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HÄUSER AUS PLASTIKABFALL
Photo: Basil Andrews

Die Anstrengungen einer einzigen Frau, Karatschis Abfall wiederzuverwerten, führt zur Entstehung einer alternativen Wohntechnologie. Wo auch immer eine provisorische Unterkunft benötigt wird, ist der silberne Bau eine brauchbare Option.

  • HOUSES FROM PLASTIC WASTE Photo: Basil Andrews

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Ich steige aus dem „Chingchi“ – dem lokalen, dreirädrigen Gefährt zum Pendeln – und bezahle den Fahrer. Ich gehe durch den Seiteneingang des Mithi Civil Hospital und auf einen ungepflasterten Weg. Zu meiner Rechten befindet sich die Ambulanz. Zu meiner Linken steht ein silberfarbenes, kastenförmiges Gebäude: eine visuelle Kuriosität, ein starker Kontrast zu der Krankenstation aus Zement und Beton vor mir. Diese Kuriosität nennt man Chandi Ghar (silbernes Haus), und es ist eines von vielen Produkte, die die Umwelt-NGO Gul Bahao entwickelt hat. Gründerin der NGO ist Nargis Latee, ausgebildet als Botanikerin, in ihrem Denken und Handeln eine Umweltschützerin.

Gul Bahao – was auf Urdu so viel wie „Duft versprühen“ heißt – ist das 22 Jahre alte Ergebnis von Nargis’ Mission, Karatschis komplexes Abfallwirtschafts- und Müllbeseitigungsproblem zu lösen sowie gleichzeitig einen neuen Ansatz für Wohnungen und Unterkünfte zu finden. Nargis und ihr Team aus qualifizierten Wanderarbeitern haben zusammen günstige und indigene Lösungen für diese Probleme entwickelt – was heißt, dass sie diese Lösungen ohne moderne technische Hilfsmittel und lokal entwickelt haben. Einige dieser Lösungen sind: Sofortkompost, mobile Toiletten und Wasserreinigungsmethoden. Heute ist das Chandi-Ghar-Gebäude das Starprodukt von Gul Bahao.

Geboren aus Notwendigkeit und Experimenten

Die Chandi-Ghar-Technologie hat sich aus einer Serie von Experimenten und Forschungen entwickelt. Wie Nargis schildert: „Eines Tages saß ich in unserem Forschungscamp, ruhte mich aus. Es war mitten am Nachmittag, und dieser Junge kommt zu mir und schreit aufgeregt: „Baaji! baaji! Mein ne diwaar banaadia! dewaar banaadia!“ (Schwester! Schwester! Ich habe eine Wand gebaut! Ich habe eine Wand gebaut!). Ich gehe raus und sehe diese Blöcke am Boden liegen.” Die Baumaterialien, die heute „Wastic“-Blöcke genannt werden – eine Mischung aus dem englischen Wort „waste“ für Abfall und „plastic“ für Plastik – sind aus dem entstanden, was Nargis wiederholt so umschreibt: „Not macht erfinderisch.“

Heute werden die „Wastic“-Blöcke aus BOPP-Folien (biaxial orientiertes Polypropylen) gemacht, z.B. aus dem Überschuss oder aus aussortierten Materialien von Verpackungsfirmen in der Stadt. Diese Folien wurden ausgewählt, als das Team beobachtete, dass sie die Chandi-Ghar-Nutzer kühler hielten, als die weggeworfenen Plastikeinkaufstaschen, die anfänglich für die „Wastic“-Blöcke verwendet wurden.

Nargis Vision, Abfall zu Unterkünften zu recyceln, hat weitere Ausprägungen: Nach dem Erdbeben im Norden Pakistans im Jahr 2005 nutzte Nargis die Chance, einen Prototypen des Chandi Ghar auf einem Grundstück in Mansehra zu testen. Provisorische Häuser wurden für vertriebene Familien gebaut, bis sie ihre eigenen Häuser wieder aufgebaut hatten. Ein Jahr später wurde das zweite Modell beim Mithi Civil Hospital eingesetzt und von Einzelspendern sowie einer Schule finanziert. In Mithi – der Hauptstadt des Tharparkar-Distrikts in Pakistans Sindh-Provinz – dient der glänzende Bau als Ruhezimmer für die Familien der Patienten, die an der einzigen größeren medizinischen Einrichtung des Distrikts ankommen. Der aus Nagarparkar stammende Ghulam Haider wies seine Tochter nach einer Cholera-Episode in das Krankenhaus ein. In dieser ersten Nacht schlief er draußen auf der Veranda der Station. Am zweiten Tag fand er Zuflucht im silbernen, modularen Haus, nachdem Karim – der Hausmeister des Chandi-Ghar-Raumes – ihm erzählte, dass es Tag und Nacht zur Verfügung steht: bis seine Tochter geheilt ist.

