Das Ferien- und Wochenendhäuslern ist ein internationales Phänomen. Sowohl in den Ländern Westeuropas und Nordamerikas als auch in den ehemaligen sogenannten sozialistischen Republiken gab und gibt es bis heute verschiedene Typen von Ferienhäusern. Und in jedem Land haben sie auch ihre historischen und sozio-ökonomischen Eigenheiten.
Die Tschechinnen und Tschechen halten sich selbst für das Volk der Wochenend- und Ferienhäusler*innen. Auch wenn sie sich bereits viele Jahre vor der Samtenen Revolution durch Fachzeitschriften aus anderen Teilen der Welt Inspiration holen konnten, sehen sie doch nach wie vor darin ihre Einzigartigkeit. Zu einem gewissen Grad ist das auch wahr. Jedes Land, in dem es das Phänomen der Ferien- oder Wochenendhäuser gibt, unterscheidet sich durch seine regionalen Spezifika. Bis heute kommen verschiedenartige Typen von Ferienhäusern sowohl in den Ländern Westeuropas und Nordamerikas als auch in den ehemaligen sozialistischen Republiken vor. Für Tschechien einzigartig ist die Entwicklung des Ferienhäuslerns in den Bergregionen, dort nämlich, wo einst Deutsche gelebt hatten. Ebenso besonders ist die Beziehung die man zum Objekt der Erholung hat, sehr oft ist es für uns Tschech*innen ein zweites Zuhause.Die schwedische Sommarstuga, die norwegische Hytte, die russische Datscha, das nordamerikanische Cottage, die jugoslawische Vikendica oder die tschechische Chalupa unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht, doch haben sie eines gemeinsam: Es sind Objekte, die zum Verbringen der Freizeit von Einzelpersonen, Familien oder Gruppen von Freund*innen genutzt werden. Laut Petra Schindler-Wisten, Historikerin an der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik und Autorin der Publikation O chalupách i lidech (Von Hütten und Menschen), das auf mündlichen Befragungen basiert, war die Art und Weise, wie die Häuser zur Erholung entstanden, sowie ihre nachfolgende Architektur, Nutzung und Funktion im 20. Jahrhundert geprägt durch die lokalen Voraussetzungen, die sozialen, ökonomischen und geografischen Umstände in den jeweiligen Staaten.
Tschechische Grundregel: Chata ist nicht gleich Chalupa
In Tschechien weiß jeder, was es heißt, auf die Chata zu fahren oder den Sommer in der Chalupa zu verbringen. Aus aktuellen demografischen und soziologischen Untersuchungen hierzulande geht hervor, dass am häufigsten Menschen um die dreißig oder vierzig und mit Kindern eine Chalupa kaufen oder modernisieren, um einen Ort zu haben, an dem sie gemeinsam ihre Freizeit verbringen können, bis die Kinder eigene Wege gehen. Danach beginnen einige, die Chalupa ganz oder teilweise zu vermieten. Vor dem Renteneintritt machen viele sie zu ihrem ständigen Wohnsitz und lassen sich hier dauerhaft nieder, sofern es in der Gemeinde nicht an grundlegender Infrastruktur fehlt. Aktuell nimmt die Zahl derer zu, die auch während im sogenannten produktiven Alter in einer Chalupa leben, und zwar aufgrund von mangelndem verfügbarem Wohnraum.Zwischen einer Chata und einer Chalupa gibt es noch immer einen grundlegenden Unterschied: Während die tschechischen Chalupas schon typisch zur Dorfbebauung gehören und ursprünglich zum dauerhaften Wohnen gedacht waren (dem entspricht oft auch ihre Größe), handelt es sich bei den Chatas um eingeschossige Bauten mit Schlafplatz im Satteldach, die in eigenen Kolonien oder Siedlungen angeordnet gebaut und ausschließlich zur Erholung gedacht sind. Schindler-Wisten betont, dass der Erholungsaufenthalt in einer Chata ein Sommersaison-Phänomen und als solches landesweit verbreitet ist, insbesondere in Flusstälern, an Seen und Talsperren, in Mähren und Schlesien auch in einigen Bergregionen. In Chalupas erholt man sich hingegen vor allem in Mittelböhmen und in den Bergregionen, wobei es um Objekte geht, die die deutsche Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg hatte zurücklassen müssen. So konnte eine Chalupa nicht nur aus einem romantischen Fachwerkbau, sondern ebenso aus einer ehemaligen Schmiede, einem Fischerhaus, einer Mühle, einem Kornspeicher, Sägewerk oder Forsthaus entstehen.
