Pflege und Erschöpfung  Wer pflegt die Pflegenden? Teil 2: Pflege zu Hause

Wer pflegt die Pflegenden? Teil 2: Pflege zu Hause Foto: © Gréta Čandová

Intensive häusliche Pflege bringt verschiedene emotionale, gesundheitliche und finanzielle Anforderungen mit sich und verändert oft den Tagesrhythmus und Lebensablauf auch für diejenigen, die Pflege leisten. Wie die Pflege die Psyche und den Körper der Pflegenden verändert, wie es ihnen an einem funktionierenden Unterstützungssystem mangelt und welche Entlastungsinitiativen und -dienste es gibt, erfahrt ihr im zweiten Teil des Berichts über die Bedürfnisse von Pflegenden in der Slowakei.

Selbst wenn wir jetzt gerade uns bester Gesundheit erfreuen, sind wir nur vorübergehend gesund und fit. Oder nur vorübergehend jung, vorübergehend unabhängig. Der Fachbegriff „Informelle Pflege“ bezeichnet die häusliche Pflege – also die Pflege einer Person, die aus gesundheitlichen oder altersbedingten Gründen nicht mehr in der Lage ist, alltägliche Aufgaben ohne Hilfe zu erledigen.

Laut Angaben des Zentrums für Arbeit, Soziales und Familie erhielten im September 2025 in der Slowakei 75.756 Menschen eine Geldleistung für ihre geleistete Pflege. Die Zahl derjenigen, die sich intensiv kümmern und intensive Pflege leisten, aber keine Unterstützung erhalten, ist in der Slowakei jedoch viel höher. In Tschechien zum Beispiel kümmern sich laut einer Umfrage im Auftrag der Gesellschaft Provident zur Initiative Neviditelní (deutsch: Die Unsichtbaren) eine Million Menschen um die ihnen Nahestehenden.

Das Statistische Amt der Slowakei verfügt zwar nicht über vergleichbare Daten, es liegt jedoch ein interessanter Forschungsbericht des Instituts für Forschung zu Arbeit und Familie aus dem Jahr 2009 vor. Die Mehrheit der damals befragten 30 Personen, die zu diesem Zeitpunkt intensiv Familienangehörige pflegten (27 Frauen und 3 Männer mit einem Durchschnittsalter von 46 Jahren), gab an, dass sich die intensive Pflege negativ auf ihr Berufs- und Privatleben auswirkte. Sie mussten ihre Arbeitszeit einschränken und verzichteten oft ganz auf Freizeitaktivitäten und Hobbys. Diejenigen, die einer Erwerbsarbeit nachgingen, empfanden diese auch als psychologische Unterstützung – als „Energie tanken“ und als Möglichkeit, „aus der Routine auszubrechen“.

Oft war mindestens eine Teilzeitbeschäftigung notwendig, da mit dem Pflegegeld nicht einmal die Grundkosten gedeckt werden konnten. Die meisten der Befragten hatten zudem schon mit der Pflege begonnen, bevor ihnen das Pflegegeld gewährt wurde – das „Hineinwachsen“ in die Situation mit Bezug des Pflegegeldes war mit einer allmählichen Verschlechterung des Gesundheitszustands des pflegebedürftigen Familienmitglieds verbunden. Andere Unterstützungsleistungen durch den Staat oder durch zivilgesellschaftliche Vereinigungen waren minimal und die Befragten waren sich dieser Möglichkeiten oft gar nicht bewusst. Die meisten hatten keine Informationen über Entlastungsdienste, doch selbst heute noch ist es nach Aussage vieler Pflegender Fakt, dass diese Dienste meist nur auf dem Papier existieren. Die für die Umfrage befragten Personen pflegten am häufigsten ihre unmittelbaren Familienangehörigen und nur in Ausnahmefällen Nachbarn oder Bekannte.

