Philosophiefestivals
Denken als Freizeitbeschäftigung

Die „Radical Philosophy“-Konferenz im Berliner Haus der Kulturen der Welt: Die Journalisten Stewart Martin und Esther Leslie sowie die Berliner Künstlerin Hito Steyerl (Mitte) während einer Diskussion über Kunststreik;
Die „Radical Philosophy“-Konferenz im Berliner Haus der Kulturen der Welt: Die Journalisten Stewart Martin und Esther Leslie sowie die Berliner Künstlerin Hito Steyerl (Mitte) während einer Diskussion über Kunststreik; | Foto (Ausschnitt): © Peter Hallward

Die Deutschen entdecken den Spaß an der Philosophie. Auf Festivals geht es um Themen wie den Tod, aber auch um philosophische Gedanken im Twitterformat.

In Deutschland gibt es Festivals für alles und für jeden Geschmack: Schlager und Heavy Metal, Street Food und Street Art. In den vergangenen Jahren sind die Festivals jedoch in einem Feld entstanden, das man nicht per se mit dieser Form des Zusammenseins assoziieren würde: in der Philosophie. In Hannover lud die Volkswagenstiftung 2014 schon zum vierten Mal zum Festival der Philosophie. Eine Konferenz des linken britischen Radical Philosophy-Magazins im Berliner Haus der Kulturen der Welt zog im Frühjahr 2015 Hunderte Menschen an. Das Dresdner Festival Denkfiguren ist eine Veranstaltung für Liebhaber der Philosophie, die das Festival für seine dritte Auflage im Jahr 2016 per Crowdfunding unterstützen. Die Deutschen haben den Spaß am Denken als Freizeitbeschäftigung entdeckt.

Die Nachfrage ist immens

Der Großevent der Philosophiefestivals ist die Phil.Cologne, ein einwöchiger Gesprächsmarathon in Köln. Das Prinzip funktioniert ähnlich wie bei der großen Schwester, dem Literaturfestival Lit.Cologne. Man definiert ein paar drängende Zeitfragen und lädt bekannte Namen dazu ein – die Nachfrage ist immens: 11.000 Besucher fanden im Juni 2015 ihren Weg zu den Veranstaltungen des Festivals.

Auf den Philosophiefestivals geht es um die großen Fragen und um die kleinen. Auf der Phil.Cologne wurde 2015 über den Tod ebenso diskutiert wie über philosophische Aphorismen, also Gedanken im Twitterformat. Der griechische Außenminister Nikos Kotzias sprach über die Lage Griechenlands, der deutsche Politiker Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) diskutierte mit dem Frankfurter Philosophen Christoph Menke über die TV-Polit-Serie House of Cards. Im Mittelpunkt standen Fragen der Alltagsethik, zu aktuellem politischen Handeln oder zur Ästhetik von Popkultur. Kurzum, es geht um Orientierung in der Lebenswelt.

Akademische Philosophen bleiben skeptisch

Fragen, die das Kerngebiet von akademischer Philosophie berühren, etwa Erkenntnistheorie und Wissenschaftsphilosophie, sind bei den meisten Festivals hingegen abwesend. Ebenso ergeht es dem aktuellen Philosophiediskurs des spekulativen Realismus oder den politischen Debatten der Akzelerationisten, einer kapitalismuskritischen Strömung, zu globalen Katastrophen. Es überrascht daher nicht, dass die akademische Philosophie in Deutschland das neue Publikumsinteresse an ihrem Fach mit Skepsis beobachtet. Markus Gabriel, Philosophieprofessor in Bonn, findet, dass die Philosophie – und damit letztlich auch ein Philosophiefestival – keine Orientierung für den Alltag bieten könne.

Dabei hat auch Markus Gabriel von der neuen Popularität der Philosophie in Deutschland profitiert. 2013 wurde sein Buch Warum es die Welt nicht gibt in Deutschland zu einem Bestseller. Darin bringt er die akademische Philosophie der Gegenwart mit naturwissenschaftlichen Fragenstellungen zusammen. Seither ist er häufig in Fernseh- und Radiosendungen zu Gast. Mit seinen 35 Jahren entspricht Gabriel, der schon als 29-Jähriger auf eine Professur berufen worden ist, aber auch dem Typ Philosoph, der auf Philosophiefestivals gefragt ist. Er ist eloquent, kann komplexe Fragestellungen allgemeinverständlich erläutern und ist mit vielen Themengebieten vertraut.

Der Philosoph als Popstar

Auf den Festivals werden Philosophinnen und Philosophen wie Popstars gefeiert, das erweitert auch ihre Rolle. Bisher war die akademische Philosophie dadurch gekennzeichnet, in Textform Stellung zu den Positionen anderer Texte zu beziehen. Philosophen sind als Redner gefragt, als öffentliche Intellektuelle, die Angebote zur Sinnstiftung bereithalten.

Beim Philosophie-Festival in Hannover 2014 hielt der amerikanische Theologe und Star der US-Philosophie-Szene Cornel West den Eröffnungsvortrag über Gerechtigkeit. In seiner am Stil afroamerikanischer Prediger geschulten Rhetorik präsentierte er eine Grundlegung seiner Philosophie, in der protestantische Theologie ebenso wichtig ist wie der Blues.

Noch prägt die Philosophie den Alltag kaum

Auf der Phil.Cologne 2015 unterwanderte der slowenische Lacan-Spezialist Slavoj Žižek dagegen die ihm zugedachte Rolle als Großdenker, indem er seine Anekdoten immer wieder mit einem „Vielleicht kennen Sie das schon ...“ einleitete. Žižek ist durch die Mitschnitte seiner erratischen, sprunghaften Vorträge auf YouTube bekannt geworden.

Der Boom der Philosophiefestivals bedeutet nicht automatisch, dass die Philosophie auch stärker in den Alltag zurückfindet. In seinem Buch Der lange Sommer der Theorie (2015) beschreibt der Ideenhistoriker Philipp Felsch, wie in der Bundesrepublik ab den mittleren 1960er-Jahren die Philosophie im Alltag wichtig wurde. Über Lesekreise, die Lektüre von Bändchen aus dem Merve-Verlag sowie die Alternativ- und Kunstszene inspirierte sie schließlich eine selbstermächtigende „Ethik des Selbst“ (Michel Foucault) als Lebensführung: Entwürfe von Identität in schwulen Wohngemeinschaften, Erziehung in Kinderläden oder das gemeinsame Arbeiten in Kollektivbetrieben.

Von dieser Wirkung sind die Philosophiefestivals der Gegenwart noch weit entfernt. Anstelle von Selbstermächtigung präsentieren sie Philosophie als Event: Auf der Bühne wird hinterfragt, vor der Bühne wird dabei zugehört.