Aufgabe 5
Die Entdeckung der Currywurst

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Aber in dem drauffolgenden Jahr war ihr Stand verschwunden.

… ich fuhr zur Brüderstraße. Das Haus war inzwischen renoviert worden. Der Name von Frau Brücker stand – was ich erwartet hatte – nicht mehr am Klingelbrett. Die ausgetretenen hölzernen Treppenstufen waren durch neue, mit Messingstreifen beschlagene, ersetzt, das Licht im Treppenhaus war hell und ließ mir Zeit, die Treppen bis oben hochzusteigen. Früher leuchtete es nur 36 Stufen lang. Als Kinder liefen wir um die Wette gegen das Licht die Treppe hoch, bis zur obersten Etage, wo Frau Brücker wohnte. Ich ging durch die Straßen des Viertels, schmale, baumlose Straßen. Hier wohnten früher Hafen- und Werftarbeiter. Inzwischen waren die Häuser renoviert und die Wohnungen – die City ist nicht weit – luxuriös ausgestattet worden. In den früheren Milch-, Kurzwaren- und Kolonialwarenläden hatten sich Boutiquen, Coiffeurs und Kunstgalerien eingerichtet. Nur das kleine Papiergeschäft von Herrn Zwerg gab es noch. Ich fragte Herrn Zwerg, ob Frau Brücker noch lebe, und wenn, wo. (…) „Frau Brücker? Nee, is schon lange weg. Die is bestimmt schon nicht mehr.“
Ich habe sie dann doch noch getroffen. Sie saß am Fenster und strickte. (…) Ich war zum Einwohnermeldeamt gegangen, dort hatte man mir ihre Adresse gegeben, ein städtisches Altersheim in Harburg.
(…)
Sie behauptete, sich deutlich an mich erinnern zu können. „Kamst als Junge auf Besuch, nich, und hast bei der Hilde iner Küche gesessen. Später warste manchmal am Imbissstand.“ (…)
„Ich wollte nur etwas fragen. Ob ich das richtig in Erinnerung hätte, dass sie kurz nach dem Krieg die Currywurst erfunden habe.“
„Die Currywurst? Nee,“, sagte sie, „ich hab nur nen Imbissstand gehabt.“
Einen Moment lang dachte ich, es wäre besser gewesen, sie gar nicht besucht und gefragt zu haben. Ich hätte dann weiter eine Geschichte im Kopf gehabt, die eben das verband, einen Geschmack und meine Kindheit. Jetzt, nach diesem Besuch, konnte ich mir genauso gut irgendetwas ausdenken. Sie lachte, als könne sie mir meine Ratlosigkeit, ja meine Enttäuschung, die ich nicht verbergen musste, ansehen.
„Doch“, sagte sie, „stimmt, will mir hier aber keiner glauben. Die haben nur gelacht, als ich das erzählte. Haben gesagt, ich spinne. Jetzt gehe ich nur noch selten runter. Ja“, sagte sie, „ich hab die Currywurst entdeckt.“
„Und wie?“
„Is ne lange Geschichte“, sagte sie. „Musste schon n bisschen Zeit haben.“
„Hab ich!“
„Vielleicht“, sagte sie, „kannste nächstes Mal n Stück Torte mitbringen. Ich mach uns n Kaffee.“

Worterklärungen

Was war früher, was ist heute?

1. Der Imbissstand ist verschwunden.
2. Das Haus ist renoviert.
3. Der Name "Brücker" steht am Klingelbrett.
4. Die hölzernen Treppenstufen sind sehr alt und ausgetreten.
5. Das Treppenlicht leuchtet nur für kurze Zeit.
6. In dem Viertel gibt es viele Boutiquen, Coiffeurs und Kunstgalerien.
7. Frau Brücker lebt in einem Altersheim.
8. Sie kann sich gut an den Ich-Erzähler erinnern.
9. Der Erzähler sitzt bei seiner Tante in der Küche.
10. Frau Brücker erzählt, wie sie die Currywurst entdeckt hat.