In ganz Europa werden rund 80 Prozent der Pflegeleistungen von Lebenspartner*innen, Verwandten und Freund*innen erbracht. Diese unbezahlte, unterbewertete Form der Pflege spart dem Staatshaushalt eine Menge Geld (für das Vereinigte Königreich schätzte beispielsweise eine bis heute noch zitierte Studie der University of Leeds aus dem Jahr 2015 diesen Betrag auf 132 Milliarden Britische Pfund – nach aktuellem Kurs knapp 150 Milliarden Euro). Die Zahlen zu diesen verborgenen Pflegeleistungen variieren. Das liegt auch daran, dass sich viele Pflegende damit nicht identifizieren oder ein solches Etikett nicht mögen. Menschen nehmen sich selbst oft eher über ihre Beziehung zu der Person wahr, die sie pflegen: „Es ist einfach meine Mutter, mein Vater, mein Kind“. Darüber hinaus ändern sich die Bedürfnisse und der Grad der Abhängigkeit oft schleichend im Laufe der Jahre. Emily Kenway, die ihre schwerkranke Mutter drei Jahre lang pflegte, diskutiert diese Themen in ihrem Buch Who Cares. The Hidden Crisis of Caregiving, and How We Solve It. Ulla aus Schweden, eine der Personen, mit denen Emily für ihr Buch gesprochen hat, pflegt ihren Mann, seitdem dieser einen Schlaganfall erlitten hat. Sie sieht sich nicht als Caregiver, also nicht als Pflegerin, weil die Pflege für sie heute weniger anstrengend ist als damals, als sie sich um beide Eltern kümmerte. Stattdessen bezeichnet sie sich selbst als möjlighetsmakare – ein schwedisches Wort, das man mit Möglichmacherin übersetzen könnte.

Über die Herausforderungen der häuslichen Pflege, Erfahrungen mit verschiedenen Barrieren und Organspenden habe ich mit der Familie Zubaj gesprochen. Über Beispiele von Hilfsinitiativen und -diensten mit Pavol Vilček von den Sozialdiensten des Katholischen Wohlfahrtsverbands der Region Zips/Spiš (Spišská katolícka charita/SpKCH), er stellt das in Bau befindliche Erholungszentrum für Eltern von Kindern mit Behinderungen vor. Und mit Viera Hincová haben wir über Homesharing und ein Freiwilligenprogramm für Familien mit Kindern im Autismus-Spektrum gesprochen.

Wie Pflege Psyche und Körper verändert

Im Dorf Važec pod Tatrami wird einem gleich bei der ersten Begegnung mit den beiden klar, dass Lucia und Richard Zubaj bemerkenswerte Menschen sind, und diese Erkenntnis vertieft sich in den nächsten Tagen noch. So viel herzliche, authentische Energie – auch wenn Richard scherzt, dass das nur vom Kaffee kommt –, Humor und etwas, das schwer genau zu benennen ist, aber wahrscheinlich etwas mit Beharrlichkeit zu tun hat.

Es begann mit dem Schnupfen und Husten ihres Sohnes Riško. Innerhalb von 24 Stunden trat eine Multiorgansepsis ein – ein durch Pneumokokken verursachtes Organversagen. Das Ärzteteam des Krankenhauses in Poprad zögerte nicht und kontaktierte, da es keine anderen Möglichkeiten mehr gab, sofort das Krankenhaus in Banská Bystrica. Riško war zwei Jahre alt und verbrachte seinen Geburtstag im Notfalltransportwagen. Die Ärzte sagten seinen Eltern offen: Wenn er den Transport nach Banská Bystrica überlebte, würde das Krankenhaus dort alles tun, was es kann. Auf den Transport folgten mehrere Wochen künstliches Koma, Untersuchungen und die Diagnose: atypisches hämolytisch-urämisches Syndrom. Eine seltene Krankheit, bei der seine Nieren versagten.
 
