Rosinenpicker
Wilder Kafka-Mix

In einer spektakulär gestalteten Graphic Novel verarbeitet der kroatische Künstler Danijel Žeželj gleich mehrere Texte Franz Kafkas.

Von Holger Moos

Gleich zu Beginn des Kafka-Jahres 2024 – Franz Kafkas Todestag jährt sich am 3. Juni zum 100. Mal – ist im avant-verlag die Graphic Novel Wie ein Hund des in Zagreb und New York lebenden Illustratoren und Comickünstlers Danijel Žeželj erschienen –eine weitere von inzwischen ziemlich vielen Comic-Adaptionen zu Kafkas Leben und Werken. Ulrich Fügener stellt in seinem Beitrag Kafka im Reich der Comics, veröffentlich in der Ausgabe Being Kafka unseres Online-Magazins Zeitgeister, eine Auswahl vor. Aber schon das Cover von Žeželjs Werk, auf dem der Schriftsteller ganz klassisch mit Hemd, Krawatte, Mantel und Melone, aber mit Samurai-Schwert in den Händen prangt, lässt ahnen, dass es sich um eine ungewöhnliche Kafka-Adaption handelt.

Der Titel von Žeželjs Graphic Novel entstammt dem letzten Satz des Romans Der Prozess, in dem zwei Herren die Hauptfigur K. in seiner Wohnung hinrichten: „»Wie ein Hund!« sagte er, es war, als sollte die Scham ihn überleben.“

Die Handlung orientiert sich allerdings weniger an Kafkas Roman, sondern an dessen Kurzgeschichte Ein Hungerkünstler, doch Žeželj hat auch Elemente aus weiteren Kafka-Texten aufgegriffen, etwa aus den Prosaminiaturen Eine kaiserliche Botschaft, Die Wahrheit über Sancho Pansa, Der Geier sowie Wunsch, Indianer zu werden und den Notizbüchern Die Acht Oktavhefte.

Gier nach Sensationen

In Wie ein Hund geht ein Hungerkünstler unter reger Anteilnahme der Öffentlichkeit seiner Mission nach. 40 Tage ohne Essen sind vorgesehen, denn länger könne man das Interesse des Publikums nicht wachhalten, so der Impresario. Als die 40 Tage erreicht sind, will der Hungerkünstler mit seiner Kunst eigentlich nicht aufhören, doch wie K. von den beiden Herren wird der Hungerkünstler von zwei jungen Damen zum Essen abgeführt.

Danach lebt der Hungerkünstler traurig und unverstanden weiter, das Interesse an seiner Kunst verblasst jedoch. Das Publikum giert nach neuen Sensationen. So schließt er sich einem Zirkus an, wo er in einem Käfigwagen nur noch eine Randnotiz des Zirkusbetriebs ist, gleichwohl zwanghaft an seiner Kunst festhält und an ihr zugrunde geht.

Visuell überwältigend

Wie Halluzinationen sind ganz unvermittelt Parallelgeschichten eingewoben, so etwa die Türhüter-Parabel aus Der Prozess, in der ein Mann vor einem riesigen Tor vergeblich auf Einlass zum Gesetz wartet, oder die Einnahme einer Stadt durch archaische Kriegerhorden (aus dem zweiten Oktavheft).

Diese wilde Textmischung wird von Žeželj visuell überwältigend gestaltet. Schroff, morbide, düster, unheimlich, das sind Adjektive, die einem beim Betrachten der Schwarz-Weiß-Bilder einfallen. Von ferne erinnert diese retrofuturistische Graphic Novel an expressionistische Stummfilme, den Science-Fiction-Klassiker Blade Runner oder auch an Batmans Gotham City. Das Seitenlayout ist sehr abwechslungsreich, manche Panels sind seitenfüllend, dann wieder stehen auf einer Seite mehrere Panels horizontal oder vertikal neben- bzw. untereinander. Es gibt Totalen, die Stadtlandschaften, eine an Maya-Tempel erinnernde Treppe hinauf zum Gesetzestor, Menschenmassen oder Zirkuslandschaften abbilden, aber es wird oft auch hineingezoomt, sodass ein Panel nur noch ein Gesicht oder die Augen zeigt.

In Žeželjs faszinierender Graphic Novel sind die herkömmlichen Gesetze der Logik aufgehoben, es gilt ein Zitat aus Kafkas drittem Oktavheft: „Was in der körperlichen Welt lächerlich ist, ist in der geistigen möglich“.  
Danijel Žeželj: Wie ein Hund
Berlin: avant-verlag, 2024. 104 S.
ISBN: 978-3-96445-119-4

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