In Tschechien ähnelt die Bewerbung um ein Residenzstipendium, um an einem belletristischen Text zu arbeiten, der Anmeldung zu einer Strafexpedition, findet Ondřej Hložek.
Ich würde gerne glauben, dass jene, die sich Kriterien, Zeiten und Aufenthaltsorte für die Schreibenden ausdenken, Erfahrung darin haben, wie sich die menschliche Seele an bestimmten Orten fühlt. Doch mein vorletztes Stipendium kann man fast schon bizarr nennen, da die Autoren nicht nur in aus- und inländische eingeteilt wurden, nein, man verbannte sie auch zu den unmöglichsten Jahreszeiten an noch unmöglichere Orte.Im Winter 2021 war ich die Zweitbesetzung im ersten Jahrgang des Residenzaufenthaltes in Horní Planá na Šumavě (Oberplan im Böhmerwald). Ich muss vorausschicken, dass es dort wunderschön war. Der Termin jedoch war der letztmögliche der Saison und das Dorf war bis auf den Pfarrer und den Gastwirt ganz verlassen. Ich wohnte mit meiner deutschen Kollegin Slata in einem Doppel-Appartement, gleich hinter der Friedhofsmauer, nur einen Katzensprung von der Trauerhalle und einem Wildgehege entfernt. Meine Kollegin und ich verstanden uns gut, und wir tauschten uns auch über die Schwierigkeiten der Literaturförderung in unseren Ländern aus. Überraschenderweise stellte sich dabei heraus, dass mein Stipendium nur halb so hoch dotiert war wie ihres, zudem wurden mir keine Verpflegungskosten erstattet.
Wie bereits erwähnt, war ich eine Art Pionier; das bezog sich auf verschiedenste Angelegenheiten, die ich zum Teil mit dem Adalbert-Stifter-Verein klären konnte, der dann anstelle des Tschechischen Literaturzentrums, meinem eigentlichen Gastgeber, für einen zumindest annähernd gerechten finanziellen Ausgleich sorgte. Das geschah jedoch erst, als meine deutsche Kollegin und ich einen Monat nach dem Aufenthalt zu einer Lesung nach České Budějovice (Budweis) reisten, um damit die literarisch-schöpferische Residenz abzuschließen. Als ich erfuhr, dass ich für ein paar hundert Kronen, die nicht mal die Reisekosten deckten, vom Norden der Republik anreisen sollte (um genau zu sein, 17 Zugstunden für circa 850 Kilometer), während die deutsche Kollegin dieselbe Summe, allerdings in Euro, zusätzlich als Honorar erhielt, wurde ich berechtigterweise doch ziemlich ungehalten. Lange habe ich dann E-Mails geschrieben und schließlich erreicht, dass sich die Bedingungen für diese Residenz ändern. Sodass tschechische Autoren seitdem voller Entzücken die Moldau betrachten können, die an Orten wie diesem so schön ins Graublau schwindet…
„... sonst steht wieder nichts in deiner Vita!“
- Vorwort | Gefangen im Elfenbeinturm
- #1 Ondřej Hložek | Dort, wo der Fluss ins Graublau schwindet…
- #2 Cécil Joyce Röski | enfant terrible
- #3 Katharina Bendixen | Kein Tisch für sich allein
- #4 David Blum | Hofnarr in Residence
- #5 Slata Roschal | Sie waren wieder da
- #6 Selim Özdoğan | Sie denken, dazu kann man nicht nein sagen
- Nachwort | Dann bewerbt euch doch nicht! – Und was, wenn doch?
Die Veröffentlichung dieses Artikels ist Teil von PERSPECTIVES – dem neuen Label für unabhängigen, konstruktiven, multiperspektivischen Journalismus. JÁDU setzt dieses von der EU co-finanzierte Projekt mit sechs weiteren Redaktionen aus Mittelosteuropa unter Federführung des Goethe-Instituts um.
Januar 2025