Das „Ake Dikhea?“ Festival in Berlin  Roma*-Filmschaffende auf dem Weg zur Dekolonisierung der Filmlandschaft

Das Filmfestival „Ake Dikhea?“ konnte in diesem Jahr mit über zwanzig Filmen von Roma*- und Nicht-Roma*Filmschaffenden aus ganz Europa aufwarten.
Das Filmfestival „Ake Dikhea?“ konnte in diesem Jahr mit über zwanzig Filmen von Roma*- und Nicht-Roma*Filmschaffenden aus ganz Europa aufwarten. Foto: © Stephanie Ballantine via Ake Dikhea?

Wie lassen sich stereotype Darstellungen von Roma* und Sinti* in Filmen umgehen und stattdessen diversere Perspektiven von Roma*-Kulturschaffenden umsetzen? Welche ethische Verantwortung haben Dokumentarfilme und deren Filmemacher*innen? Antworten auf diese und andere Fragen suchte das Internationale Roma*-Filmfestival Berlin „Ake Dikhea?“, dessen achter Jahrgang im Oktober 2024 stattfand.

Als kleines, aber einzigartiges Festival, das weltweit Seinesgleichen sucht, beschreibt der künstlerische Leiter Hamze Bytyçi das internationale Roma*-Filmfestival Ake Dikhea?. Wir haben uns im buntgeschmückten Festivalzentrum im Berliner Grünen Salon neben dem Kino Babylon getroffen. „Ich bin hier so eine Art Geburtshelfer“, sagt Bytyçi über sich selbst. „Ich freue mich, dass ich den Raum für das Entstehen neuer Kooperationen und Ideen bereiten kann.“ Das Festival bietet Filmschaffenden – Roma* und auch Nicht-Roma* – aus ganz Europa eine einzigartige Möglichkeit, sich miteinander zu vernetzen, sich gegenseitig zu unterstützen und Meinungen und Inspirationen auszutauschen.

Die angenehm unterstützende Atmosphäre war schon während der ersten Augenblicke des Festivals zu spüren. „Es ist die beste Networking-Möglichkeit, die ich jemals erlebt habe. Auf professioneller wie menschlicher Ebene“, erzählt mir Filmemacher und Drehbuchautor Robert Poupátko vom Roma*Fernsehsender Tuke.tv aus Brno. „Ich nehme von hier so viel schöpferische Energie mit nach Hause.“

Der bereits achte Jahrgang des Festivals hielt 2024 eine bunte Auswahl von mehr als zwanzig kurzen und abendfüllenden Filmen für die Zuschauer*innen bereit, inklusive einer starken thematischen LGBTQ+ Sparte. Die Roma*-Filmschaffenden stellten sich auf dem Festival vor allem mit einer ganzen Reihe an eindrucksvollen Kurzfilmen vor. So gelang es Regisseurs Alecio Araci in seinem auf Romani gedrehten Film Mami in nur sieben Minuten Spieldauer die Zuschauer*innen in seinen Bann zu ziehen. Im Film steht die Mami – eine charismatische neunzigjährige Romni – im Mittelpunkt, die ihrem Enkelsohn liebevoll versichert, dass es völlig in Ordnung ist, schwul zu sein.

Der Regisseur Sejad Ademaj verarbeitete in seinem Film Deutsche Sprache, schwere Sprache das Thema Rassismus mit besonderem Humor, witzigen Dialogen und originellen Verwirrungen. Der Leadsänger einer Neonazi-Band vergisst nach einem Autounfall seine deutsche Muttersprache und spricht plötzlich nur noch Arabisch. Deshalb nötigt er seinen syrischen Arzt, zufällig der fahrerflüchtige Unfallverursacher, ihm die neonazistischen Liedtexte wieder beizubringen.
„Wir bieten Raum für die Entstehung neuer künstlerischer Ideen“, sagt Festivaldirektor Hamze Bytyçi.

„Wir bieten Raum für die Entstehung neuer künstlerischer Ideen“, sagt Festivaldirektor Hamze Bytyçi. | Foto: © Johana Černochová


„Ademajs Film zeigt sehr gut, wie bittersüß es ist, in diesem Land aufzuwachsen und zu leben und trotzdem als fremd betrachtet zu werden“, berichtet mir Festivaldirektor Hamze Bytyçi bei unserem Gespräch von seinen Eindrücken. Auch seine Familie musste wegen ethnischer Unruhen Ende der Achtziger Jahre aus dem Kosovo nach Deutschland fliehen. Wie er selbst sagt, wurde er schon im Alter von acht Jahren zum Aktivisten, als er sich den deutschen Ämtern entgegenstellte, die ihn abschieben wollten.