Die ersten Chalupa-Urlauber*innen waren zum Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts wohlhabende Eliten, die sich einen Sommersitz außerhalb der Stadt zulegten. Dies bestätigt auch Hana Librová in ihrer Forschung bereits in den 1980er Jahren: Insbesondere in der Anfangszeit waren die Chalupa-Urlauber „Menschen mit hohen beruflichen Qualifikationen, die ein hohes Ansehen genossen. Oft waren es Architekten oder Künstler, Schauspieler, Sänger oder Ärzte.“ Allmählich wurden die Chalupas und Chatas dann in der Tschechoslowakei zu einer Sache der breiten Bevölkerungsschichten. Der lebhafte Bau von Chatas ist typisch für die 1960er Jahre, woraufhin eine Regulierung erforderlich wurde. Das goldene Zeitalter erstreckt sich über die gesamte Zeit der Normalisierung, als das Interesse an den schwer erhältlichen Objekten zur Erholung sehr groß war. Insbesondere das Chalupa-Urlauben wurde unterstützt, brachte es doch neuen Schwung in viele verlassene Gemeinden. Zwischen 1970 und 1991 verdoppelte sich die Anzahl der Erholungsobjekte.
Einige der Chalupa-Häusler*innen erinnern sich in der bereits erwähnten Studie von Schindler-Wisten gerne daran, wie sie ihre Chalupa eigenhändig renoviert und eingerichtet haben, was mit einem kurzzeitigen Wechsel ihrer sozialen Rolle einhergeht. Übers Wochenende verwandelten sie sich in Maurer, Lackierer, Dachdecker, Installateure oder Gärtner. Sie bewiesen sich, dass sie zu manchem in der Lage waren, und das wiederum brachte Befriedigung. Handwerkliches Geschick und Heimwerken ist auch heute angesichts der teuren und kaum verfügbaren Handwerker*innen noch gefragt.
Die Hütten in den österreichischen Alpen zeichnen sich oft durch ihre Bescheidenheit und Selbstversorgung aus. | Foto: © Žaneta Jansa Gregorová
Stadtflucht als Bedürfnis
Schindler-Wisten vergleicht die Motivationen zum Urlauben in Chalupas vor der Samtenen Revolution und heute. Im Grunde sind es die gleichen: Das Bedürfnis, der Stadt zu entfliehen und in der Natur zu sein, mit den Kindern Freizeit zu verbringen, vom anstrengenden Beruf zu verschnaufen, Erholung. Allein das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung lässt nach. Auch heute noch ist das Interesse an Chatas und Chalupas auf dem tschechischen Immobilienmarkt groß. Zwar gibt es Einbrüche, wie etwa die Energiekrise, aber ebenso Phasen, in denen das Interesse an den Urlaubsobjekten extrem ansteigt. So etwa während der Covid-Krise.Während früher also, von der Ärztin bis zur Arbeiterin, unterschiedliche Bevölkerungsschichten eine Chata oder eine Chalupa ihr eigen nennen konnten, und die einzige Schwierigkeit in der mangelnden Verfügbarkeit der Objekte bestand, ist das „Zweite Wohnen“ heute eine sozial selektive Erscheinung geworden und schlägt sich im Besitz von Gebäuden unterschiedlicher Qualität nieder – von der einfachen Holzchata bis hin zum massiven Einfamilienhaus, mitunter gar im Ausland. „Allmählich schwinden die Unterschiede zwischen dem ständigen Erst- und dem Zweitwohnsitz. Die Ausstattung einer Chalupa ist heute vergleichbar mit der einer Stadtwohnung, der spartanische Aufenthalt in klammen Bauten gehört der Vergangenheit an. Dank Mobilfunknetz und Internetanschluss kann man in der Chalupa auch komfortabel arbeiten, was auch manch einer nutzt und hier weitaus mehr Zeit verbringt als früher“, schreibt die Wissenschaftlerin.