Sauber, vielseitig – und der Wahrnehmung der Menschen voraus

Strukturell gesehen hat das Chandi Ghar ein modulares, kastenförmiges Design. Die Wastic-Blöcke werden manuell aus Folien zusammengepresst, wobei Bambusstöcke als Rahmen verwendet werden. Dasselbe Wastic-Modul kann abhängig von den Bedürfnissen des Haushalts in einen Tisch, Stuhl, in Kissen oder in ein Bett verwandelt werden. Als Gebäude ist es auch energieeffizient; es schützt seine Bewohner vor der Hitze des Sommers und der Kälte des Winters.

Bei der Ästhetik und Gesundheit muss das silberne Gebäude aber noch aufholen, um als bewohnbares Haus wahrgenommen zu werden. Sugatullah, ein weiterer Besucher des Krankenhauses, beobachtet: „Als ich es das erste Mal sah, dachte ich, es wäre eine Hühnerfarm. Ich kannte seinen Zweck nicht, bis ich Leute sah, die es als Ruheraum nutzten. Ich würde es nur als Haus benutzen, wenn es keine günstigere Alternative gäbe.“ Sicherheitsprobleme sind auch eine Angelegenheit, vor allem das Risiko der Brandgefahr; daher hat Nargis das Kochen im Chandi Ghar verboten. Auch mit Blick auf die Gesundheit der Nutzer fehlt es noch an Studien zu den Auswirkungen eines Lebens mit Plastik.

Zurück in Karatschi stelle ich bezüglich der visuellen Präsentation dieselbe Frage. Nargis kontert mit einer Analogie: „So wie eine alte Frau, die normales Make-Up verwendet, um hübscher zu sein, so braucht auch das Chandi Gahr ein paar innere Schliffe, und es wird gut aussehen.“

Nargis beschwert sich aber über die fehlende Unterstützung seitens der Regierung oder der Menschen in Karatschi im Allgemeinen. Sie schimpft: „Sie sind für neue Ideen nicht offen. Studenten und Menschen sehen es nicht als sauber an. Manchmal würden sie sich nicht einmal draufsetzen. Ja, Studenten kommen und besuchen uns, aber würden sich nicht einmal an so etwas Informellem wie dieser Idee beteiligen. Sie haben dieses Bild davon, für etwas Fantastisches und Gehobenes zu arbeiten, etwas, das ihnen einen Job einbringt. Das ist eine sehr rückständige Denkweise. Für etwas Neues muss man seine Hände schmutzig machen.“ Heute hofft sie, mit Menschen außerhalb Pakistans zusammenarbeiten zu können, um ein noch besseres Produkt zu entwickeln.

Was muss sich ändern?

Nargis’ Weg war nicht frei von Hürden. Sie und ihr Team kämpften gegen Zwangsvertreibungen aus dem gemieteten Raum, in dem sie ihre einfache Werkstatt eingerichtet hatten – Vertreibungen, die wohl von „Land Grabbern“ betrieben wurden, manchmal mit dem Segen der amtierenden Regierung.

Auch persönlich musste Nargis viel opfern. „Es hat 22 Jahre meines Lebens gekostet. Die Ersparnisse meines Mannes. Eine volle Ladung Frustration, Kummer und Angst. Es gab eine Zeit, zu der ich mein Leben beenden wollte, aber ich hatte meinen Mann und Sohn.“

Was muss sich ändern, frage ich. „Die Denkweise der Menschen muss sich ändern. Wir reden über eine Umweltkatastrophe, die von der Plastikentsorgung verursacht wird. Wenn die Menschen den Wert erkennen und ihren Abfall sortieren würden, könnte er in diesen Blöcken recycelt werden.“ Mit dem Hinweis, dass jedes Wohnen temporär ist, schließt sie: „Ist es nicht logisch, dass man etwas Kosteneffektives baut, wenn Land in den Städten so teuer ist? Sogar bei Katchi abadis (informeller Hausbau) kann man das Chandi Ghar benutzen, da man nicht weiß, ob das Land einen offiziellen rechtlichen Status bekommen wird, und wenn man räumen muss, baut man das Gebäude einfach ab. Oder wenn da ein leeres Grundstück ist und der Besitzer nichts darauf bauen möchte, kann er es vermieten und man kann die Wastic-Blöcke als vorübergehendes Zuhause, als Bauernmarkt, als Unterkunft für Bauarbeiter oder für Ausstellungen nutzen.“

In der Nachbarschaft von Gul Bahaos einfacher Forschungseinrichtung entsteht ein mehrstöckiges Gebäude. Während Chandi Ghar für das Versprechen steht, das Samenkorn einer nachhaltigeren Alternative zu sein, muss es als Mainstream-Technologie für Baumaterialien in Karatschi erst noch Akzeptanz finden. Um Nargis‘ oft wiederholtes Sprichwort zu bemühen – „Not macht erfinderisch“ –, müssen die Väter von Karatschi vielleicht erst noch einige Notwendigkeiten erkennen. Dann sehen sie vielleicht davon ab, den Sand des Malir-Flussbetts abzutragen, eines Monsunflusses im Distrikt Karatschi. Anstelle dieser politisch und ökonomisch profitablen Methode, die aber ökologisch verhehrend ist, könnten sie einen alternativen Diskurs entstehen lassen – nämlich aus der stetig wachsenden Notwendigkeit, zu nachhaltigeren Praktiken zu wechseln.
 
 

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