstaltungen des Goethe-Instituts mit Künstlerinnen und Künstlern, wie einer Lektüre des “Faust” eingeladen, an die ich mich besonders erinnere. In der Zeit von Dr. Merkel gab es viele Aktivitäten, unter anderem einen Wettbewerb für Schriftstellerinnen und Schriftsteller, der gegründet wurde. Die Gewinnerin oder der Gewinner des “Prêmio Goethe” konnte eine Reise nach Deutschland gewinnen. Damals war Antonio Houaiss, einer der großen Köpfe, der ein außergewöhnliches Wörterbuch herausgegeben hat, Präsident des Beirates. Bei der ersten Auflage des Preises gab es ein Unentschieden zwischen Antonio Calado und Autran Dourado.

Hatten Sie selbst auch die Gelegenheit, Deutschland kennenzulernen?

Hans Bayer, Kulturattaché der Deutschen Botschaft, als diese noch in Rio de Janeiro war, hat vielen Schriftstellerinnen und Schriftstellern geholfen, nach Deutschland zu reisen, auch solchen, die verfolgt waren. Ich war auch eingeladen, aber konnte die Einladung nicht annehmen. Insgesamt war ich aber viermal in Deutschland, unter anderem 1965 mit einer Gruppe von 49 lateinamerikanischen Journalistinnen und Journalisten, die die Nachrichtenagentur Interpress Service organisiert hatte, und 1982 auf Initiative Dr. Merkels, der vier Journalistinnen und Journalisten, inklusive mich, eingeladen hat. Auch war ich zwei Monate als “Writer in Residence” in Staufen, wo ich bei Deutschen gewohnt habe und an den Vormittagen Deutschunterricht mit anderen Schülerinnen und Schülern aus der ganzen Welt hatte.

Was waren Ihre Eindrücke und Erwartungen von dieser Reise?

Ich habe in der Schule gelernt, ein großer Feind des Nationalsozialismus und Adolf Hitlers zu sein. Wie hat sich so ein gebildetes Volk von so einer Figur mitreißen lassen? Als ich 1965 erstmals nach Deutschland kam, hatte ich den Film “Die Stunde Null” von Roberto Rosseliini gesehen. Ich hatte Ruinen erwartet und war beeindruckt, wie alles wieder aufgebaut war. Die einzige Ruine, die ich gesehen habe, war die Gedächtniskirche in Berlin.

Haben Sie Ihren Aufenthalt auch journalistisch oder literarisch verarbeitet?

In Staufen habe ich mir eine Geschichte ausgedacht, die der Erzählsammlung “O Diabo só Chega ao Meio Dia” ihren Titel gegeben hat und die einen Bezug zu Johann Wolfgang von Goethe hat, als das darin um einen Journalisten geht, der eine Reise nach Staufen macht, die Stadt des historischen “Faust”, und einen Pakt mit dem (brasilianischen) Teufel eingeht. Er möchte eine Serie von Artikeln über die “Grünen” machen, aber zurück in Brasilien arbeitet er für die Atomindustrie. Eine weitere Erzählung aus diesem Buch, “O suicida”, ist auf Deutsch unter dem Titel “Ein Selbstmörder” in einer Anthologie im Peter Hammer Verlag erschienen.

Am Anfang der Militärdiktatur habe ich noch viel attackiert. Aber als mit dem Fünften Institutionellen Akt die komplette Zensur einsetzte, wurde der “Correio da Manhã” geschlossen, die Herausgeber festgenommen und ich am journalistischen Arbeiten gehindert. Ich habe mir Übersetzungen und andere Arbeiten gesucht, bei denen ich akzeptiert war. Als die sogenannte Öffnung einsetzte, konnte ich wieder für das “Jornal do Brasil” über Kultur und Politik schreiben und mich voll meiner literarischen Tätigkeit widmen.

Verfolgen Sie die deutsche Sprache und Kultur denn weiter?

Nach meinem Aufenthalt habe ich wieder versucht, im Goethe-Institut Deutsch zu lernen. Ich hoffe noch, dass ich sie eines Tages beherrschen werde. Aber ich habe schon eine gewisse Vertrautheit bekommen. Wenn ich “Der Tod in Venedig” lesen, schaffe ich es, den Text zu erraten. Ich wohne nicht weit vom Deutschen weg. 

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