Bestandserhaltung
Denkmalschutz für Bücher?

Bestandserhaltung
© Reinhard Feldmann

In Deutschland fehlt weitgehend das Bewusstsein für das Kulturgut Buch. So sieht es jedenfalls Reinhard Feldmann, der die Abteilung „Handschriften, Historische Bestände, Bestandserhaltung“ an der Universitäts- und Landesbibliothek Münster sowie das Projekt „Forum Bestandserhaltung“ leitet.

Herr Feldmann, wie groß ist der Anteil der Bücher in deutschen Bibliotheken, deren Bestand gefährdet ist?

Das kommt natürlich darauf an, was Sie unter „Gefährdung“ verstehen. Dabei muss man grundsätzlich zwei Perioden unterscheiden. Drucke, die von der Inkunabelzeit bis etwa zum Ende der deutschen Klassik, also etwa 1830 gedruckt wurden, sind in der Regel auf gutem Papier entstanden. Sie weisen vor allem Gebrauchsschäden am Buchblock und Einband auf. Hier ist der Anteil der gefährdeten Bücher zwar gering, aber durchaus besorgniserregend, falls wir nicht handeln.

Hingegen weisen 30 Prozent der Bücher, die nach 1830 und somit auf säurehaltigem, manchmal darüber hinaus auf holzschliffhaltigem Papier gedruckt wurden, starke endogene Zerfallserscheinungen auf.

Wie stehen die Chancen, dass die Bestandserhaltung auf Dauer erfolgreich sein wird?

Wir können auf Dauer erfolgreich sein, weil wir in den letzten Jahren einiges verbessert haben. Es sind sehr viele innovative Restaurierungs- und Konservierungsmethoden entwickelt worden, die rationell sind und mit denen man große Mengen von Büchern bearbeiten kann. Ich denke da vor allem an die Forschungen zum Tintenfraß und an Papierspalt- und Anfaserungsverfahren. Außerdem haben wir hochqualifizierte Restauratoren, was wir einer Akademisierung der Ausbildung und einer ständigen Fort- und Weiterbildung verdanken.

Aber – jetzt kommen die negativen Seiten: Es gibt noch keine nationale Bestandserhaltungskonzeption. Und es fehlt in Deutschland ein Bewusstsein für die Bedeutung dieses Teils unseres kulturellen Erbes.

Wie viel Prozent ihres Budgets geben die deutschen Bibliotheken für den Erhalt ihres Bestands aus?

Das ist sehr unterschiedlich. Bibliotheken mit sehr wertvollen und umfangreichen Beständen an älterer, wertvoller und schützenswerter Literatur investieren oftmals drei bis vier Prozent ihres Sachetats, eine durchschnittliche Universitäts- oder Landesbibliothek etwa ein halbes oder ein Prozent.

Es ist eine alte Empfehlung der Kultusministerkonferenz, zusätzlich ein Prozent des Gesamtetats aller wissenschaftlichen Bibliotheken für die Bestandserhaltung aufzuwenden. Das wären dann für ganz Deutschland zusätzlich etwa fünf Millionen Euro, die gezielt für Bibliotheken mit besonderen Beständen bereitgestellt werden könnten. Verglichen mit dem Engagement der Niederlande, die in diesen Bereich pro Jahr in der letzten Dekade allein acht Millionen Euro investiert haben, würden wir also selbst mit diesen Zusatzmillionen noch deutlich hinterherhinken.

Welche Rolle spielen Sponsoren in diesem Bereich?

Grundsätzlich ist es eine staatliche Aufgabe, für den Erhalt des kulturellen Erbes zu sorgen. Sponsorengelder und Gelder von Stiftungen werden natürlich dankbar entgegengenommen, können aber immer nur zusätzliche Mittel oder Anreize sein.

Gibt es Empfehlungen zu den optimalen Lagerbedingungen für langfristig aufzubewahrendes Sammelgut?

Ja, das ist die internationale Norm DIN ISO 11799 zu Anforderungen an die Aufbewahrung von Archiv- und Bibliotheksgut. Dort wird von Werten um 18 Grad Celsius und etwa 50 Prozent relativer Luftfeuchtigkeit ausgegangen. Das ist allerdings ein Kompromiss, sodass wir in der Regel froh sind, wenn wir diesen Idealwerten nahekommen.

Welche Rolle spielt Bestandserhaltung in der bibliothekarischen Ausbildung?

Fast gar keine. Und das ist bedenklich. Wir haben im Moment zwei gegenläufige Trends: Die Ausbildung der Restauratoren ist sehr viel besser geworden. Sie kommen ursprünglich aus dem Handwerk, aus der Buchbindertradition. Vor 20 Jahren hat man in Köln den ersten Lehrstuhl für Restaurierung eingerichtet. Kurz darauf sind weitere Lehrstühle entstanden. Damit ist die Ausbildung der Restauratoren deutlich verbessert worden.

In der Ausbildung von Bibliothekaren werden die historischen Fächer und die Bestandserhaltung allerdings immer stärker zurückgefahren. Dabei waren sie ohnehin oftmals nur mit Lehraufträgen und nicht mit festen Lehrstühlen vertreten. Das bedeutet, dass uns in Zukunft in den Bibliotheken qualifiziertes Personal fehlen wird, welches die Kommunikation mit hochqualifizierten externen Dienstleistern führt und ja auch die Qualitätskontrolle durchführen muss. Da sehe ich eine echte Gefahr.

Die Expertengruppen „Handschriften und Alte Drucke“ sowie „Bestandserhaltung“, die es im Deutschen Bibliotheksverband gibt und denen ich angehöre, versuchen diesem Trend entgegenzusteuern. Ich hoffe, dass ich schon im nächsten Jahr Besseres berichten kann, denn es ist ein Masterstudiengang „Handschriften – Sondersammlungen – Bestandserhaltung“ in Planung.

Und was wünschen Sie sich sonst beim Thema Bestandshaltung für die Zukunft?

Wie viele Wünsche habe ich frei?

Sagen wir: drei.

Geld, Geld und Geld (lacht). Nein, das stimmt nicht. Wir brauchen zwar Geld, aber nur sehr gezielt und auch gar nicht so viel. Wir sollten erstens weitermachen auf dem Weg der Professionalisierung der Restauratoren und Konservatoren.

Wir sollten zweitens in unseren eigenen Einrichtungen – in den Bibliotheken und Archiven –, bei den Unterhaltsträgern und der allgemeinen Öffentlichkeit ein höheres Bewusstsein für die Belange des Kulturguts Buch schaffen.

Wir sollten drittens versuchen, einen literarischen Denkmalschutz zu etablieren – analog zum allgemeinen Denkmalschutz, der sehr erfolgreich ist. Und ich wünsche mir natürlich außerdem straffe administrative Strukturen und eine solide finanzielle Basisausstattung für diese Aufgaben.

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