Bundeskunstsammlung
Ankauf nach 1945

Thomas Kilpper, aus der Serie „State of Control“, 2009, Linolschnitt, Bundeskunstsammlung
Thomas Kilpper, aus der Serie „State of Control“, 2009, Linolschnitt, Bundeskunstsammlung | Foto: © Thomas Kilpper, Bundeskunstsammlung, VG Bild-Kunst, Bonn

Seit 1971 gehen Werke zeitgenössischer Künstler in die „Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland“ ein. Ins Leben gerufen hat die Sammeltätigkeit der Bundesrepublik Deutschland der damals amtierende Bundeskanzler Willy Brandt.

Die Bundesregierung stellt jährlich einen Etat zum Ankauf von zeitgenössischer Kunst bereit, im Jahr 2016 beläuft sich der Etat auf rund 400.000 Euro. Die Faustregel für den Ankauf lautet: Das Werk soll nach 1945, also zu Zeiten der Bundesrepublik Deutschland entstanden sein. Die Staatssammlung umfasst heute rund 1.500 Arbeiten und sie wächst Jahr um Jahr.

Aktuelle Tendenz zum Politischen

Die „Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bunderepublik Deutschland“ untersteht der Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters. Die Staatsministerin beschreibt die Tendenzen der aktuellen Ankaufspolitik so: „Die zeitgenössischen Künstler greifen verstärkt politische und gesellschaftlich relevante Themen auf und reflektieren und bearbeiten diese auch kritisch. Gerade die Mitglieder der amtierenden und der vorherigen Ankaufkommission haben deshalb auch großen Wert darauf gelegt, Arbeiten mit historischem oder politischem Hintergrund vorzuschlagen.“ Sie erwähnt in diesem Zusammenhang Werke von Peter Rösel und Antje Majewski.

Rösel und Majewski

Von Peter Rösel kaufte der Bund 2011 eine Installation aus dem Jahr 2010 an. Sie besteht aus zwei hölzernen Telefonbänken, auf deren Ablagen die amtlichen Telefonbücher für den Bezirk der Reichspostdirektion Berlin liegen. Das dicke, umfangreiche Telefonbuch auf der linken Bank stammt aus dem Jahr 1941, also aus der Zeit zu Beginn des Zweiten Weltkriegs. Das dünnere Telefonbuch ist auf das Jahr 1945 datiert, die Zeit zum Ende des Zweiten Weltkriegs.

Peter Rösel, Installation ohne Titel, 2010 Peter Rösel, Installation ohne Titel, 2010 | © Peter Rösel, Bundeskunstsammlung Das stark verminderte Volumen des Telefonbuchs von 1945 führt ohne Worte vor, wie stark der Krieg die Bevölkerung Berlins reduziert hat, wie hoch die Verluste durch die Deportation und Ermordung oppositioneller oder jüdischer Einwohner waren, durch die aktive Teilnahme der männlichen Bevölkerung am Krieg oder durch die Bombardierungen der Stadt. Die Installation lässt dem Betrachter sehr viel Freiraum, um sich die Ereignisse vorzustellen und gibt zugleich konkrete Anstöße.

Grütters denkt außerdem an eine 2013 entstandene Arbeit von Antje Majewski. Dabei handelt es sich um einen „Miniaturhund“ in Malerei nach einem plastischen Miniaturhund, der als eine Art Glücksbringer aus dem Kunststoff einer Zahnbürste im Konzentrationslager Ravensbrück geschaffen wurde. Es ist dokumentiert, dass er vor 1945 einer berühmten Insassin des Frauen-Konzentrationlagers geschenkt wurde. Dabei handelt es sich um die französische Kommunistin Martha Desrumaux, die 1941 in Lille in die Hände der Gestapo gefallen war und nach Ravensbrück deportiert wurde. Miniaturen wie der im Gemälde dargestellte kleine Hund wurden Gefangenen von ihren Mitgefangenen als kleine Geschenke oder Glücksbringer übergeben. Die Originale werden heute in der Sammlung der Gedenkstätte Ravensbrück aufbewahrt. Majewski hat diese Miniaturen in einer Reihe von Gemälden festgehalten. Sie erzählen uns wie Zeitzeugen von dem menschlichen Miteinander in den Arbeits- und Vernichtungslagern des NS-Regimes. Der Miniaturhund mag Martha Desrumaux tatsächlich Glück gebracht haben, denn sie überlebte das Lager und kehrte 1945 nach Lille zurück.

Malerei nach Miniaturhund aus Ravensbrück Malerei nach Miniaturhund aus Ravensbrück | © Antje Majewski, courtesy neugerriemschneider, Berlin, Fotografie Jens Ziehe, Berlin

Jury

Was in die Sammlung gelangt, entscheidet eine unabhängige Kommission von Fachleuten, die in einem Turnus von fünf Jahren neu berufen wird, „um ein möglichst breites Sammlungspanorama zu gewährleisten“, wie Stephan Berg, Intendant des Kunstmuseums Bonn und Mitglied der Ankaufskommission 2012 bis 2016, erklärt. Die Sammlung trägt also die Handschrift der Kommissionen. In ihr befinden sich Werke, deren Urheber heute keine Schlagzeilen mehr schreiben, und sehr prominente Objekte, zeitunabhängige Schlüsselwerke, wie zum Beispiel das Ölgemälde Sekretärin von Gerhard Richter aus dem Jahr 1963. Es wurde 1977 angekauft. Richters Arbeiten spielen auf den internationalen Auktionen heute Rekordpreise ein und die Kommission könnte eine solche Arbeit heute niemals erwerben, denn ihr aktueller Marktwert würde den jährlichen Etat sprengen. Auch deshalb hat die Sammlung Lücken. So fehlen Arbeiten von Anselm Kiefer ganz, von Jörg Immendorff gibt es nur marginale Arbeiten auf Papier. Gleiches trifft auf Sigmar Polke oder Thomas Bayrle zu, Künstler, deren Bedeutung in unseren Tagen stetig wächst, ablesbar an den Preisentwicklungen für ihre Werke oder an ihrer starken Präsenz auf internationalen Kunstausstellungen wie der Documenta.

Sammeln bedeutet auch fördern

Die Ankaufskommission besucht derzeit drei Kunstmessen, die Art Cologne in Köln, die Art Basel in der Schweiz und die Frieze in London. Der Ankaufsetat wird auf die drei Messen verteilt, „mit leichtem Übergewicht zugunsten Kölns, weil hier die Dichte der deutschen Galerien naturgemäß am höchsten ist“, so Berg. Das ist einem weiteren Ziel der staatlichen Sammeltätigkeit geschuldet, denn die Bundesrepublik möchte die Kunstschaffenden in Deutschland wirtschaftlich unterstützen und die Galerien, die sich hier niedergelassen haben. Obgleich die Staatssammlung kein eigenes Ausstellungsgebäude besitzt, sind die einzelnen Werke dennoch als dauerhafte oder temporäre Leihgaben in Museen zu sehen oder in Einrichtungen des Bundes. Ist die Amtszeit einer Ankaufskommission abgelaufen, werden die zuletzt erworbenen Werke in einer Ausstellung der Öffentlichkeit vorgestellt. Aber niemand muss reisen, um die Sammlung zu sehen: Alle Werke sind in der Datenbank der Sammlung publiziert. Informationen zu den Werken und meist auch Abbildungen davon können weltweit, Tag und Nacht, abgerufen werden.