„The Wolf of Wall Street”, „White Lotus”, „Parasite” – es herrscht gerade kein Mangel an Filmen und Serien mit kritischem Blick auf übermäßigen Reichtum. Daniel Stähr schaut genauer hin – und vermisst dort Anleitungen zum Widerstand.
Kapitalismuskritik im Film scheint ein gutes Geschäft zu sein – schließlich ist Hollywood seit Jahren ganz versessen auf dieses Thema. Da wäre Martin Scorseses Hedonismus-Fest The Wolf of Wall Street (2013), in dem Leonardo DiCaprio den Finanzbetrüger Jordan Belfort verkörpert, oder so erfolgreiche Serien wie White Lotus (seit 2021) und Succession (2018-2023). Ob als bissige Satire oder als Familiendrama erzählt, halten sie uns vor Augen, dass auch Unmengen an Geld nicht glücklich oder sympathisch machen.Die Liste der erfolgreichen kapitalismuskritischen Filme und Serien ließe sich beliebig verlängern und ist keineswegs auf Hollywood begrenzt: Der südkoreanische Film Parasite von Bong Joon-ho gewann 2020 den Oscar als bester Film. Triangle of Sadness des schwedischen Regisseurs Ruben Östlund wurde 2022 mit der Goldenen Palme in Cannes prämiert. Auch diese Filme machen sich über extremen Reichtum lustig – was einer Kritik an kapitalistischen Strukturen gleichkommt. Ist es also ein gutes Zeichen, dass die Multimilliarden-Dollar-Filmindustrie die Kapitalismuskritik für sich entdeckt hat?
Ersatzhandlung zur Sicherung des Status quo
Wahrscheinlich eher nicht. Denn all diese Filme und Serien eint, dass sie es bei einer Kritik des Status quo belassen. Sie hat zur Folge, dass das Publikum in seiner kapitalismusskeptischen Haltung bestätigt wird. Die Familie in Succession ist schrecklich, die Reichen in White Lotus sind erbärmlich, und wir können uns selbst auf die Schultern klopfen, dass wir nicht so sind wie sie. Aber am Ende bleibt es bei dieser eher vordergründigen Kritik. Positive Visionen, wie eine bessere und gerechtere Welt aussehen könnte? Fehlanzeige.Was also folgt aus dem Konsum dieser Filme und Serien, außer dass unser eigenes Weltbild bestätigt wird? Der britische Kulturwissenschaftler Mark Fisher hat diese Form der Unterhaltung als „kapitalismuskritische Ersatzhandlung“ beschrieben: Die von uns konsumierten Medien performen die Kapitalismuskritik für uns.
Man kann das mit Kochsendungen vergleichen. Denken Sie an Menschen, die sich gerne ein aufwändiges Essen zubereiten würden. Nach einem langen Arbeitstag haben sie aber keine Muße, sich noch stundenlang in die Küche zu stellen, stattdessen gucken sie lieber solche Shows. Wie dort spektakuläre Gerichte zubereitet werden, wird zum Ersatz für das eigene Kochen. Die gleiche Funktion hat auch das Schauen der oben genannten Filme und Serien. Weil uns nach stundenlanger Lohnarbeit die Energie für Protest fehlt, gucken wir uns lieber an, wie Hollywood die Kapitalismuskritik für uns performt.
Es geht auch anders
Das bedeutet natürlich nicht, dass diese Filme und Serien nicht gelungen sind – ganz im Gegenteil! Ich habe sie alle sehr gerne gesehen. Wir dürfen uns nur nicht einreden, dass der Konsum dieser Medien etwas Veränderndes bewirkt. Dabei gibt es Beispiele, wie Systemkritik effizienter verpackt werden kann. Andor, ein Star Wars-Prequel von Disney, zeigt auf beeindruckende Weise, welche verschiedenen Formen Rebellionen gegen ein faschistisches System annehmen kann. Die Serie bleibt nicht bei der einfachen Erkenntnis „Autoritarismus ist schlecht“ stehen, sondern verdeutlicht die Möglichkeiten (und persönlichen Kosten) des Widerstands. In Donald Trumps USA bekommt diese Botschaft eine ganz neue Dringlichkeit.Der Roman Das Ministerium für die Zukunft (2021) von Kim Stanley Robinson erzählt, wie die Menschheit die Klimakatastrophe bekämpft. Das Buch ist keine Utopie, in der das kapitalistische System von heute auf morgen ersetzt wird, und dann ist plötzlich alles gut. Vielmehr beschreibt Robinson, wie die Menschheit ihren Planeten mithilfe gradueller Veränderungen doch noch retten kann. Das ist inspirierend und stiftet Hoffnung, ohne dass der Autor die Drastik der Situation herunterspielt.
Und dann ist da noch die Science-Fiction-Ikone Ursula K. Le Guin. Sie hat mit Büchern wie Die linke Hand der Dunkelheit (1969, dt. 1974 zunächst unter dem Titel Winterplanet) oder Freie Geister (1974, dt. 1976) schon vor über 50 Jahren gezeigt hat, wie Kapitalismus und Patriachat unsere Leben verschlechtern und was wir als Menschheit gewinnen könnten, ließen wir diese Systeme hinter uns.
Kunst kann eine Inspiration für eine gerechtere Welt sein. Dafür muss sie aber über eine platte Kritik am Status quo hinausgehen und uns zeigen, wofür es sich zu kämpfen lohnt.
Sprechstunde – die Sprachkolumne
In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.
August 2025