Initiative Nachrichtenaufklärung
„Uns sind die Kriterien von Relevanz abhandengekommen.“

„Der blinde Fleck“ – Initiative Nachrichtenaufklärung
„Der blinde Fleck“ – Initiative Nachrichtenaufklärung | Foto (Ausschnitt): Denis Junker – Fotolia.com

Die Initiative Nachrichtenaufklärung (INA)  veröffentlicht in einer jährlichen Top-Ten-Liste Nachrichten, die in der medialen Berichterstattung zu kurz kommen. Im Interview spricht INA-Geschäftsführer Hektor Haarkötter über die Gründe, warum Themen unter den Tisch fallen.

Herr Haarkötter, deutsche Qualitätsmedien verstecken Werbelinks in ihren Onlineartikeln, täuschen damit ihre Leser und lassen sich auch noch dafür bezahlen. Eigentlich ein Skandal. Aber bislang hat kaum jemand darüber berichtet. Warum?

Ganz einfach: Weil sich die Medien damit gewissermaßen selbst an den Pranger stellen müssten, denn sie sind es, die von dieser Praxis profitieren. In Zeiten des zunehmenden ökonomischen Drucks fällt eine solche Enthüllung offenbar besonders schwer, da man eine profitable Einnahmequelle verlieren würde. Letztlich trifft man also eine Entscheidung gegen Transparenz und für ein höchst zweifelhaftes Geschäftsmodell.

Und da kommt die Initiative Nachrichtenaufklärung ins Spiel.

Wir sind ein gemeinnütziger Verein, bestehend aus einem Team von Wissenschaftlern und Journalisten, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, solche blinden Flecken der Medienlandschaft aufzuspüren. Seit 1997 veröffentlichen wir jedes Jahr eine Top-Ten-Liste von vernachlässigten Nachrichten. Recherchiert werden die Themen von studentischen Teams an Hochschulen von Hamburg bis München. Generell geht es darum, Themen zu identifizieren, die unserer Meinung nach eine hohe gesellschaftliche Relevanz haben, aber aus verschiedenen Gründen nicht die öffentliche Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen.

Lücken in der öffentlichen Berichterstattung

Welche Themen führen Sie aktuell auf Ihrer Liste?

Prof. Dr. Hektor Haarkötter Prof. Dr. Hektor Haarkötter | © Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW), Köln Zum Beispiel das Problem der undurchsichtigen Finanzen bei öffentlichen Stiftungen. Diese erhalten jährlich fast ein halbe Milliarde Euro aus Steuergeldern. Es ist oft nicht klar, wohin diese Gelder im Einzelnen fließen. Ein weiteres wichtiges Thema, über das bislang kaum berichtet wurde, ist die massive Unterbezahlung von Auszubildenden in Deutschland. Ebenfalls wichtig sind der mangelnde Datenschutz für Patienten, der hohe Papierverbrauch in Deutschland und die regelrechte Überwachung in Skigebieten: Dort werden Skifahrer ohne ihr Wissen von Betreibern der Liftstationen zu Kontrollzwecken fotografiert.

Die INA veröffentlicht dieses Ranking schon seit 19 Jahren. Was sind die Hauptursachen, die zu solchen Lücken in der Berichterstattung führen?

Eine ganze Reihe von Faktoren spielt hier eine Rolle. Nicht immer ist die Situation so eindeutig wie bei den versteckten Werbelinks. Oft sind es systemimmanente Gründe, die dazu führen, dass manche Nachrichten unter den Tisch fallen. Bis zu 5.000 Ticker-Meldungen prasseln mittlerweile jeden Tag auf eine Redaktion ein. Da rutschen manche Meldungen schon allein deshalb durch das Raster, weil sie gar nicht mehr rezipiert werden können. Vielen Journalisten sind die Kriterien für Relevanz abhandengekommen – trotz oder gerade aufgrund des Überangebots an Information. Ein weiterer Grund ist journalistisches Rudelverhalten.

Sie meinen das gegenseitige Kopieren von Themen?

Genau. Journalisten berichten nun einmal gerne darüber, worüber andere Journalisten auch schon berichtet haben. Im Zweifelsfall bringt man lieber das Thema, das auch schon die Konkurrenz bearbeitet hat, anstatt sich selbst zu überlegen, was man für relevant hält.

Zu schwache Medienkritik

Eigentlich müsste doch die Journalismus- und Medienkritikkultur in Deutschland diese systemischen Probleme abfedern?

In der Theorie ja. Meiner Meinung nach ist es aber um die Kritikkultur hierzulande nicht besonders gut bestellt. Die Beobachtung von Medien erfolgt bei uns bislang vor allem durch die Medien selbst. Und die haben oft kein sonderlich vitales Eigeninteresse, allzu kritisch mit sich selber umzugehen. Sie finden im Medienjournalismus selten eine fundierte sachlich begründete Auseinandersetzung mit den systemischen Problemen von Journalismus.

Aber zumindest im Bereich Medienregulierung sind wir doch in Deutschland gut aufgestellt, oder?

Das System ist ausgefeilt, aber dennoch funktioniert es nicht besonders gut. Die Rundfunkräte der öffentlich-rechtlichen Sender, die eigentlich eine Kontroll- und Aufsichtsfunktion übernehmen sollten, identifizieren sich häufig so sehr mit der Institution, dass eine konstruktive Kritik nur noch schwer möglich ist. Viel sinnvoller wären dagegen Gremien, in denen auch Zuschauer, Leser und User konstruktive Kritik üben könnten. Und dazu sind sie sehr wohl in der Lage, das haben mittlerweile auch etablierte Medienhäuser erkannt. Viele Medien suchen schon aktiv den Dialog mit Lesern und Zuschauern.

Themenfindung mit Bürgerunterstützung

Auch die INA ist ebenfalls auf engagierte Bürger angewiesen, denn von ihnen erhalten Sie die Anregungen für Ihre Themen.

Das stimmt, wir erhalten mehrere hundert Themenvorschläge im Jahr, unter denen wir dann allerdings stark aussieben. Unter den Einsendungen finden sich auch viele verschwörungstheoretische Texte, die die Kritik an den Medien auf eine ungute Weise ins Extrem führen. Darüber hinaus recherchieren wir auch selbst, oft unterstützt durch Partnerorganisationen im In- und Ausland.

Welche Aktionen plant die INA für die Zukunft?

Wir wollen zum Beispiel die schon bestehende Kooperation mit dem Deutschlandfunk noch weiter ausbauen und unsere Themen auch im Hauptprogramm unterbringen. Im Juni 2016 veranstalten wir gemeinsam das zweite Kölner Forum für Journalismuskritik im Kammermusiksaal des Senders. Dort diskutieren wir einen Tag lang mit Experten und Betroffenen darüber, was im Journalismus unter Umständen falsch läuft. Außerdem verleihen wir den Günter-Wallraff-Preis für Journalismuskritik.
 

Dr. Hektor Haarkötter ist Geschäftsführer der Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) und Professor für Journalistik an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Köln.