Unsere neue Kolumnistin Berit Glanz ist sehr fasziniert von der Sprache der Internetkultur. Gerade amüsiert sie sich darüber, dass sich nun auch Eltern im Netz tummeln – um dort den Slang ihrer Kinder liebevoll zu parodieren.
Seit ungefähr einem Jahr taucht in meinem Feed immer wieder eine neue Spielart des Internethumors auf: Videoclips, in denen Eltern den Sprachgebrauch ihrer Kinder imitieren und sie damit auf liebevolle Weise in Verlegenheit bringen. Ein Vater in Australien bestellt zum Beispiel im Drive-in und baut souverän den gesamten Jugendslang seiner Töchter ein, während diese sich auf der Rückbank vor Scham zusammenkrümmten. Eine Mutter in Deutschland wiederum reagierte auf jede Beschwerde ihres Teenagers ausschließlich mit dem bei Jugendlichen populären Begriff „Skibidi“ – bis beide lachen mussten.Dass Jugendsprache als Abgrenzung von der Elterngeneration dient, ist alles andere als neu. Wahrscheinlich erinnert sich jeder von uns an Momente, in denen wir uns entweder über das Unverständnis der Eltern amüsierten oder uns dafür schämten. Und jedes Jahr wieder verbreiten sich Videos der Tagesschau-Sprecherin Susanne Daubner in den deutschsprachigen Timelines, wenn sie die Vorschläge zum „Jugendwort des Jahres“ vorliest. Es ist auf erfreuliche Weise komisch, der seriösen Nachrichtensprecherin beim Verlesen von Slangbegriffen zuzusehen, und die Freude daran scheint generationenübergreifend zu sein.
Die Eltern immer dabei
Mit neuem Slang grenzt sich jede Jugendgeneration aufs Neue von den Älteren ab. Doch die Generation Alpha, ein Sammelbegriff für Jugendliche ab etwa Jahrgang 2010, wird dabei von ihren Eltern in den sozialen Medien begleitet. Was besonders spannend ist: Keine Jugendsprache zuvor wurde so stark von der Internetkultur geprägt wie die aktuelle – mit ihrem ausgeprägten „Brainrot“-Vokabular, das sich auf Online-Gaming, absurden KI-Humor und eine endlose Flut an Kurzvideos bezieht.Ebenso bemerkenswert ist, dass sich die Reibungsmomente zwischen Jugendlichen und Eltern nun auch im Netz abspielen oder dort inszeniert werden. Eltern parodieren humorvoll die merkwürdigen Ausdrücke ihrer Kinder, Lehrer*innen erklären die neuesten Begriffe der vergangenen Schulwoche, und selbst Nicht-Eltern reagieren auf den Skibidi-Slang der Generation Alpha.
In einem besonders beliebten Video der US-amerikanischen Musikerin und Komikerin Elle Cordova inszeniert sie eine Lesung des „Poet Laureate“ des Jahres 2060 mit dem Titel Skibidi Days, Ohio Nights. Darin werden global verbreitete Jugendslang-Begriffe auf geniale Weise kombiniert, während das Publikum die Lyrik mit begeisterten Reaktionen feiert. Der Titel „Poet Laureate“ bezeichnet in mehreren englischsprachigen Ländern eine staatliche Auszeichnung für Dichterinnen und Dichter. Seine Bedeutung zeigt sich auch daran, dass diese Praxis etwa im Vereinigten Königreich seit Jahrhunderten existiert. Cordovas kurzes Video kommentiert so auf humorvolle Weise den Sprachwandel, der jede Generation aufs Neue trifft. Slang wird aufgenommen und wird Teil der etablierten, ja, auch der poetischen Sprache.
Mitmachen beim globalen Sprachspiel
Spannend ist dabei, dass sich diese Sprache einerseits immer stärker globalisiert – viele Teenager in unterschiedlichen Ländern verstehen sie reibungslos–, andererseits aber lokalisiert bleibt. Zahlreiche Begriffe der Internetkultur stammen aus dem Englischen oder sind Anglizismen, doch immer öfter fließen auch Wörter aus anderen Sprachfamilien in den Slang ein. Denn die Internetkultur der Gegenwart ist mehrsprachig, hochdynamisch und nicht selten auch problematisch. Vor allem aber ist sie aus ästhetischer Perspektive faszinierend: Es lohnt sich, die Sprache der Internetkultur genauer zu analysieren und am globalen kreativen Sprachspiel teilzuhaben.Sprechstunde – die Sprachkolumne
In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.
Oktober 2025