Hinrich Schmidt-Henkel
„Das ist so groß und wunderbar"

Hinrich Schmidt-Henkel
Hinrich Schmidt-Henkel | ©Nasjonalbibliotheket

Der deutsche Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel erhält den 2025 ins Leben gerufenen Fosse-Preis. Dem Goethe-Institut Norwegen erzählt er von seiner Freude über die Ehrung, warum Übersetzen eine Kunst ist, und was er von Künstlicher Intelligenz in seinem Beruf hält.
 

Von Jutta Martha Beiner, Webredakteurin, Goethe-Institut Norwegen

Sie sind der erste Preisträger des Fosse-Preises, mit dem Sie für Ihre Arbeit als Übersetzer geehrt werden. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie davon erfahren haben?

Ich wusste, dass der Rowohlt Verlag eine Bewerbung eingereicht und auch verschiedene Unterstützer dafür gewonnen hatte. Ich entsprach den Ausschreibungskriterien, aber ich pflege solche Dinge absichtlich zu vergessen. So war ich vor Freude und Überraschung regelrecht erschüttert. Das ist so groß und wunderbar. Mir fehlen die Worte, um zu beschreiben, was mir der Preis tief innerlich bedeutet.

Hat der Preis Ihr Leben beeinflusst?

Der gar nicht geringe Einfluss auf mein Leben besteht vor allem in unglaublich viel Freude: Vorfreude auf die Verleihung und die ganze Woche mit ihren Ereignissen - ein Podcast, zu dem ich eingeladen bin, ein öffentliches Gespräch in der Nationalbibliothek, verschiedene ehrenvolle und teils auch private Essen, Mitwirkung an einem Seminar für internationale Norwegisch-Übersetzer*innen. Dann die Feier selbst im Schloss in Oslo. Viel Zeit verwende ich auf die Arbeit an der Dankesrede, für die ich eine sehr genaue, nicht sehr üppig bemessene Zeitvorgabe habe. Ich möchte von Herzen danken, aber auch etwas Kluges und Schönes über Literatur und das Übersetzen sagen.
Zwei „fast geheime“ Geständnisse: Ich folge jetzt der Instagram-Seite des Norwegischen Königshauses, schließlich ist Mette-Marit die Schirmherrin des Fosse-Preises. Und ich habe mir das Logo des Preises als Tattoo auf den rechten Oberarm stechen lassen. Schon lange hatte ich nach einem norwegischen Motiv gesucht, und siehe da, auf einmal hatte ich es gefunden! Es ist einfach sehr schön, auch wenn es ohne Bezug zu dem Preis wäre.

Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit Jon Fosse?

Sie war immer offen, zugewandt und voller Humor. Wir haben uns v.a. anfangs viel über seine Ästhetik, seinen Stil ausgetauscht. Es gab auch zahlreiche persönliche Begegnungen und Lesungen. Jon Fosse ist ein zurückhaltender Mensch, und wer mich wirklich kennt, weiß, dass ich auch eher scheu sein kann. Ich würde nicht wagen, ihn einen Freund zu nennen. Aber er unterschreibt seine Mails mit „Din gamle venn“ (dein alter Freund).

Was macht für Sie eine gelungene literarische Übersetzung aus?

Eine gelungene Übersetzung muss ein eigenständiger literarischer Text in der Zielsprache sein, der stilistisch und in seiner Wirkung dem Original entspricht - allerdings mit den Mitteln der Zielsprache: Aber Idiomatik, Zeitsystem, syntaktische Standards lassen sich nicht von einer Sprache auf die andere „durchpausen“. Die sprachlichen Mittel des Originals durch die der Zielsprache ersetzen: Dann kann eine Übersetzung wirklich „angekommen“ und gelungen sein. Der persönliche Stil, die eigene Stimme der Übersetzerin darf und sollte zu hören sein. Es ist ähnlich wie die Interpretation eines Theatertextes durch eine Schauspielerin, die von ihrer Stimme geprägt ist. Das Übersetzen von Literatur ist eine interpretierende, eine darstellende Kunst. Und das gilt für die Übersetzung aller Genres und Schwierigkeitsgrade - die „leichte“ Literaturübersetzung gibt es nicht, anders, als manche Außenstehende meinen.

Sehen Sie KI als Bedrohung oder Chance für Übersetzungen?

Selbstverständlich als Bedrohung. Es gibt Verlage - interessanterweise vornehmlich solche, die wirtschaftlich hervorragend dastehen - die meinen, hier lasse sich im Vergleich zu ihren ohnehin miesen Übersetzungshonoraren noch etwas sparen. Dankenswerterweise verlangen immer mehr internationale Agenturen per Lizenzvertrag, dass echte Menschen und nicht Maschinen die Übersetzung anfertigen. In den deutschen Verträgen steht mittlerweile fast standardmäßig, dass die Verwendung von so genannter künstlicher „Intelligenz“ allenfalls als Hilfsmittel gestattet ist. Wer das in einen Vertrag schreibt, weiß, dass dem künstlich generierten Text das Menschliche fehlt. So ein Text kann an der Oberfläche korrekt und vielleicht sogar perfekt wirken. Er ist jedoch nicht im Bedürfnis nach Verständigung, nach Mitteilung geschrieben, sondern errechnet, nach dem Kriterium der Erwartbarkeit, ohne seelische Substanz. Wahre Kunst besteht im Unerwarteten. Viel schlimmer ist die Situation noch für diejenigen, die keine Literatur übersetzen. Da brechen ganze Berufsfelder ein.

Plus 1-Frage

Welchen Beruf hätten Sie gewählt, wenn Sie nicht Übersetzer geworden wären?

Dirigent. Schauspieler. Physiotherapeut. Polsterer. Die ersten beiden waren echte Berufswünsche in meinen Teenagerjahren. Allerdings blieben sie dank mangelnder Begabung, mangelnden Fleißes (Dirigent) und fehlender Traute unrealisiert. Die beiden anderen habe ich erst viel später als reizvolle Möglichkeiten erkannt; immerhin habe ich vor einigen Jahren in Bangkok eine Ausbildung in traditioneller Massage erhalten (mit laufender Fortbildung) und praktiziere in Berlin an zwei Nachmittagen in der Woche.

 

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