„Du hast ein Kind, das jeden Tag sterben kann, und mit diesem Gedanken gehst du abends ins Bett. An manche Dinge kann man sich gar nicht erinnern, weil man in solch einer Situation so unter Stress steht und so große psychische Schmerzen hat, dass manches rückblickend wie im Nebel verschwimmt. Entweder brichst du da völlig zusammen oder du stellst dich dem Problem. Klar, man weint millionenfach, doch morgens stehst du wieder auf, es ist ein neuer Tag, du machst weiter, du funktionierst. Du musst leben.“

Lucia lernte es, die Peritonealdialyse über einen Katheter in die Bauchhöhle selbst durchzuführen. Jeden Abend war das dran. Sie machte das vier Jahre lang. „Lucka hatte ihre perfekte Systematik bei der Dialyse, sie hatte alles komplett durchschaut. Die Königin der Dialyse. Wenn ich ihn daran anschließen sollte, war ich total gestresst, denn ein Fehler konnte fatale Folgen haben. Und Lucka konnte das sogar mit geschlossenen Augen“, sagt Richard anerkennend.

Die Lösung war eine Transplantation. Die Ärzte bestätigten, dass Lucia eine geeignete Spenderin war.
 
Lucia und Richard

Lucia und Richard | Foto: © Gréta Čandová

Lucia sagte sich „Okay, die nehmen mir eine Niere raus – und fertig. Am nächsten Tag gehe ich wieder“. Doch in Wirklichkeit sah der große Eingriff in ihren Körper ganz anders aus. Sie wurde mit dem Da-Vinci-Roboter operiert. Außen hatte sie nur neun Stiche, innen jedoch mehrere Dutzende. Als ihr Bauch, wie es für den Eingriff nötig war, buchstäblich „aufgeblasen“ wurde, rissen darin auch Nervenenden. Sie erinnert sich an die enormen Schmerzen und bis heute spürt sie weder Wärme noch Kälte an ihrem Bauch. „Ich sollte gleich nach der Transplantation zu Riško gehen, doch ich konnte es nicht. Ich konnte nicht einmal für mich selbst sorgen, geschweige denn für andere, und da ging es bei mir psychisch bergab.“

Obwohl eine allgemeine präoperative Vorbereitung stattgefunden hatte, wie Lucia betont, war es notwendig, sich noch verschiedenen Tests zu unterziehen und sicherzustellen, dass für die Spenderin kein Risiko besteht. „Sie sagen dir dabei auch: ‚Frag einfach‘, doch du weißt nicht, was du fragen sollst, du weißt nicht, wie dein Körper und deine Psyche reagieren werden. Heute weiß ich, dass es mir geholfen hätte, vor der Operation jemanden zu treffen, der ein Organ gespendet hat. Nach dem Aufwachen habe ich dort einen Psychologen sehr vermisst.“ Lucia spricht auch in einem Video, das sie als Spenderin für Dialysepflegekräfte aufgenommen hat, über diese Notwendigkeit.

Einen Monat nach der Transplantation infizierte sich Riško mit dem CMV-Virus, er kollabierte und konnte seine eigene Mutter auch nicht mehr wahrnehmen. Sie erlitt einen Nervenzusammenbruch. „Dann sagte mir der Arzt, ich hätte einen Termin bei einer Ärztin in der psychiatrischen Klinik in Banská Bystrica. Ich bekam Medikamente, um da wieder rauszukommen.“

Sie reflektiert auch über eine weitere bedeutende Veränderung. Sie hat das Gefühl, dass ihr mit der Niere auch ihr stark rational verankerter Überlebensmodus genommen wurde. Hatten Ärzte ihr früher Katastrophenszenarien aufgelistet, dann hatte Lucia immer ganz ruhig geantwortet: „Okay, ich verstehe, tun Sie, was nötig ist, wir unterschreiben die Papiere.“ Jetzt spürt sie eine deutlich größere Sensibilität und eine neue Art der Emotionalität. „Vielleicht zeige ich es nicht nach außen, doch jedes Mal, wenn ich das Notwendige erledigt habe, gehe ich jetzt beiseite, damit mich niemand sieht, und heule mich laut aus. Seit der Transplantation lebe ich ein anderes Leben.“