„Jemanden im Film sehen, der genauso ist wie wir“

Stereotype und negative Darstellungen von Roma* und Sinti* sind schon immer Teil von Film- und Fernsehproduktionen gewesen und auch heute ist es kaum anders. „In Großbritannien gab es in den letzten Jahren mehrere Fernsehsendungen, die Roma* und Sinti* in einem ziemlich negativen Licht darstellten“, erzählt mir die junge Regisseurin Millie Cooper. „In meinen Arbeiten bemühe ich mich deshalb darum, dieses falsche Bild aufzulösen und uns in ganz normalen, alltäglichen Situationen darzustellen.“

Ihr Kurzfilm Ice Cream schaffte es innerhalb weniger Minuten das Festivalpublikum mitzureißen. Er erzählt die zauberhafte Geschichte einer kleinen Romni, die sich aus dem Haus schleicht und dem Geläute des Eiswagens folgt. „Ich wollte mit dem Film zeigen, wie wunderbar meine Kindheit war, und endlich diese fanatischen Vorurteile abschütten, denn meist sind die Leute überzeugt, dass Roma*-Kinder schmutzig und schlecht erzogen sind“, sagt Cooper und fügt hinzu: „Ich selbst arbeite heute mit Teenagern aus Roma*-Gemeinschaften und Gruppen von irischen umherwandernden Pavee und die sagen mir immer: ‚Im Fernsehen sehen wir nie jemanden, der so ist wie wir.‘ Ich möchte, dass diese Roma*-Kinder sich mit den Figuren in meinen Filmen identifizieren können und sich in ihnen wiederfinden.“
Jurymitglied Alica Sigmund Heráková vom Fernsehsender Tuke.tv und Štefan Balog vom Sender Romea während einer Podiumsdiskussion zu Roma*-Narrativen in den Visegrád-Staaten.

Jurymitglied Alica Sigmund Heráková vom Fernsehsender Tuke.tv und Štefan Balog vom Sender Romea während einer Podiumsdiskussion zu Roma*-Narrativen in den Visegrád-Staaten. | Foto: © Foto: Stephanie Ballantine via Ake Dikhea?

Widersprüchliche Gefühle

Die Art der Repräsentation von Roma* und Sinti* in Filmen war eines der Hauptthemen des Festivals und zahlreicher Diskussionen. Auch einige der Filme selbst, hauptsächlich Arbeiten von tschechischen und slowakischen Filmschaffenden, riefen Kontroversen und Kritik hervor. Es wurden Filme gezeigt, die viele der rassistischen Vorurteile nicht abschütteln konnten, sondern ganz im Gegenteil mit ihrer Machart diese noch verstärkten. Manche Roma*-Filmschaffende haben sogar einige dieser Filmvorführungen aus Protest verlassen.

Zu den kontrovers besprochenen Filmen gehörte auch der als Zeitraffer konzipierte Dokumentarfilm von Tomáš Vynikal Freunde im Ghetto (Kamarádi v ghettu), der in einem von sozialen Problemen geprägten Stadtviertel im tschechischen Přerov spielt. „Die Ethik der Darstellung ist im Dokumentarfilm enorm wichtig. In dem Moment, in dem man eine Kamera in der Hand hat, hat man auch die Verantwortung“, erklärt mir Alica Sigmund Heráková, Gründerin des Roma*-TV-Senders Tuke.tv und Mitglied der Festivaljury.

„Der Dokumentarfilm Freunde im Ghetto ist problematisch, weil die Protagonisten des Stadtteils nicht um ihre Zustimmung gebeten wurden. In Tschechien ist das eine bekannte Vorgehensweise, denn die tschechischen Dokumentarfilmer kommen oft ohne Vorkenntnisse in die Roma-Gemeinschaften. Die Roma öffnen sich ihnen, sprechen über ihre Lebenswege. Die Filmemacher gehen dann wieder weg, bauen weiter ihre Karrieren auf, während die Menschen in den Zwängen der Armut gefangenbleiben. Und obwohl diesem Thema eine gewisse Aufmerksamkeit gewidmet wird, beeinflusst das diese Gemeinschaften selten positiv“, erläutert Jurymitglied Heráková.

