Ein Jurymitglied verurteilt Cécil während eines Stipendiums dafür, keine Kinder gebären zu wollen. Das zeigt, in welch ungleichem Machtverhältnis (vor allem junge) Autor*innen zur Jury und den Stipendiengeber*innen stehen.
„Ohne Kinder entwickelst du dich nicht weiter“, sagte das Jurymitglied eines Aufenthaltsstipendiums zu mir, über das ich mich sehr freute. Wir saßen in seinem Garten und zerkauten Kuchen, den die Mutter seiner Kinder gebacken hatte. Um zu smalltalken, hatte ich einige Minuten zuvor gewitzelt, dass ich keine Kinder bekommen, sondern lieber Hunde gebären wollte. Auf der Stirn des Jurymitglieds bildeten sich augenblicklich Zornesfalten. Aus seiner Kehle rollte ein Impulsvortrag über die eigene Fortpflanzung. Später würde er über seinen Sohn lästern, der keine Bücher las, sondern lieber im dunklen Keller zockte. Ich sah die Mutter seiner Kinder kraftlos an, die uns Milch für den Kaffee auf den Tisch stellte, und hatte – dazu wurde ich provoziert, dafür konnte ich nichts – den Gv bildlich vor Augen. Das Jurymitglied unterbrach sich selbst, um der Mutter seiner Kinder mit einem auf i endenden Kosenamen zu danken. Ich fragte die Krone der menschlichen Entwicklung nicht, wie viele Leute denn schon das Stipendium mit Kindern angetreten hätten. Ich wagte auch nicht zu fragen, ob er Lack gesoffen habe, denn er hatte Tage zuvor versprochen, mein Manuskript seinem Verlag zu empfehlen, und ich freute mich doch so sehr über die Möglichkeit der Ruhe und war wirklich kein undankbares Stück. So trank ich brav meinen Kaffee, kaute nickend den gebackenen Teig und stellte mir vor, wie ich ein enfant terrible der deutschen Literatur werden würde. Dafür müsste ich mir nicht einmal die Stirn aufschlitzen oder meine Macht gegenüber sehr jungen Autor*innen missbrauchen, ich würde einfach immer betonen, dass ich meinen Uterus nicht nutzen wolle. „Sie* probiert noch zu viel aus“, mit diesen Worten lehnte der Verlag Wochen später meinen Text ab.
* Die Pronomen des Autors sind mittlerweile er/ihm.
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