Neuer Roman von Leif Randt
Flunkernder Ernst

Leif Randt liest bei der Lesung seines Romans «Let's talk about feelings» auf dem 25. Internationalen Literaturfestival Berlin (ilb) im Haus der Berliner Festspiele.
Ein Autor mit einem geschärften Blick auf die Gegenwart: Leif Randt, hier bei der Lesung zu seinem neuen Roman auf dem 25. Internationalen Literaturfestival Berlin (ilb) | © picture alliance/dpa | Christoph Soeder

Leif Randts neuer Roman „Let's Talk About Feelings“ spürt einmal mehr den Gefühlslagen der Millennials nach. Wieder in einer saturierten Gegenwart ohne große Konflikte – und doch bleibt auch hier Raum für Minikrisen und Liebe. Nur: Wie fühlen sich diese Momente in so einer Welt an?

In einem Moment droht Marian Flanders die Kontrolle zu verlieren: Kurz nach der alternativen Seebestattung seiner Mutter beschließt er, weniger auf sein Handy zu schauen. Stattdessen will er mehr auf die Menschen in seiner Umgebung achten. Als er einen Mann in der U-Bahn etwas zu lange anstarrt, pöbelt ihn dieser an. Marian entschuldigte sich, „er habe nicht starren wollen, er habe nur sein Handy zu Hause vergessen. ‚Get a life!‘, sagte der Mann und setzt sich wieder hin.“

Coming-of-Middle-Age-Geschichte

Marian Flanders ist Anfang 40 und befürchtet, dass nach dem Tod seiner Mutter die fade Lebenshälfte bevorsteht. Doch dieses Gefühl währt nur kurz. Der Antiheld in Leif Randts neuem Roman Let’s talk about feelings berappelt sich schnell. Erst fühlt er sich normal, dann regelrecht gut. Schließlich verliebt er sich auf seine Art, und es beginnt eine wohltemperierte Coming-of-Middle-Age-Geschichte.

Cover von Leif Randts Roman "Let’s Talk About Feelings" © Kiepenheuer & Witsch

Leif Randts neuer Roman wurde mit großer Spannung erwartet. Insbesondere nach dem Erfolg seines letzten Buchs Allegro Pastell. Darin erzählt Randt von der Fernbeziehung zwischen dem Webdesigner Jerome Daimler und der erfolgreichen Jungautorin Tanja Arnheim. Wie kein anderes belletristisches Textdokument beschreibt Allegro Pastell die permanente Selbstreflexion der Millennials der späten Nullerjahre.

Der Literaturkritiker Ijoma Mangold ließ sich in einer epischen Besprechung gar zu der Annahme hinreisen, kein Millennial könne künftig einen Roman schreiben, „ohne sich zu Allegro Pastell zu verhalten“. Er schloss sogar nicht aus, dass eine Jugendbewegung von diesem Buch ausgehen könne. Was Ausdruck leichtsinniger Euphorie war, tat der Tatsache keinen Abbruch, dass sich Leif Randt als der gegenwärtigste Autor seiner Generation präsentierte.

2025, aber anders

Da sich Randt nicht gut mit Krisen und Kriegen verträgt, setzt er Let’s talk about feelings im Jahr 2025 unter etwas veränderten politischen Vorzeichen an: Die Regierung stellt die fortschrittliche Partei Progress ’16 unter Kanzlerin Fatima Brinkmann, Robert Habeck kehrt ins Amt des Vizekanzlers zurück. Die rechten National-Libertären liegen unter zehn Prozent. In den Vereinigten Staaten befindet sich Bernie Sanders in seiner zweiten Amtszeit. Noch ist die Welt in Ordnung.

In dieser okayen Welt führt Marian Flanders die Westberliner Mode-Boutique Kenting Beach. Dort verkauft er eine kuratierte Auswahl hochpreisiger Markenartikel und Vintage-Pieces, doch richtig gut läuft der Laden nicht. Auch nicht, als er sich entschließt, gefakte Designer-Stücke von einem chinesischen Händler zu beziehen und in einem Installationssetting zum Verkauf anzubieten.

