Interview mit den Podcast-Hosts von Berliner Zimmer  „Uns haben einige aufs Glatteis geführt“

Auf dem Bild ist mittig das Logo des Podcasts "Berliner Zimmer", Der Hintergrund des Bildes ist mit dunkelblauen Pinselstrichen auf sandfarbenen Untergrund gestaltet. © Berliner Zimmer Podcast

Im Podcast „Berliner Zimmer“ laden Judith Gridl und Klaus Rathje Autor*innen zu Gesprächen über Literatur ein – und zum Lügenspiel. Im Interview erzählen sie von ungewöhnlichen Geschichten, langen Nachgesprächen und davon, wen sie gerne einmal einladen würden.

Wie arbeiten Schriftsteller*innen? Wie entstehen ihre Geschichten? Und was passiert, wenn man sie zum Lügen auffordert? Diese Fragen gehen Klaus Rathje und Judith Gridl in ihrem Podcast „Berliner Zimmer“ nach. Hier empfangen sie Schriftsteller*innen mit Berlin-Bezug zum persönlichen Gespräch – und sorgen mit ihrem Lügenspiel für jede Menge Überraschungen und amüsante Anekdoten.

Wenn euer Podcast Berliner Zimmer tatsächlich ein Zimmer wäre: Was würde man darin auf jeden Fall finden?

Klaus Rathje: Definitiv ein bequemes Sofa. Ein Berliner Zimmer verbindet immer das Vorderhaus mit dem Seitenflügel, darin stand früher oft die Bibliothek. Also Bücher und ein Sofa. Uns ist eine gemütliche Atmosphäre wichtig.

Seit 2021 gibt es euren Literaturpodcast Berliner Zimmer. Wie seid ihr auf die Idee gekommen?

Judith Gridl: Der Podcast ist in der Corona-Zeit entstanden. Wir beide finden es toll, Schriftsteller zu interviewen, ihnen über die Schulter zu schauen – auch weil wir selbst schreiben und uns etwas abschauen können.

Ist es das, was euren Podcast ausmacht: das Gespräch mit den Autor*innen?

Klaus Rathje: Ja, das unterscheidet uns von den meisten unabhängigen Literaturpodcasts. Wir haben jedes Mal einen Gast, den wir etwa eine Stunde interviewen. Es geht um Begegnungen mit spannenden Menschen und darum, mehr von ihnen und ihrem Schaffen zu erfahren. Wir wollen einfach ein unterhaltsames Gespräch und eine gute Atmosphäre.

Judith Gridl: Daher beginnen wir den Podcast immer mit kleinen Geschenken an unseren Gast. Das schafft immer eine gute Stimmung und liefert guten Gesprächsstoff.
Manche Gäste sind nach der Aufnahme noch vier oder acht Stunden geblieben, bei der ein oder anderen Flasche Wein.
Und es ist auch immer ein persönliches Treffen vor Ort. Ladet ihr also nur Berliner Autor*innen ein?

Klaus Rathje: Die Gäste müssen in Berlin leben oder einen Berlin-Bezug haben. Wir wollen mit den Autorinnen und Autoren schließlich im besagten Berliner Zimmer zusammensitzen. Das macht das Gespräch auch aus. Außerdem sind die Vor- und Nachgespräche für uns wichtig. Und oft sehr lustig. Volker Kutscher zum Beispiel haben wir morgens getroffen und mit ihm nach der Aufnahme noch anderthalb Stunden gefrühstückt. Andere Gäste sind nach der Aufnahme noch vier oder sogar acht Stunden geblieben, bei der ein oder anderen Flasche Wein.

Judith Gridl: Es gab Gäste, die haben uns richtig untern Tisch getrunken.

Julia Franck, Felicitas Hoppe, Volker Kutscher – in eurem Podcast sind sehr renommierte Schriftsteller*innen zu Gast. Wie entscheidet ihr, wen ihr einladet?

Judith Gridl: Entscheidend ist, wen wir persönlich interessant oder auch außergewöhnlich finden. Ausgangspunkt ist oft die eigene Lektüre, manchmal auch Verlagsvorschauen und Lesungen.