Die Filme sagen letztendlich mehr über die Filmemacher*innen selbst als über die Protagonist*innen aus. So fasste es schließlich auch Jurymitglied Kristóf Horváth während der Abschlussrede der Preisverleihung zusammen: „Wir haben hier Filme gesehen, die in uns widersprüchliche Gefühle hinterlassen haben. Wir haben vielleicht mit der Hauptfigur mitgefühlt, aber uns gleichzeitig mit dem Ansatz der jeweiligen Filmschaffenden schwergetan. In der Jury haben wir uns deshalb die Frage gestellt, was den Protagonisten die Teilnahme am Film gebracht hat, und auf welche Art und Weise die Filmschaffenden mit den Protagonisten zusammengearbeitet haben. Gab es ein wirkliches Verständnis und Interesse oder waren die Protagonisten für die Filmschaffenden nur Objekte für den Dreh?“
Die Filmschaffenden Alecio Araci, Lisa Smith und Robert Poupátko beim Networking während des Festivals.

Die Filmschaffenden Alecio Araci, Lisa Smith und Robert Poupátko beim Networking während des Festivals. | Foto: © Mariam Mekiwia via Ake Dikhea

Filmkunst als Spiegel der Gesellschaft

Es ging aber nicht nur um die Ethik der Darstellung in Dokumentarfilmen. Für Kontroversen während des Festivals sorgte auch der erste Teil der slowakischen Fernsehserie Iveta in der Regie von Jan Hřebejk nach einem Drehbuch von Petr Kolečko, Autor der populären tschechischen Serie Most!. Die recht komplexe und charismatische Hauptfigur des Films, die junge Romni Iveta, kommt aus dem Osten der Slowakei in die Hauptstadt Bratislava und lernt dort die Welt des Modelns kennen. Der Darstellerin Alžběta Ferencová zufolge stellt der Film an sich schon einen ziemlichen Wendepunkt dar, weil die slowakische Serie eine positive und weibliche Roma*-Figur in der Hauptrolle hat. Gleichzeit fußt der Humor der Serie jedoch auf Stereotypen und einige der Dialoge dieser ersten Episode waren für manche der Zuschauer*innen hart an der Grenze des Aushaltbaren.

„Ich denke, dass diese Serie hauptsächlich für weiße Zuschauer geschrieben wurde und nicht an ein Roma-Publikum gedacht worden ist“, meint Regisseur und Drehbuchautor Robert Poupátko, der die Vorführung von Iveta vorzeitig verlassen hat. „Das ist irgendwie so ein untrennbarer Teil vom Roma-Sein. Immer wieder wird es Filme geben, die in der Gemeinschaft entweder positiv oder negativ aufgenommen werden, oder über die man geteilter Meinung ist. Aber ich denke, dass wir als Roma-Filmschaffende unsere Stimme erheben, konstruktive Kritik anbringen und fachliche Debatten darüber anstoßen müssen, was nicht in Ordnung ist.“

Und gerade die Tatsache, dass das Festival Raum gibt auch für den Austausch kritischer Ansichten, wird von vielen Filmschaffenden geschätzt. Festivaldirektor Hamze Bytyçi bezeichnet deshalb das Festival als einen „Ort des Mutes“, an dem es möglich ist, widersprüchliche Gefühle zu reflektieren und darüber zu sprechen, wie die Filmbranche weiter dekolonisiert werden kann.

Den Organisator*innen des Festivals zufolge ist es ein gutes Zeichen, das mit jedem Jahr die Beteiligung von Roma*-Filmschaffenden zunimmt. Die Stimmen und Perspektiven von Roma*-Filmemacher*innen in diesen Debatten sind also Jahr für Jahr stärker. „Als Roma treffen wir ständig auf Ablehnung. Ich denke, dass der einzige Weg, dies zu ändern, darin liegt, Roma die Möglichkeit zu geben, unsere Geschichten zu erzählen“, so Regisseurin Milli Cooper über die Richtung, die eingeschlagen werden muss, um das Filmemachen nach und nach zu verändern.

Die korrekten Bezeichnungen für Angehörige der Bevölkerungsgruppe der Roma*

Einzahl männlich: Rom
Mehrzahl männlich: Roma
Einzahl weiblich: Romni
Mehrzahl weiblich: Romnja

Zur Vermeidung des generischen Maskulinums verwendet dieser Text die gendergerechte Abkürzung Roma* (und analog Sinti*), dies gilt – in Ermangelung eines entsprechenden Adjektivs im Deutschen – ebenso für Komposita.

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