Lucia hat inzwischen auch eine allgemeine Angst vor Ärzten. Am Tag vor einer Untersuchung ihres Sohnes isst sie nichts, hat innerliches Zittern und Angst. Auch die Tatsache, dass sich Riškos gesundheitliche Einschränkungen noch verändert haben, manche stärker geworden sind, spielt dabei eine Rolle: „Wir können ihm keine Nahrungsergänzungsmittel für sein Immunsystem geben. Man kann seine Immunität mit keinem Medikament stärken, sie ist einfach abgeschwächt. Früher hatte ich das Gefühl, ich könnte ihm bei jeder Krankheit helfen, selbst bei der Grippe. Seit der Transplantation fühle ich mich oft hilflos. Aber insgesamt bereue ich die Entscheidung nicht und werde sie auch nie bereuen.“
 
Važec

Važec | Foto: © Gréta Čandová

Maßnahmen nach einer Tragödie

Nach der Tragödie im Jahr 2024, als eine Mutter mit ihrer behinderten Tochter in der Nähe von Beňadiková plötzlich vor einem Zug stand und keine der beiden den Zusammenstoß überlebte, bestanden laut Lucia die offiziellen Maßnahmen des Staates lediglich darin, dass an Eltern, die Kinder mit schweren und langfristigen Gesundheitsproblemen betreuen, Karten mit Kontaktdaten zu Psycholog*innen verteilt wurden. „Es fühlte sich für mich so unpersönlich an. Ich hatte das Gefühl, sie wollten die Sache einfach irgendwie abwickeln. Jetzt erst fragt ihr mich, wie ich mich fühle? Nach so vielen Jahren? Ich habe das Glück, einen Ehemann zu haben, der mich einfach vertreten hat. Er ging arbeiten und ich bekam das Pflegegeld.“

Die Familie Zubaj lobt immer wieder die Herangehensweise des medizinischen Personals, insbesondere des Kinderkrankenhauses mit Poliklinik in Banská Bystrica, dort auch den Nephrologen Martin Dluholucký. „Sie sind engagiert, fleißig, kämpfen gegen ein System, das nicht funktioniert, und retten gleichzeitig Leben. Es ist sehr schwierig, auf Stationen zu arbeiten, auf denen Kinder sterben, und den Eltern zu sagen, dass man ihnen nicht helfen kann. Wir respektieren sie sehr und kamen mit der Einstellung ins Krankenhaus, dass wir ihnen dort und ihren Entscheidungen vertrauen“, sagt Richard.

Auch das medizinische Personal ist mit einem enormen bürokratischen Aufwand konfrontiert. Dasselbe gilt für die Familien der Patient*innen. Lucia kaufte früher jeden Monat medizinisches Material für 80 Euro. Als sie dafür einen Zuschuss von 16 Euro beantragte, bekam sie während der Überprüfung des Antrags einen Anruf von irgendeiner Ärztin, die fragte, wo Riško denn einen Ausgang am Arm habe. Sie wusste nichts von der Diagnose und erwähnte, dass Lucia sterile Tupfer und Pflaster von der Krankenkasse erhielt. „Ja, zehn Stück. Soll die doch mal in drei Monaten zehnmal duschen und mir dann sagen, wie wohl sie sich dabei fühlt.“ Es sind zwar immer noch weitere Tupfer in der Packung, aber nachdem man die geöffnet hat, sind sie nicht mehr steril. Familien müssen diese offensichtlichen Dinge und die Besonderheiten der Behandlung immer wieder erklären, wenn sie Zuschüsse beantragen, die der Staat offiziell bereitstellt, aber oft nicht weiß, wie er sie richtig verwalten soll.
 
