Karatschi aufbauen, einen Schritt nach dem anderen
Future Perfect

Volunteers of MKG plant a tree sapling near a roadside
Foto: Basil Andrews

Eine neu entstandene Gruppe in Karatschi will sich für ihre Stadt stark machen und verschafft sich durch Protest, Gemeinschaftsprojekte und Aktionen Gehör.

„Es war Karfreitag, und ich hatte etwas freie Zeit an jenem Abend. Ich spielte mit der Idee, eine Facebook-Gruppe ins Leben zu rufen, die sich den Aufgaben unserer Stadt widmet. Ich hatte das starke Gefühl, dass, wenn wir als Bürger die Regierung nicht unter Druck setzen, damit sie die zahllosen Probleme in unserer Stadt löst, Karatschi schließlich kollabieren wird“, sagt Imran Ahmad, Gründer der Gruppe Mera Karachi (Mein Karatschi).

Karatschi ist eine geschäftige und expandierende Metropole und die bevölkerungsreichste Stadt Pakistans. Sie wird von politischen Seilschaften und Interessengruppen, Problemen mit Gemeinbedarfsflächen und dem Wohnungsbau, Verkehrsstaus und Luftverschmutzung, Abwasser- und Abfallentsorgungsengpässen sowie einer stetigen Abnahme der Grünflächen geplagt. Imran Ahmad wird wütend, wenn er an die verfallende Infrastruktur, die Gewalt und die quasi nicht existente Behördenaufsicht denkt – und dieser Ärger wird von so vielen geteilt, dass er im Handumdrehen eine dynamische, öffentliche Aktivistengruppe um sich scharen konnte.

Ein Schritt nach dem anderen

„Ich hatte erstmal keine Ahnung, woher ich Unterstützung für die Gruppe bekommen sollte. Schließlich fasste ich kurz zusammen, worum es mir ging, und postete es. Außerdem lud ich ein paar Familien und Facebook-Freunde ein, der Gruppe beizutreten, falls ihnen meine Idee gefiel.“ Zunächst nannte Imran die Gruppe Karachi Pressure Group. In nur zwei Tagen traten ihr 1500 Personen bei. „Auf der einen Seite stand plötzlich eine Gruppe von Menschen, die glaubten, es handele sich um eine organisierte ‚Bewegung‘, und ich, auf der anderen Seite, hatte keinen Plan“, erinnert sich Imran. Was den einfachen Geschäftsmann dazu ermutigte, diese Gruppe zu gründen, war, dass er bereits auf Erfahrung mit einer bürgerschaftlichen Initiative zurückgreifen konnte.

Nach diesen ersten beiden Tagen lud Imran ein paar Vertraute dazu ein, sich ihm anzuschließen. Veqar Islam und Zulfiqar Ramzi nahmen sofort an. Zusammen entschied das Trio, sich den Angelegenheiten in der Reihenfolge zu stellen, in der sie aufkamen. Durch die Facebook-Gruppe würden sie in der Lage sein, mit den Menschen in Verbindung zu treten und eine genauere Vorstellung davon zu bekommen, welches die drängendsten Fragen in der 20-Millionen-Stadt sind. Eine der ersten Vorschläge aus der Gruppe war, das Wort „pressure“ – Druck – aus dem Namen zu streichen, weil es zu provokant klang. Das machte die möglichen Konsequenzen der Gründung einer solchen Initiative deutlich: Mit ihr stellt man sich direkt gegen die politischen Interessengruppen und Seilschaften, die alle einen Teil der Metropole kontrollieren wollen. „Offensichtlich sind wir eine Bedrohung. Wir sind mutig genug, das Kind beim Namen zu nennen, aber passen auch auf, dass wir niemanden in die Ecke drängen. In einer intoleranten Gesellschaft muss man umsichtig agieren“, erklärt Imran.

Bereits in den ersten zehn Tagen nach Gründung wuchs die Gruppe rasant und gewann etwa 200 neue Mitglieder pro Tag. Es war an der Zeit, die Gruppe zu organisieren. Ein temporärer Vorstand wurde gegründet, der sich aus Imran, Veqar, Zulfiqar und den vier Mitstreitern Salah Uddin, Mahmood Nanji, Zahoor Motiwala und Rayhan Ahmad zusammensetzte. Drei weitere Mitglieder – Sameena Adamjee, Rana Siddiqui und Sabiha Wahedena – boten an, als Moderatoren zu fungieren. Zusammen können sie die Aktivitäten der Facebook-Gruppe rund um die Uhr im Auge behalten, denn Sameena und Rana wohnen im Ausland in einer anderen Zeitzone als Karatschi.

