Berlin Biennale 2016
Gesucht: Das Berlin von heute

Speculative Ambience, 2016, Video Still, Produziert von Iconoclast
Speculative Ambience, 2016, Video Still, Produziert von Iconoclast | Foto (Ausschnitt): © Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst

In Berlin versuchen 50 junge Künstler und Künstlerkollektive, die Gegenwart der Kunst in digitalen Zeiten zu zeigen. Das ist eindrucksvoll, auch wenn es nicht immer einfach ist, hinter die Oberflächen der aktuellen Künstlergeneration zu schauen.

Die neunte Berlin Biennale ist verglichen mit den vorangegangenen Ausgaben am stärksten an der Gegenwart orientiert und am internationalsten ausgerichtet. Sie zeigt Kunst, Konfusion und Körper im Zeitalter der selbstverständlichen Digitalisierung, sucht das neue Berlin und bietet an fünf zentralen Schauplätzen unangenehme Wahrheiten, aber auch betörende Kunstmomente.

Das Kollektiv DIS, bestehend aus den vier New Yorker Künstlern Lauren Boyle, Solomon Chase, Marco Roso und David Toro hat diese neunte Biennale kuratiert. Sie gelten als Vorreiter der Post-Internet-Kunst – eine Etikettierung, die lediglich besagt, dass sich die junge Künstlergeneration so selbstverständlich zwischen digitalen Welten und 3-D-Druckern bewegt, dass das Wort „Internet“ gar nicht mehr auftauchen muss, eben weil es so offensichtlicher Referenzpunkt der Arbeiten ist. Und genau dort sind DIS auch mit ihrer Biennale zu verorten: Sie zeigen junge Positionen der Digital Natives.

The Present in Drag ist der Titel der Biennale, und die „verkleidete Gegenwart“, die hier gezeigt wird, ist tatsächlich nicht nur sehr digital, sie ist auch wie eine Hochglanzwerbung inszeniert. Website, Logo, Katalog, Plakate und Banner der Biennale sind an Corporate Identities internationaler Konzerne angelehnt. Dazu kommt die marketingorientierte Sprache des Kuratorenteams, das gerne Schlagwörtern wie „Paradessenzen“ (eine Kurzform von „paradoxe Essenz“) verwendet – was die Vereinigung von widersprüchlichen Qualitäten in einem Produkt bedeutet.

Etablierte und unbekannte Künstler

Dass es um Kunst geht und nicht um Technik oder Werbung, ist nicht sofort ersichtlich. Dabei wäre es schade, wenn Besucher sich nicht auf diese Biennale einlassen würde. Neben den bereits etablierten US-Videokünstlern Josh Kline und Wu Tsang, den deutschen Ingo Niermann und Hito Steyerl oder der 2015 auf der Biennale in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichneten Adrian Piper, die in Berlin lebt, sind auch viele noch unbekannter Künstler mit ihren Arbeiten vertreten, die teilweise erst für diese Biennale entstanden sind. Sie werden an fünf Schauplätzen gezeigt.
 