Klaus Rathje: Wir hören natürlich den blauschwarzberlin-Podcast. Dort gibt es oft gute Anregung.
Die beiden Podcasthosts: Links im Bild Judith Gridl im grünen, weiß-gepunkteten Kleid. Rechts neben ihr Klaus Rathje mit schwarzen Sakko, grauen Bart und grauen Haaren.

Die Podcast-Hosts Judith Gridl und Klaus Rathje | © Berliner Zimmer Podcast

Besonders an eurem Podcast ist das Lügenspiel. Eure Gäst*innen erzählen jeweils drei Anekdoten aus ihrem Leben. Zwei davon sind wahr, eine erfunden: Gebt ihr ihnen diese Aufgabe mit oder erzählen sie die Geschichten spontan?

Klaus Rathje: Der Großteil der Gäste bereitet das vor, und viele hängen sich da richtig rein! Wladimir Kaminer hatte während des Spiels leuchtende Kinderaugen und hätte den ganzen Tag nichts anderes machen können. Es werden besondere Geschichten erzählt, weil das meist Anekdoten sind, nach denen man gar nicht fragen könnte, weil sie so persönlich sind.

Welche Anekdote einer eurer Gäst*innen hat euch besonders überrascht?

Judith Gridl: Die von Wladimir Kaminer, weil sie auf einmal so krass ernst wurde. Da ging es um seinen Großvater in der Nazizeit, damit habe ich nicht gerechnet. Nachhaltig in Erinnerung geblieben, ist mir auch die Geschichte von John von Düffel.

Klaus Rathje: Gleich in der ersten Folge hat von Düffel erzählt, wie er als Teenager mit dem Fahrrad nach London gefahren ist, um ein Manuskript bei einem Londoner Verlag vorzustellen. Da merkt man direkt, was für ein Typ er ist!

Und was war die beste Lügengeschichte – oder wer war der beste Lügner?

Klaus Rathje: Uns haben einige aufs Glatteis geführt. Ganz vorne dabei ist John von Düffel. Eine gute Performance hat auch Christian Dittloff hingelegt. Wir haben ihn bei ihm zu Hause besucht und saßen in seiner Küche. Dort hat er uns erzählt, wie er als Kind mit seinem Vater zu St. Pauli-Spielen gegangen ist und nach dessen Tod die Tradition fortgesetzt hat. Um das zu untermauern, hatte er auf seinem Tisch eine St. Pauli-Kaffeetasse stehen. Die schob er dann wie zum Beweis ein bisschen nach vorn. Das war zwar gut geplotet, aber doch etwas auffällig. So haben wir es als Lügengeschichte entlarvt.

Gab es ein Gespräch, das eure Sicht auf ein Werk oder eine Person völlig verändert hat?

Judith Gridl: Mir ging es mit Wladimir Kaminer so. Ihn hab ich – blöd gesagt – unterschätzt. Seine Geschichten wirken beim ersten Lesen harmlos, aber dann habe ich gemerkt, was die für eine Tiefe haben. Er kennt sich außerdem sehr gut aus mit Dramaturgie und Literatur, vor allem mit russischer Literatur.

Klaus Rathje: Bei mir war es Shelly Kupferberg, nicht sie als Person, sondern ihr Buch Isidor, in dem sie über ihren Urgroßonkel geschrieben hat – eine Holocaust-Geschichte. Eigentlich wollte sie ein Sachbuch schreiben, aber während der Arbeit hat sie gemerkt, dass es ein Romanstoff ist. Wie sie das erzählt hat, fand ich sehr erhellend und berührend.

Wen würdet ihr gerne unbedingt mal einladen?

Klaus Rathje: Kehlmann! Ich würde ihn nicht als meinen Lieblingsautor bezeichnen, aber ich habe alle seine Bücher gelesen und finde seine Karriere als Schriftsteller sehr spannend.

Judith Gridl: Lutz Seiler, seine Bücher mag ich unglaublich gern. Kruso und Stern 111 sind großartig geschrieben.
 

Der Podcast im Kurzporträt:

Podcastname: Berliner Zimmer
Hosts: Judith Gridl und Klaus Rathje
Thema: Gespräche mit Autor*innen über Literatur, das Schreiben und ihr Werk
Erscheint: ca. 1 Monat
Folgenlänge: 1 Stunde

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