Karachi-ites walk with MKG members on their first walk in April 2015 Photo: Basil Andrews

Durchstarten, Schwerpunkte herausarbeiten, dezentral agieren

Nach dem Internetlaunch organisierte die nunmehr in „Mera Karachi“ umbenannte Facebook-Gruppe eine erste Offline-Aktivität: einen Wohltätigkeitslauf. An einem sonnigen Sonntagmorgen spazierte eine Gruppe von 200 Menschen, unter ihnen Imran und seine Freunde, an Karatschis öffentlichem Strand Seaview entlang. Der Vorstand traf sich mit Mitgliedern der Facebook-Gruppe. Während dieser ersten persönlichen Begegnung gelang es, 100 Freiwillige zu engagieren. „Aus der Vielzahl an Problemen wählten wir einige aus, die wir als erstes in Angriff nehmen wollten. Dazu gehörten die Abfallentsorgung und Sauberkeit, Verkehrserziehung sowie Baumpflanzung.“ Nachdem man drei Teams für die jeweiligen Schwerpunkte gebildet hatte, kam die Gruppe zu der Einsicht, dass es in Anbetracht der eingeschränkten Ressourcen sinnvoller sei, Freiwilligenteams zu etablieren, die sich um die Probleme in ihrer jeweiligen Nachbarschaft kümmern. Das hatte letztendlich die Auflösung der zentralen Gruppe und ihrer Struktur zur Folge.

Derzeit arbeitet die Gruppe als nicht eingetragene Vereinigung. „Jeder von uns ist hier wegen der guten Arbeit, die wir leisten wollen, nicht wegen irgendwelcher Titel oder finanzieller Vorteile. Wir werben nicht um Spenden, wir bitten die Menschen, uns etwas von ihrer Zeit und ihrem Talent zu widmen“, führt Imran aus.

Herausforderungen und Hoffnungen

Aber bei manchen Gelegenheiten wäre eine Rechtsform von Nöten, um die Arbeit der Gruppe zu erleichtern. Ein Beispiel hierfür, erläutert Imran, sei ein aktuelles Verfahren gegen das Fällen von Bäumen und die illegale Anbringung von Werbetafeln in Karatschi. Die Mitglieder der Gruppe mussten in den Gerichtsdokumenten ihren persönlichen Namen angeben. Nach Einschätzung des Gründers ist die Gruppe nun „an einem Punkt angelangt, an dem wir entscheiden müssen, ob wir als nicht eingetragene Gruppe weitermachen wollen oder ob wir uns nicht als Verein oder Stiftung eintragen sollten.“ Auch andere Hindernisse stehen der Effektivität der Gruppe im Weg. Die sozialen Medien sind das maßgebliche Instrument, mit dem Mera Karachi kommuniziert und Informationen verbreitet. Aber der Zugang zu sozialen Medien ist ein Privileg, das nicht alle Schichten genießen. Nicht jeder in Karatschi hat Zugriff auf das Internet oder kann sich ein Smartphone leisten. „Die Herausforderung ist, Menschen zu erreichen, die digital nicht präsent sind“, meint Imran.

Doch der Gründer der Gruppe setzt immer noch Hoffnungen auf das Potential von Gemeinschaftsarbeit: „Wenn wir den Betroffenen einfache Lösungen auf komplexe Fragen anbieten können, sorgen wir für Erleichterung. Nach mehr als drei Jahrzehnten des exponentiellen, unkontrollierten Wachstums haben die Einwohner von Karatschi resigniert. Wir wollen mit ihnen gemeinsam einen Weg beschreiten, der uns zum Aufschwung führt. Das können wir nur erreichen, wenn wir zusammenarbeiten.“

Educated Karachi Photo: Basil Andrews

Realistisch denken. Groß denken.

Die Dezentralisierung der Gruppe brachte zahlreiche Führungsmitglieder hervor. Eine davon ist die Buchhalterin Abida Iffat. Unter der Schirmherrschaft der Gruppe initiierte sie die Kampagne „1000 Bäume“, um die Grünflächen der Stadt nach der Hitzewelle im Juni 2015 wieder auszubauen. Abida wohnt im Bezirk Gulistan-e-Johar und wandte sich an die für ihren Stadtteil zuständige Behörde, um ein Baumpflanzungs-Pilotprojekt auf den Weg zu bringen. In diesem Jahr gelang es Abida, in Zusammenarbeit mit der Verwaltung des Cantonment Malir 1000 Bäume zu pflanzen. Ursprünglich sollten alle Parks und Grünflächen im Zuständigkeitsbereich der Behörde in die Kampagne aufgenommen werden. Die Verwaltung des Cantonment sorgte für die Pflege der Setzlinge über das gesamte Jahr und band sogar die ortsansässigen Gärtner ein.

Dezentrale Aktivitäten wie diese Kampagne stellen eine Rückverbindung zur größeren Gruppe her und nutzen deren Reichweite. So organisierte die Facebook-Gruppe im Mai dieses Jahres einen Protest gegen eine Welle illegaler Baumfällungen. Abida führt ihre Gedanken dazu aus: „Die falschen Prioritäten meiner Mitbürger bereiten mir wirklich Kummer. Ich bin keine Expertin in Umweltfragen, aber was ich weiß, ist, dass Bäume lebensnotwendig für uns sind. Es ärgert mich, dass die Regierung und Privatunternehmen diese Tatsache nicht anerkennen wollen.“

Weder dieser Rückschlag noch ihre schlechte Gesundheit können Abidas Eifer und ihr Engagement für die Sache bremsen. Sie hat eine Botschaft für die Menschen im übrigen Teil der Welt, die sich ähnlichen Situationen gegenübersehen: „Wenn du etwas siehst, das du nicht magst – ändere es! Keiner wird deine Probleme für dich lösen. Wenn du etwas für dein Volk, deine Region oder dein Land tun willst, mach es einfach. Denke realistisch. Denke groß. Du kannst alles erreichen, was du willst!“