  •  Speculative Ambience, 2016 (Video Still) Produziert von Iconoclast © Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst
    Speculative Ambience, 2016 (Video Still) Produziert von Iconoclast
  • DIS, kuratorisches Team der 9. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst Foto: Sabine Reitmaier
    DIS, kuratorisches Team der 9. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst
  • Logo © Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst
  •  Narrative Devices, 2016, Featuring Tilman Hornig: GlassPhone, (Video Still) Produziert von Iconoclast © Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst
    Narrative Devices, 2016, Featuring Tilman Hornig: GlassPhone, (Video Still) Produziert von Iconoclast
  • 3D design Filip Setmanuk, 2016 Foto: Natasha Goldenberg, © Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst
    3D design Filip Setmanuk, 2016
  • Halil Altindere, Homeland, 2016, (Videostill) © Halil Altindere und Pilot Gallery, Istanbul
    Halil Altindere, Homeland, 2016, (Videostill)
  • Halil Altindere, Homeland, 2016, (Videostill) © Halil Altindere und Pilot Gallery, Istanbul
    Halil Altindere, Homeland, 2016, (Videostill)
  • GCC, Installationsansicht, Positive Pathways (+), 2016 © GCC; Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin; Project Native Informant, London; Foto: Timo Ohler
    GCC, Installationsansicht, Positive Pathways (+), 2016
  • lapses in Thinking By the person i Am, 2015, Installationsansicht © CCA Wattis Institute for Contemporary Arts; Foto: Johnna Arnold
    lapses in Thinking By the person i Am, 2015, Installationsansicht
  • Hito Steyerl, Tank/Texture, 2015 © Hito Steyerl
    Hito Steyerl, Tank/Texture, 2015
  • Jon Rafman, Junior Suite, 2014, Virtual-Reality-Installation © Jon Rafman; Future Gallery, Berlin
    Jon Rafman, Junior Suite, 2014, Virtual-Reality-Installation
  • Simon Denny with Linda Kantchev, Installation view Blockchain Visionaries, 2016, Creative New Zealand, Photo: Timo Ohler
    Simon Denny with Linda Kantchev, Installation view
Die Kuratoren von DIS waren offensichtlich auf der Suche nach dem Berlin von heute, also nach dem der Glasfassaden, der Firmenzentralen und der Touristenströme. Das romantische Berlin der verfallenen DDR-Brachen oder der Randgebiete des alten Westens interessieren sie nicht. Das ist ein neuer Ansatz, den der erste Hauptausstellungspunkt aufgrund seiner Lage gleich einlöst: In der Akademie der Künste, zentral am Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor gelegen, ist unter anderem die Videoarbeit Homeland von Halil Altindere zu sehen: eine wuchtige Choreografie wütender, verzweifelter Menschen, Flüchtlinge vor den Zäunen Europas, unterlegt mit dem Soundtrack von Rapper Abu Hajar. Auf der Dachterrasse der Akademie der Künste besticht dann die Arbeit von Jon Rafman: Mittels eines Virtual-Reality-Headsets verwandelt sich der Pariser Platz für den Betrachter in einen prähistorischen Ozean und er findet sich in einem fiktiven Weltuntergangsszenario wieder.

Im Stammhaus der Biennale, dem KW Institute for Contemporary Art in der Auguststraße und dem zweiten großen Ausstellungsort, sind Arbeiten der bereits erwähnten Wu Tsang und Josh Kline zu sehen. Außerdem finden sich im mit Wasser gefluteten Hauptraum Cecile B. Evans flackernde Arbeiten zur Vermischung von Realität und Virtualität. Besonders gelungen ist auch die Videoarbeit von Anne Vries im ersten Stock, in der Hunderttausende Menschen digital zu einer tanzenden Konzertmasse zusammengesetzt wurden. 

Nicht alle neuen Orte überzeugen

Weniger gelungen ist dagegen die Einbeziehung der Feuerle-Sammlung, einem privaten Sammlerort in einem Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg, dem dritten Ausstellungsort. Der unwirtliche, düstere Ort erschlägt jede Kunst, auch die der Fotografin Josephine Pryde. Ihre Serie von Aufnahmen weiblicher Hände hat gegen die erdrückende Beton-Architektur keine Chance. Als vierter Ort fungiert ein Fahrgastschiff auf der Spree, auf dem eine Videoinstallation zu sehen ist, die an Zombiefilme erinnert.

An der ESMT (European School of Management and Technology) im ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR findet nochmals alles zusammen, was Berlin heute ist, und was die Kuratoren von DIS in der Stadt erfolgreich gesucht und gefunden haben: ein von der Vergangenheit entkoppelter Ort in der Mitte der Stadt, in dem heute statt Sozialismus Kapitalismus und Management gelehrt werden. Wer sich durch das von dem Architekten Hans Günter Merz beispielhaft sanierte Gebäude bis zu dem Bereich bewegt, in dem die Arbeiten der Biennale zu sehen sind, nimmt diese Geschichte des Gebäudes wahr und landet in der Gegenwart, in der die digitale Währung Bitcoin im Werk des Neuseeländers Simon Denny das beherrschende Thema ist. Am Ende des Rundgangs dann eine sensationelle Arbeit, berührend und schlicht zugleich: In Positive Pathways des Künstlerkollektivs GCC aus den Vereinigten Arabischen Emiraten geht es – sehr passend in der Management-Schule ESTM –  um Selbstoptimierung und das Streben nach Erfolg als Religionsersatz.