Vinyl-Schallplatten
Ein Trend mit Schattenseiten

En vogue ist, wer eine Sammlung hat - Vinyl ist zurück im Geschäft
Foto (Ausschnitt): Ralf Dombrowski

Bildbände feiern Plattenläden, Events wie die Plattenladenwoche werben mit Vinyl, Musik wird wieder vermehrt in schwarze Rillen gepresst. Es ist ein Trend mit vielen Facetten, der nicht immer nur zum Jubeln reizt.

Was ist dran am Boom der Schallplatte? Ein paar Fakten und Zahlen als Grundlage: Der Bundesverband Musikindustrie (BVMI) hat Ende 2015 entschieden, die offiziellen Vinylcharts wieder einzuführen, Großbritannien war im Vorjahr mit gutem Beispiel vorangegangen. Laut BVMI-Statistiken wurden 2015 in Deutschland 1,9 Millionen Vinyl-Alben verkauft, das ist knapp ein Drittel mehr als 2014. Insgesamt wurden auf dem Musikmarkt in Deutschland 1,55 Milliarden Euro umgesetzt, das sind knapp 5 Prozent mehr als 2014. Von diesem Umsatzplus fallen etwas mehr als 3 Prozent auf Vinyl.

Kleinauflagen bringen Zahlen

Erst seit 2012 ging es für die Schallplatte wieder bergauf. Das Wachstum in der Nische hat verschiedene Gründe: Coolness, Sound, sich abheben vom Mainstream, den materiellen und ideellen Wert einer Schallplatte gegenüber dem Download. Auch die Retro-Trends New Wave, Disco, Psychedelic und Krautrock oder Jazz taten ihr Übriges. Limited Editions, Alben mit Cardboard-CD-Beilage oder Download-Code machten die Schallplatte wieder attraktiv. Insbesondere aber begannen neue oder kleine Labels damit, ihre Vinylproduktionen zu verknappen.

Oft beließen es Plattenfirmen bei einer Auflage von 300 Stück, um den Wert, die Nachfrage und den Hype ihrer Veröffentlichung zu steigern. Oft kosten neue Maxis, die in den Plattenläden bereits ausverkauft sind, bei dem Online-Portal Discogs zwischen 50 und 100 Euro. Und weil heute fast jeder DJ, der eine Schallplatte veröffentlicht, zugleich auch Produzent, Remixer, Editor, Labelmacher in Personalunion ist, und deshalb keine großen Firmen und deren Werbeabteilungen mehr braucht, kommt es weltweit zu einem bemerkenswerten Anstieg der Vinyl-Produktionen in Kleinstauflagen.

Engpässe und asymmetrische Konkurrenz

Diese Entwicklung hat aber mehr als einen Haken. Die Zahl der Vinyl-Veröffentlichungen hat insgesamt derzeit den Stand der 1990er-Jahre erreicht, mit weit geringeren Stückzahl-Auflagen. Viele Hersteller jedoch haben in den 2000er-Jahren aufgegeben. Die wenig verbliebenen größeren Presswerke in Europa wie Optimal Media GmbH sowie R.A.N.D. Muzik und Pallas in Deutschland oder GZ in der Tschechischen Republik, MPO in Frankreich und Record Industries in den Niederlanden sind jedenfalls überlastet, obwohl sie heute im Vergleich zu früher auf modernen parallelen Pressstraßen am Tag die doppelte bis dreifache Menge an Veröffentlichungen produzieren.

In der schnelllebigen Musikwelt der Gegenwart ist das für kleine Labels, die bis zu sechs Monate auf eine Testpressung und das fertige Produkt warten müssen, eine Katastrophe. Im Zeitalter von Streaming-Diensten und beschleunigter Promo-Maschinerie ist dieser Rückstau in der Herstellung vor allem für Clubmusik-Genres wie Techno und House ein Problem. Auch Major Labels setzen wieder verstärkt auf das alte Geschäft mit Vinyl. Sie veranstalten internationale Record Store Days, gründen Online-Mailorder-Portale und statten Modeketten und Elektromärkte mit Reissues alter Klassiker aus. Das wiederum beansprucht die bereits überlasteten Kapazitäten der verbliebenen Presswerke.

Der Trend zum Mainstream

Darüber hinaus ist der Boom sogar bei den Klassikern der Musikgeschichte angekommen. Junge Erwachsene, die modern und hip sein möchten, kaufen alte Musik neu auf Schallplatte, Jugendliche erwerben alte oder nagelneue Scheiben, aber rare auf 300 Stück limitierte Discomaxis teuer auf spezialisierten Online-Portalen. Es ist schön zu sehen, dass 20-Jährige in Zeiten von Streaming-Diensten Plattenläden eröffnen, die sich zu Treffpunkten für Vinylsammler entwickeln. Das erinnert ein wenig an früher, als die kleinen Plattenläden noch lebendige Treffpunkte waren, wo man sich mit Gleichgesinnten über Musik unterhalten konnte. Bemerkenswert ist auch, dass die ersten Bars und Clubs dazu übergehen, dem Vinyl-DJ etwas mehr Gage zu zahlen als dem Kollegen, der mit Stick oder Laptop anrückt. Schallplatte hat Flair, der Sound ist profund, das kommt in der Szene an.
 
Ein Besuch im Presswerk Pallas in Diepholz, Quelle: Aktiv Wirtschaftszeitung / Youtube

Der Trend zur Schallplatte hat neben überlasteten Presswerken aber auch noch weitere negative Seiten: Erscheint ein Album nur auf Vinyl, ist es relativ unwahrscheinlich, dass beispielsweise nicht geklärte Samples von den Rechteinhabern wahrgenommen werden. Und wenn fast jeder junge Künstler heute seine Produktion zwingend auf Vinyl haben will, nimmt nicht nur die Unübersichtlichkeit des Marktes zu. Es verschwindet auch der Raritätencharakter des Mediums, der derzeit zu dessen Beliebtheit beiträgt, unabhängig von der Haptik, den Covers, dem Gefühl beim Auflegen und den Limited Editions. Vielleicht markiert die Renaissance von Vinyl ja auch das Verschwinden der CD, und Streaming-Dienste ersetzen die MP3. Die Zukunft ist offen.