Lucia und Richard

Lucia und Richard | Foto: © Gréta Čandová

 

Organspende ohne finanzielle Unterstützung bei der Genesung

Von Organspenden ganz zu schweigen. Lucia wollte die Kostenübernahme für die Operation über ihre Zusatzversicherung geltend machen. Sie bekam die Antwort, der Eingriff sei freiwillig gewesen, sie habe keinen Anspruch auf Kostenerstattung. „Ja, natürlich habe ich mich freiwillig operieren lassen, aber ich habe damit ein Leben gerettet. Riško hat die Kosten erstattet bekommen, ich nicht. Man riskiert sein Leben, hat aber keinen Anspruch auf Invaliditätsleistungen oder andere Unterstützung.“

Der Eingriff selbst wurde im Rahmen der regulären Krankenversicherung bezahlt. Es gibt jedoch auch eine Zusatzversicherung – Abfindungen für chirurgische Eingriffe. Lucia hatte diese Zusatzversicherung und die Zahlungen können beispielsweise für Nachbehandlung und für die Rekonvaleszenz verwendet werden. Dies gilt jedoch nur für Eingriffe aufgrund von Krankheiten oder Verletzungen. Die freiwillige Organspende bleibt somit ein „blinder“ Fleck, ist damit nicht abgedeckt.

Das Ziel der Eltern war es von Anfang an, dass Riško trotz seiner Einschränkungen ein möglichst erfülltes Leben führen sollte. Er geht jetzt in die Schule. Am Tag unseres Interviews nahm er an einem Wettrennen teil, stürzte beim Start und verletzte sich am Knie und am Arm. Er ignorierte das und wurde am Ende Dritter. Seine jüngere Schwester Zinka, die Geschwister vergöttern einander, hatte ihren Bruder schon von kleinauf zur Dialyse begleitet. Sie wollte immer dabei sein und saß mit einer Maske neben ihm. Sie war sechs Monate alt, als er krank wurde. Ihre Eltern gingen für drei Monate ins Krankenhaus und Zinka lebte abwechselnd bei ihren Omas.

Wenn es um detaillierte Informationen zur Diagnose, zu Leistungen, zur Arbeit und Pflege an sich geht – so kompensieren Pflegekräfte auch hier den Mangel an Dienstleistungen, indem sie einander Informationen zukommen lassen. Trotz allem, was sie als Familie durchgemacht haben, ist Lucia heute pädagogische Assistentin in einem Kindergarten und arbeitet außerdem mit Roma-Kindern (sie nennt sie „meine Kinder“) und hat den Verein Deti spod Kriváňa (etwa: Kinder am Fuße des Berges Kriváň) gegründet. Über Facebook beantwortet Lucia die Fragen anderer Eltern zur Beantragung von Pflegegeld. „Dadurch, dass die Peritonealdialyse vor sieben Jahren noch nicht in den klassischen Schwerbehindertentabellen erfasst war, war es damals sehr schwierig, das Geld zu beantragen.“

Oft sind es Eltern, die nach ähnlichen Erfahrungen beschließen, selbst Organisationen zu gründen oder zu unterstützen, die sich mit der Verbesserung der Bedingungen, der Beratung und Unterstützung von Eltern sowie der Durchsetzung von Systemänderungen befassen. Ein Beispiel hierfür ist der Verein Plattform von Familien mit Kindern mit gesundheitlichen Einschränkungen (Platforma rodín detí so zdravotným znevýhodnením) der über regionale Zentren in der gesamten Slowakei verfügt.

Entlastung für eine kurze Zeit

Ein sozialer Entlastungsdienst, der Familien mit gesundheitlich beeinträchtigten Kindern unterstützen soll, wenn diese eine Pause und vorübergehende Betreuungsvertretung benötigen, kann auch das geplante Erholungszentrum des Katholischen Wohlfahrtsverbands der Region Spiš (SpKCH) sein. Es soll auf dem Gelände des ehemaligen Pfarrhauses von Dolný Smokovec errichtet werden.