Mini-Sabbatical gegen die Mini-Krise

Um der sanften Melancholie zu entfliehen, beschließt Marian, ein Mini-Sabbatical auf Teneriffa einzulegen. Dort verbringt er einige Zeit in der Ferienwohnung seines Vaters Milo Coen. Der einstige Tagesschausprecher und einstweilige TikTok-Star im Rentenalter erzählt Marian, wie ihm die Auszeit auf den Kanaren seinerzeit beflügelte:
‚Ich hatte mich viel zu lange wie ein One-Trick-Pony und Hochstapler gefühlt. Dabei muss man kein schlechtes Gewissen haben, wenn einem was leichtfällt.‘ Auf den Kanaren habe Milo seinen Frieden damit gemacht, dass er den sachlichen Texten anderer ein freundliches Gesicht und eine zugewandte Stimme gab. Er saß vor einer Kamera und las Nachrichten vor, nicht mehr, aber auch nicht weniger. ‚Und plötzlich hatte ich richtig Spaß an meinem Beruf. Wahrscheinlich hat damals sogar die beste Zeit überhaupt begonnen.‘
Auch für Marian Flanders bricht die wahrscheinlich beste Zeit an. Doch von Ausgelassenheit und großen Emotionen kann hier keine Rede sein. Wie bereits die Figuren in seinen Vorgängerromanen trifft auch Randts neuer Antiheld seine Entscheidungen zu jedem Zeitpunkt wohlüberlegt. Es dominiert einmal mehr das Sowohl-Als-Auch.

Lovestory zwischen Berlinale und Olympiastadion

Die größten Schwingungen spielen sich in der Liebesgeschichte zwischen Marian Flanders und der Regisseurin Kuba Kötting ab. Nach der Begegnung in Marians Boutique, lädt sie ihn auf die Berlinale-Premiere ihres Films ein, der ein zentrales Thema des Romans behandelt: Mode. In Kubas Film reisen die beiden Anfang Dreißigjährigen Milan und Sam in einem Wohnmobil quer durch Europa und geben dabei das Bargelderbe von Milans verstorbenen Vater in diversen Outlet-Centern aus. Marian erlebt die Szenen des Anprobierens „real existierender Mode in real existierenden Outlet-Dörfern“ als solch realitätsnahes Moment, dass er sich phasenweise langeweilt. Im Frust und in der Euphorie des Shoppings stellt sich die Wirklichkeit für Marian so dar, wie sie ist, „nämlich ebenso brutal erschöpfend und sonderbar befriedigend wie andere Entscheidungsprozesse auch“.

Das erste Date verbringen Marian und Kuba bei Graupelschauer und Dosenbier bei einem Fußballspiel zwischen Hertha BSC und dem 1. FC Kaiserslautern im Berliner Olympiastadion. Als nach dem Remis-Treffer in letzter Sekunde im Gästeblock teils aggressive Euphorie ausbricht, fragt sich Marian, „ob er erwachsene Menschen, die nicht auf Ecstasy waren, jemals so losgelöst erlebt hatte wie Kuba und die andern Lauternfans in diesem Moment. Es war ein Fest. Das Spiel endete mit eins zu eins.“

Die Liebesgeschichte führt beide über das Goethe-Institut in Neu-Delhi bis in die Parkanlage „Gärten der Welt“ im Ostberliner Stadtteil Marzahn, wo das Buch ein genuin orgiastisches Ende nimmt, das einmal mehr ganz ohne Ekstase auskommt.

Im Kreuzfeuer des Apolitischen

Randt hat in Let’s talk about feelings seinen durchdringend-klaren Erzählstil so weit verfeinert, dass sein neuestes Werk erstmalig ein gespaltenes Echo erfahren hat. Neben verlässlicher Begeisterung werden auch erste Ermüdungserscheinungen geäußert ob der vordergründig durchästhetisierten Welt und sterilen Emotionsberechnung. Auch das Apolitische wird seinem Roman nun zum Vorwurf gemacht. Umso bemerkenswerter, dass Randt diese Diskussion im Buch vorausgreift und Marian ein vergleichsweise flammendes Plädoyer für das Apolitische halten lässt. Die Irritation ist vollkommen, und es bleibt wie immer bei Randt: flunkernder Ernst.

Ob der flunkernde Ernst in krisengeschüttelten Zeiten sein vormals eskapistisches Potenzial verloren hat oder sein Irritationsmoment dadurch umso größer geworden ist, lässt sich nicht abschließend beantworten. Eine Sache ist indes sicher: Let‘s talk about feelings ist, wie Leif Randt im Interview mit dem Saarländischen Rundfunk sagt, definitiv sein „bestgelauntestes und weltumarmendstes Buch“
Leif Randt: Let’s Talk About Feelings. Roman
Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2025. 320 S.
ISBN: 978-3-462-00796-1

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