Rosinenpicker
Katergeilheit in den USA

In ihrem neuen Buch berichtet Stefanie Sargnagel von einem Aufenthalt in den USA, mit im Gepäck hatte sie die Sängerin Christiane Rösinger.

Von Holger Moos

Die Wiener Schriftstellerin und Cartoonistin Stefanie Sargnagel zelebriert ihr Außenseitertum. In den späten 2000er-Jahren wurde sie mit Facebook-Statusmeldungen bekannt, die sie 2017 in Buchform herausbrachte. 2020 folgte mit Dicht ihr erster, autofiktionaler Roman, diese „Aufzeichnungen einer Tagediebin“ nannte Jens Uthoff von der taz „eine Ode an Outsider …, eine Hommage an die Unerschrockenheit der Jugend“.

In Statusmeldungen schrieb Sargnagel: „Manchmal hab ich Albträume, dass ich eine Kunstfigur bin, die unter den Augen hunderter Fremder ihr Leben dokumentiert.“ Mit ihrem neuen Buch Iowa macht Sargnagel weiter mit der literarischen Verarbeitung ihres Lebens. Diesmal erzählt sie von einem „Ausflug nach Amerika“. Ein College lud sie in die amerikanische Provinz ein, nach Grinnell, Iowa. Dort soll sie Kurse über Creative Writing halten. Begleitet wird Sargnagel von der Berliner Sängerin Christiane Rösinger. Die gibt auf einem Konzert, unter anderem ihr Lied Liebe wird oft überbewertet zum Besten, ein humorvolles Plädoyer für das Alleinleben.

Bedeutungsvolle Zukunftslosigkeit

Gleich nach der Ankunft, während der Autofahrt von Des Moines nach Grinnell, betritt Sargnagel – neugierig auf diese für sie neue Welt – eine Tankstelle. Es öffnet sich das Amerika, von dem sie immer träumte, eine „psychedelische grelle Farblandschaft, alle Simpsons-Folgen auf einmal“. Eine riesige Getränkeauswahl, abfüllbar in riesige Gefäße, die Hotdogs scheinen sich seit Jahren im Eigenfett zu wälzen und dadurch einen „Panzer der Vergeblichkeit“ aufzubauen. Die junge Kassiererin trägt ein Metal-T-Shirt und strahlt „bedeutungsvolle Zukunftslosigkeit“ aus.

In Grinnell angekommen, beziehen die beiden ein sehr großes Haus direkt am Collegegelände und suchen in dem 10.000-Seelen-Städtchen nach Abenteuern oder zumindest verwertbaren Erlebnissen. Sie beginnen mit dem Besuch einer Filiale von Walmart, des weltweit größten Einzelhandelskonzern, auf dessen Parkplätzen man sogar legal übernachten darf. Mehr Einkaufen ist dann nicht, im Zentrum schließen die meisten Geschäfte um sechs, die Schaufenster sind ohnehin halb leer. Da sind die beiden schnell wieder daheim, wo es sich Sargnagel im Onesie gerne vor der Glotze gemütlich macht.

Die Schönheit von Absturzkneipen

Schließlich finden sie aber doch eine Spelunke namens „Rabitt’s Tavern“, die aussieht wie „eine Filmkulisse eines bedeutend trostlosen Filmes“. Am Eingang prangt ein Schild: „NO GUNS ALLOWED“. Drinnen sitzen ein paar abgerissene Männer, einer heißt sogar Homer, das gefällt dem Simpsons-Fan Sargnagel natürlich, hinter der Theke bedient eine niedergedrückte Mittvierzigerin mit traurigen Augen. Sargnagel liebt die „Schönheit von Absturzkneipen… Je undurchsichtiger die Scheiben, desto begehrlicher wird mein Blick“. Durch die Underdogs in dieser Kneipe lernen Sargnagel und Rösinger schließlich auch Trailerparks kennen.

Im akademischen Umfeld bewundert Sargnagel, wie lässig und unaffektiert Amerikaner*innen sind, unter den Professor*innen „herrscht nicht der typisch bürgerliche Beflissenheitswettbewerb, wie man ihn aus dem deutschen akademischen Milieu kennt, man will eine gute Zeit haben und sich nicht gegenseitig beeindrucken“.

Amerika ist für Sargnagel aber nicht nur eine Bühne der Welt-, sondern auch der Selbstbetrachtung. Immer wieder befasst sie sich mit ihren Unzulänglichkeiten, seien diese körperlicher oder sozialer Natur. Secondhandläden sind für sie, die Kleidergröße 44 hat, „ein weiterer Ort der Demütigung“. Sie bekennt sich zu ihrer „voluminösen Schamhaarpracht“ und ausgiebigem Onanieren nach durchzechten Nächten, „Katergeilheit“ eben.

Tindern im Braunbärgehege

Nicht zuletzt ist Iowa auch ein Freundschaftsbuch, noch dazu über eine Freundschaft zweier Frauen aus unterschiedlichen Generationen, Boomer versus Millenial: „Christiane ist 62, auch wenn sie darauf besteht, dass sie wie 54 aussieht.² Ich bin 37, fühle mich wie 16, trotzdem habe ich nur in Ausnahmefällen das Gefühl, ich hätte es mit jemand Älterem zu tun.“ Rösinger kommt in Form von „korrigierenden Fußnoten“ ebenfalls zu Wort, wie bei diesem Zitat, in dessen Fußnote die Sängerin klarstellt: „Hier ging mit der Autorin wohl die Fantasie und das verinnerlichte ageistische Denken durch. Denn es ist im Alter von 62 Jahren überhaupt kein Gewinn, »für jünger« gehalten zu werden.“

Mit der Liebe gehen beide unterschiedlich um. Während Sargnagel tindert, um die Männerwelt der amerikanischen Provinz ein bisschen kennenzulernen und festzustellen, dass der von ihr präferierte Typ Richtung „Braunbärgehege im Zoo“ geht, hat Rösinger kein Interesse, sie findet, „das letzte bisschen Sexualität, das kann man auch selber machen“.

Iowa bestätigt Sargnagels großes Talent für Sprachwitz und ihre Beobachtungsgabe. Klug, ironisch, kritisch, aber keinesfalls herablassend schaut Sargnagel auf die USA, auf sich selbst, im Grund auf alles, was sie in ihren Blick nimmt.
Stefanie Sargnagel: Iowa. Ein Ausflug nach Amerika
Hamburg: Rowohlt, 2023. 304 S.
ISBN: 978-3-498-00340-1

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