Als unmittelbaren Auslöser für dieses Projekt nennt der Diözesandirektor des SpKCH, Pavol Vilček, jene Tragödie der Mutter, die mit ihrer behinderten Tochter plötzlich vor dem Zug stand. Sie sprachen mit dem Bischof darüber, wie sie helfen könnten. Gleichzeitig kam der Wohlfahrtsverband auf die Idee für eine Einrichtung dieser Art, die auch Lýdia Hajdušeková, die Projektleiterin des geplanten Erholungszentrums, im Ausland gesehen hatte.

Das Zentrum soll Platz für acht Familien anbieten, die durchschnittlich zehn bis vierzehn Tage bleiben können. Pavol Vilček schätzt, dass auf diese Weise jährlich rund 250 Kinder betreut werden können. So soll es beispielsweise ein Zimmer für die Mutter geben, in dem sie sich allein, ohne ihr Kind, aufhalten kann, oder auch mit ihm, während aber Betreuung für das Kind anwesend ist. Sie kann mit ihren anderen Kindern, oder ihrem Mann oder einer Gruppe Ausflüge in die Umgebung unternehmen oder einfach mit ihnen Zeit verbringen.

In Polen, wo es bereits Studien zu ähnlichen Angeboten gibt, finden solche Hilfsprogramme meist in Kinderhospizen statt. Es kann mitunter bis zu fünf Jahre dauern, bis sich ein Kind an die Umgebung und das Personal gewöhnt hat.
 
Das Sekretariat der katholischen Wohltätigkeitsorganisation Spišská charita in Spišská Nová Ves, wo wir mit dem Direktor Pavol Vilček gesprochen haben.

Das Sekretariat der katholischen Wohltätigkeitsorganisation Spišská charita in Spišská Nová Ves, wo wir mit dem Direktor Pavol Vilček gesprochen haben. | Foto: © Gréta Čandová

In der Slowakei gibt es laut Schätzung des Verbandes der Anbieter und Unterstützer von frühzeitiger Intervention (Asociácie poskytovateľov a podporovateľov včasnej intervencie) 14.000 Kinder im Alter von 0 bis 6 Jahren mit schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Internationale Studien bestätigen das erhöhte Risiko für Scheidung und Zerrüttung in diesen Familien. Laut Vilček sind meist die Väter überfordert – sie verlassen die Familie und lassen die Mütter ohne Einkommen und ohne Zeit für die Geschwisterkinder zurück, die auch als „gläserne Kinder“ bezeichnet werden. Die Kinder in charitativen Einrichtungen hier in der Region Spiš werden mitunter von lokalen Basketball- und Hockeyspieler*innen bei Aktivitäten unterstützt. Sie nehmen zum Beispiel die Kinder regelmäßig mit auf den Aussichtspunkt Tomašovský výhľad im Slowakischen Paradies. Bergsteiger*innen bieten dem Erholungszentrum auch schon Ausflüge an.

Die Kosten für die Familien sollen zwar nicht kommerziell sein, doch Pavol Vilček ist sich durchaus bewusst, dass Familien auch nach der bevorstehenden Gesetzesnovelle, welche die finanziellen Leistungen anpassen soll, weiterhin schwierige Entscheidungen treffen werden müssen. „Sie als Familie bekommen ein Paket, ein persönliches Budget, und Sie überlegen dann, ob Sie damit für das Wohnen bezahlen – und was immer sonst noch. Oder Sie nutzen das Geld zum Beispiel für Erholungs- und Entlastungsleistungen.“

Zeit für sich selbst haben. Homesharing und das Freiwilligenprogramm Kinder ohne Anleitung

Homesharing ist eine gemeinschaftsbasierte Form der miteinander geteilten Betreuung von Familien mit autistischen und geistig behinderten Kindern, bei der ehrenamtliche Gastgeber*innen regelmäßig Zeit mit den Kindern verbringen. In Tschechien wird Homesharing von acht Organisationen umgesetzt, die im Verband Gesellschaft für Homesharing (Společnost pro homesharing) vereint sind. Er basiert auf einem irischen Modell, welches seit 30 Jahren läuft.

