Das wohlpräparierte Klavier
Ein Mann, ein Klavier. Mit Kronkorken, Tischtennisbällen und Vibratoren entlockt Hauschka seinem Instrument ganz besondere Töne.
Wenn Hauschka am Anfang eines Konzerts vor dem schwarzen Flügel Platz nimmt, sieht er völlig entspannt aus. Und das obwohl er selbst nicht genau weiß, was als nächstes passieren wird. „Ich setze mich ans Klavier und dann wird es spontan“, sagt der 46-jährige Musiker.
Neben ihm steht eine Plastiktüte. Man könnte fast sagen, eine klangliche Wundertüte, denn aus der Tüte zieht er nach und nach verschiedene Gegenstände, mit deren Hilfe er sein Instrument präpariert: von Stimmkeilen, wie sie Klavierstimmer benutzen, über Alltagsgegenstände bis hin zu entfremdeten Teilen anderer Instrumente.
Hauschka platziert Plastikfolien, Kronkorken, Tischtennisbälle oder Vibratoren im Resonanzkörper. Was dabei herauskommt, hat mit dem herkömmlichen Klang eines Klaviers nicht mehr viel zu tun: Mit Klebeband fixierte Saiten imitieren eine Gitarre, Plastik-Halsketten flirren auf den Saiten und legen eine sphärische Soundschicht über den Klavierklang, Saxophonblättchen zwischen den Saiten lassen den Flügel wie Snare Drums klingen und sorgen für drängenden Rhythmus. Einige im Publikum stehen immer wieder auf, um sich zu vergewissern: Sitzt da wirklich nur ein Mann am Klavier?
Hauschka wechselt zwischen Tempi und Metren, ähnlich einem Bildhauer lässt er musikalische Skulpturen entstehen, die kurz darauf wieder in sich zusammenfallen. Auf Nummer sicher gehen, bloße Rezitation, Vorhersehbarkeit: Fehlanzeige. „Ich entscheide im Spiel, worauf ich als nächstes Lust habe. Ich probiere aus und suche. Wenn ich etwas gefunden habe, dann bleibe ich da. Wenn es komisch klingt, gehe ich wieder woanders hin“, beschreibt Hauschka. Auch seine musikalische Biografie zeichnet sich durch Experimentierfreude und Bewegungsdrang aus.
Klassik trifft MinimalMit neun Jahren hatte er sein musikalisches Erweckungserlebnis mit Chopin: „Seine Musik hatte für mich alles: Fröhlichkeit, Traurigkeit, Drama und diese energische Art. Aber auch Verspieltheit und so etwas wie eine Orchestrierung“, sagt der hochgewachsene Musiker mit der volltönenden Stimme. „Im Prinzip mache ich so etwas ja heute auch, indem ich Gegenstände benutze und damit den einzelnen Elementen eine andere Klangfarbe gebe“. Schon als Kind wandelte er mit Hilfe von Reißzwecken in den Hämmern den Klang des Klaviers in den eines Spinetts um. „Es hat mir manchmal einfach nicht gereicht, nur den Klavierklang zu haben“, erklärt Hauschka.
Eigentlich heißt er Volker Bertelmann. Der Name Hauschka ist für ihn Programm. „Ich wollte einen Künstlernamen, der östlich klingt. Ich wollte nicht Anglizismen bedienen wie heute fast alle Bands. „Ich hatte auch das Gefühl, dass die Klaviermusik, die ich mache, so eine östliche Melancholie hat, obwohl ich es nicht genau benennen kann. Es ist eine Melancholie, die irgendwie aussichtslos ist, aber trotzdem lachend. Das finde ich eine sehr beschreibende Sicht auf das Leben. Es hat ja eine große Dramatik, dass man nur ein Leben hat. Und davon handelt diese Musik.“
Bertelmann verehrt Strawinsky, Rachmaninow, Smetana und Schönberg. Genauso schätzt er aber auch das Dreigestirn der Minimal Music aus Steve Reich, Philip Glass und John Adams. Das erste Mal auf einer Bühne stand der gebürtige Siegerländer allerdings als Rapper. Gemeinsam mit seinem Cousin tourte er in den Neunzigern mit „God’s favourite Dog“ als Vorgruppe der deutschen Hip Hop-Pioniere „Die Fantastischen Vier“.
„Hip Hop, Soul, Funk R’n B waren mir immer sehr nah. Überhaupt Musik, die Rhythmus hat und zu der man tanzen kann“, sagt Hauschka. Passend dazu hat er gerade ein Musikvideo gedreht, in dem ein Breakdancer sich zu seinem Stück „Radar“ bewegt. „Breakdance mochte ich schon immer und es passt auch wie ’ne Eins“, ist er überzeugt.
Grenzgänger am KlavierAuch in andere Richtungen bewegt sich der experimentierfreudige Pianist gerne – er tourt mit der klassischen Violinistin Hilary Hahn, arbeitet gleichzeitig an einer Platte mit afrikanischen Musikern oder schreibt Filmmusik. „Was mir wichtig ist, ist diese ganzen Musiken nicht auf unterschiedliche Levels zu stellen“, unterstreicht er.
„Ich empfinde die Musik vor allem als ein Mittel der Kommunikation“, so Volker Bertelmann alias Hauschka weiter. Dass er auf seinen Konzerten nicht rezitiert, sondern improvisiert, ist für ihn essentiell, denn sein Publikum soll mitbestimmen. „Wenn da Leute sitzen, die plötzlich steil gehen wollen, dann machen wir das“, lächelt Hauschka, der bekennender Aphex-Twin-Fan ist und Spinett-Stücke des englischen Renaissance-Komponisten William Byrd als „totalen Punk“ bezeichnet.
Da wundert es nicht, dass die meisten Konzertbesucher deutlich jünger sind als der Maestro selbst. Und auch Hauschka selbst glaubt eine Erklärung dafür zu haben: „Es fasziniert sie, noch mal einen neuen Anspruch an die Dinge, die schon vorbesetzt sind, zu haben. So nach dem Motto: Meine Großeltern oder Eltern haben schon Klavier gespielt und ich kann jetzt eigentlich das gleiche nehmen und damit etwas für meine Generation machen.“
„Ich habe da etwas gefunden, das ich unheimlich gerne mache.“ Und das glaubt man Hauschka sofort, wenn man ihn mit völlig entspanntem Gesicht am Flügel sitzen sieht.