Rechtsextremismus im Kino
Im blinden Rausch

„Wir sind jung. Wir sind stark.“ von Burhan Qurbani
„Wir sind jung. Wir sind stark.“ von Burhan Qurbani | Foto (Ausschnitt): Zorro Film

Der zeitgenössische deutsche Film zeigt das Milieu rechtsextremistischer Jugendlicher als eine Welt voller Exzesse und verführerischer Kameradschaft. Die Politik bleibt dabei bisweilen auf der Strecke.

Der Film beginnt mit einer groben Sexszene und endet mit der Erinnerung an eine zärtliche Umarmung des Großvaters. Die junge Marisa, gespielt von Alina Levshin, ist die Kriegerin im gleichnamigen Film aus dem Jahr 2011. Die erzählerische Klammer, die Regisseur David Wnendt setzt, scheint zu erklären, wie Marisa zur gewaltbereiten Rechtsradikalen werden konnte: Von ihrem Freund, einem Skinhead, lernt sie den Exzess, von ihrem scheinbar so netten Großvater erfährt sie liebevolle Nähe, aber auch eine dumpfe, rudimentäre Form von Militarismus und Fremdenfeindlichkeit.

„Mitglied einer rechtsradikalen Gang zu sein, das hat auch immer etwas Rauschhaftes – so als wollten die Regisseure einen Zustand geminderten intellektuellen Bewusstseins andeuten“, stellte der Kritiker Rudolf Worschech in der Zeitschrift epd Film zu den filmischen Darstellungen dieses Phänomens fest. Aber liegt darin nicht auch die Gefahr der Verharmlosung? Lässt sich eine menschenfeindliche politische Ideologie befriedigend erklären als eine Mischung aus jugendlichem Hormonüberschuss, Orientierungslosigkeit und falscher Erziehung?

Die Ausschreitungen von Rostock

Die aktuellen deutschen Filme über junge Rechte basieren auf intensiven Recherchen. David Wnendt hat zahlreiche Interviews mit den Frauen in der rechten Szene geführt, und Martin Behnke, Drehbuchautor von Burhan Qurbanis Wir sind jung. Wir sind stark. (2015), hat ein über 70 Seiten langes Hintergrunddossier angefertigt, in dem er Ursachen und Ablauf der Geschehnisse in Rostock-Lichtenhagen im Jahr 1992 skizziert. In einer Augustnacht setzten dort – wie bei Behnke beschrieben – nach Krawallen und Ausschreitungen mehrere Hundert Jugendliche, angefeuert von über 3000 Zuschauern, ein Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter in Brand. Die Polizei hatte sich schon zurückgezogen, als der Mob der Feuerwehr den Zugang zum Haus versperrte.

Qurbani und Behnke erzählen in ihrem Film von Tätern, aber auch von Opfern: von jungen Extremisten, die sich ihre Ideologie wie ein inhaltsleeres Statussymbol an die Brust heften, damit sie wenigstens irgendetwas haben in den ökonomischen Wirren der Nachwendezeit. Und sie erzählen von Menschen, deren neue Heimat sich in ein Inferno verwandelt. Doch auch Behnkes Film, der sich sichtlich um Differenzierung bemüht, will nicht darauf verzichten, das Politische in einer fanatisierten Führerfigur zu verdichten. Der Anschlag selbst ist als intensives Erlebnis stilisiert, während dessen Feuer, Gitarrenriffs und stilisierte Zeitlupen ineinander verschmelzen.
 

Trailer: „Wir sind jung. Wir sind stark.“, (vimeo.com) | © Zorro Film

Vom Dokumentarfilm zur Fiktion

Die zeitgenössischen Spielfilme zum Thema Rechtsextremismus lassen sich dennoch wenigstens in Teilen als journalistische Arbeiten lesen: Obwohl sie Fiktion sind, bleiben sie den Prinzipien von Recherche und Dokumentation verpflichtet. Erst um die Jahrtausendwende hat sich das deutsche Kino überhaupt erlaubt, einen fiktionalen Blick ins rechtsextreme Milieu zu werfen – nachdem sich Dokumentarfilme wie Thomas Heises Stau – jetzt geht’s los (1992) und Winfried Bonengels Beruf Neonazi (1993) heftigen Protesten ausgesetzt sahen, weil die Filmemacher bewusst auf einordnende Kommentare verzichtet hatten.

Auch für Oi! Warning (1999) befand die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) in Wiesbaden: „Somit geht es bei der gezeigten Gewalt auch gar nicht um mögliche ‚pädagogische Wirkungen‘, sondern um die Darstellung einer präsenten, ständig aufflackernden Gewaltbereitschaft im Leben jugendlicher Außenseiter“ – und verlieh dem Spielfilm der Brüder Dominik und Benjamin Reding das Prädikat „wertvoll“. Die Regisseure erzählen in ausdrucksstarkem Schwarz-Weiß von der Odyssee des jungen Janosch vom Bodensee, der in Dortmund in die rauschhafte Subkultur der Skinheads eintaucht. Sie orientieren sich dabei auch an einem filmischen Vorbild wie der australischen Produktion Romper Stomper (Regie: Geoffrey Wright) aus dem Jahr 1992.

Rebellion und Reaktion

Womöglich lässt sich auch aus dieser filmischen Tradition erklären, warum heute noch viele Geschichten über junge Rechtsextremisten das Wilde, Spontane, Reflexhafte stärker betonen als das an sich Politische. Auch in Werken wie Führer Ex (2002) von Winfried Bonengel oder Kombat Sechzehn (2005) von Mirko Borscht sind es Gesten des Aufbegehrens und mehr oder weniger hilflose Reaktionen auf Gewalterfahrung und Desorientierung, die junge Menschen in die Arme der rechten Verführer treiben. Es geht eher um den Anschluss an eine Menschengruppe als um den an eine unmenschliche Ideologie.

So legitim und im Einzelnen aufschlussreich all diese Erzählungen auch sein mögen, so bleiben sie dennoch Momentaufnahmen. Das rechte Spektrum reicht in Deutschland heute von dem, was „Extremismus der Mitte“ genannt wird, bis hin zu einer offen terroristischen Organisation wie dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), der jahrelang gezielt mordend durch die Republik zog. Diesen komplexen Spuren, die das rechte Gedankengut in der Gesellschaft hinterlässt, ist mit Milieustudien oder Adrenalin-Kino aber gerade nicht zu folgen. Dafür braucht es Geschichten und Berichte, die dem ideologischen Gehalt des Extremismus ebenso ins Auge sehen wollen wie seinen gewalttätigen Ausprägungen.