In der Slowakei ist der Verein Hans seit 2016 in diesem Bereich aktiv. Über dessen Freiwilligenprogramm Kinder ohne Anleitung (Deti bez návodu) sprachen wir an einem frühen Abend per Videocall mit einer der Gründerinnen des Vereins, Viera Hincová, sie ist Psychologin und Innovatorin in den Fachbereichen Asperger-Syndrom und Autismus-Spektrum-Störungen. Viera sagt, sie sei „diejenige, die begleitet“, sie bringe also keine Expertenperspektive ein, die etwas von außen bestimme. Wenn man über das Akzeptieren geht, sagt sie, dann betrachtet man Autismus nicht oberflächlich, nicht als Defizit. Sondern eher als ein Anderssein.

„Wenn ein Kind ein Spielzeug wegwirft, heißt das nicht unbedingt, dass es nicht daran interessiert ist. Vielleicht wollte es mir ja das Spielzeug geben – also versuche ich, es ihm zu geben, dann gibt es mir das Spielzeug zurück – und plötzlich merkt man, dass dies ein Spiel ist.“ Solche aufmerksamen Interaktionen und die Sensibilität für Nuancen brauchen Zeit, sind aber entscheidend. Für Menschen im Autismus-Spektrum sind, so Viera, oft deren einzigartige Interessen eine sehr starke Motivation. Neurophysiologisch wird dann zum Beispiel Dopamin ausgeschüttet, und die Barrieren, die diese Kinder und Teenager sonst haben, fallen. Deshalb wollte der Verein von Anfang an gern Freiwillige haben, die sich für die Interessen von Kindern einsetzen. Bei einem der Kurse inspirierte ein Gespräch über das Homesharing Projekt in Tschechien sie besonders, und so haben sie auch in der Slowakei ein Projekt entwickelt und es auf eine Ausschreibung der Stiftung für die Kinder der Slowakei (Nadácie pre deti Slovenska) dort eingereicht. Mit der dann erhaltenen finanziellen Unterstützung konnten sie ihr spezielles Freiwilligenprogramm Kinder ohne Anleitung ins Leben rufen.
 
Viera Hincová

Viera Hincová | Foto: © privat

Beim Homesharing verbringen Kinder Zeit mit einem ehrenamtlichen Gastgeber oder einer Gastgeberin in deren Zuhause oder bei einem gemeinsamen Programm im Freien. Da zu Beginn nicht genügend Ressourcen zur Verfügung standen, um das Projekt in dieser Form des Homesharing umzusetzen, wurden für das Kinder ohne Anleitung in der Slowakei einige Anpassungen vorgenommen. Der Freiwillige kümmert sich hier direkt zu Hause bei der Familie um die Interessen des Kindes, ein Elternteil ist also anwesend. Die meisten Familien, die am Freiwilligenprogramm teilnehmen, sind Alleinerziehende mit Kindern. Während der Freiwillige Zeit mit dem Kind oder Teenager in einem sicheren Umfeld und mit passenden Aktivitäten verbringt, hat das Elternteil Zeit für sich selbst oder für Geschwisterkinder. Freiwillige werden geschult, betreut, unterstützt und man versucht, sie den passenden Familien zuzuteilen. Letztendlich ist jedoch meist der geografische Faktor entscheidend.

Die Rückmeldungen sind sehr positiv: „Die Eltern empfinden es als eine kleine Auszeit, sei es auch nur eine Stunde pro Woche. Sie müssen ihr Kind nicht beaufsichtigen, kontrollieren oder sich etwas ausdenken. Auch generell ist diese Akzeptanz für sie eine große Erleichterung. Niemand kritisiert sie, niemand urteilt über sie (wie manchmal von außen) oder bewertet sie, sondern man passt sich ihnen an.“

Das Programm läuft bereits das dritte Jahr in Bratislava und Umgebung, in Nitra, Trenčín, Košice, Banská Bystrica und Lučenec. In Zusammenarbeit mit dem Verein Besser und gemeinsam (Líp a spolu) möchten sie Kinder ohne Anleitung auch nach Tschechien ausweiten – und umgekehrt, das Programm Homesharing von den Nachbarn in die Slowakei bringen und es als Pilotprojekt in den Regionen Trnava und Žilina testen. Den Austausch und die Weitergabe bewährter Herangehensweisen zur Verbesserung der Situation haben die Vereine selbst in die Hand genommen.

Und wer sind die Freiwilligen im Programm? Oft sind es Studierende aus humanitären Bereichen, die das auch als Praxiserfahrung betrachten. Manche bleiben ein Jahr, manche länger. Es gibt aber auch Freiwillige unter älteren Menschen, deren Kinder bereits älter oder erwachsen sind und die somit Kapazitäten dafür haben. Kontinuität ist wichtig. Sie kommen mindestens alle zwei Wochen, meist aber einmal pro Woche für eine Stunde zu den Familien.

Die meisten Aktivitäten direkt im Verein – von Musiktherapie und Kunsttherapie bis hin zu Aktionen in multisensorischen Snoezelen-Räumen – werden für die ganze Familie angeboten. Die Aktionen erreichen mitunter eine besondere kulturelle und pädagogische Dimension, wie beispielsweise bei den Gesprächsrunden nach der Aufführung von Asperger vs. Wittgenstein des Theaters Non.Garde. Nachdem bei ihrer Tochter eine Form des Asperger-Syndroms nachgewiesen worden war, hatte Viera Hincová festgestellt, dass sie selbst ebenfalls zum Spektrum gehört. Vielleicht versteht sie dieses Thema deshalb so gut, meinten einige Leute. Und während viele Ansätze, so ihre Erfahrung, darauf pochen, dass man sich um jeden Preis „hineinzuquetschen“, sich den Normen anzupassen hat, unterstützt sie einen affirmativen, akzeptierenden Ansatz. Das funktioniert gut, selbst bei denen, die hinsichtlich ihrer Bedürfnisse wirklich viel Unterstützung benötigen. Viera Hincová weiß jedoch sehr wohl, dass das Defizit und der Name der Diagnose nicht alle Parameter und Schichten einer Person präsentieren.

In tausenden Haushalten in der Slowakei kümmert sich derzeit jemand um die Intensivpflege. Aber wie lange kann ein Mensch das leisten? Bei der Entgegennahme des Journalistenpreises 2024 für seinen Text über die Familie Frešo, die sich rund um die Uhr um ihren schwerkranken Sohn kümmert, erinnerte Karol Sudor daran, dass die Rolle von Journalist*innen nicht darin bestehen sollte, die Geschichten kranker Kinder detailliert aufzudecken, um Mitgefühl bei den Leser*innen zu wecken und Geld zu sammeln. Es ist die Aufgabe des Staates, für angemessene Unterstützung zu sorgen. Die Familie Frešo hatte daher beschlossen, den Staat und das System zu verklagen, das sie erniedrigt, ihnen keine Hilfe zur Verfügung stellt und grundlegende Menschenrechte verletzt. Die Erfahrungen der Familien, mit denen wir gesprochen haben, sind unterschiedlich, ebenso wie ihr Grad der Abhängigkeit und die Familiendynamik. Doch sie alle eint der Mangel an Unterstützung durch öffentliche Dienste – und wenn sie es schaffen, voranzukommen, dann diesem Mangel zum Trotz.

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