Sommarstuga, Hytte und andere Blockhäuser
An der Spitze der Rangliste hinsichtlich der Anzahl von Urlaubsobjekten stehen schon traditionell die skandinavischen Länder, ebenso befinden sich Frankreich und Spanien in den oberen Rängen. Schindler-Wisten führt an, dass die Nutzung von Urlaubshütten am meisten in Schweden verbreitet ist, wo gar jeder vierte Haushalt eine Immobilie besitzt, die nicht als ständiger Wohnsitz genutzt wird. In Norwegen liegt der Anteil solcher Haushalte etwa bei 17 Prozent. „Laut statistischen Angaben wächst die Anzahl dieser Objekte sogar, so in Finnland in den 1970er Jahren von 200.000 über 474.000 im Jahr 2005 bis hin zu 500 000 im Jahr 2013“, schreibt Olga Hannonen in ihrer Publikation Second Home Tourism in Finland. Hannonen zufolge stellt sich in Finnland gerade die Frage, wie die städtische und ländliche Lebensweise verknüpft werden könnten. Anstelle von zwei getrennten Polen versucht man, diese als etwas miteinander Verbundenes zu betrachten und Wege zu finden, wie ein grünes, ländliches Umfeld in städtische Regionen sowie städtische Infrastruktur und Möglichkeiten in ländliche Kommunen übertragen werden können.In Schweden begannen im 19. Jahrhundert reiche Geschäftsleute damit, sich luxuriöse Sommerhäuser zu bauen, um dem städtischen Treiben zu entfliehen und sich zu erholen. Ebenso wie in Böhmen beginnt auch in Schweden mit Anbruch des 20. Jahrhunderts eine wachsende Mittelschicht zu urlauben. Die größte Dynamik ist in den Jahren 1960 bis 1980 zu verzeichnen, was einem wachsenden Lebensstandard, der fortschreitenden Urbanisierung, einer Zunahme an Freizeit und besseren Verkehrsverbindungen zugeschrieben wurde. Die Schwedinnen und Schweden nutzen drei Typen von Urlaubsobjekten: Hütten in unmittelbarer Stadtnähe, die sie regelmäßig am Wochenende oder auch am Nachmittag nach der Arbeit aufsuchen (entspricht unserem Kleingärtnern) und die auch beweglich sein können (was meist aber nicht genutzt wird), Blockhütten, die mehrere hundert Kilometer vom Hauptwohnsitz entfernt sind und nur einige Male im Jahr genutzt werden, und schließlich Ferienhäuser in klimatisch wärmeren Regionen (hierbei beliebt der Mittelmeerraum). Letztere legen sich die wohlhabenderen Schwedinnen und Schweden zu.
Ingrid Persson hat schwedische Werbeinserate für Ferienobjekte untersucht. Diese bedienen sich schon seit den 1960er Jahren eines sich wiederholenden Narrativs: Sie erzählen von Wahlfreiheit und modernem Leben, von potenziertem Wohnen und gutem Leben sowie von familiärem Zusammenhalt. Es lässt sich feststellen, dass diese Narrative eng mit Schlüsselwerten eines „Volksheims“ zusammenhängen, das ein Grundprinzip des schwedischen Sozialstaats ist.
Eine Gemeinsamkeit des tschechischen und schwedischen Zweiten Wohnens ist die Änderung des Wochenendhauses hin zum permanenten Wohnsitz. „In Schweden äußert sich hierin unter anderem die Ausbreitung der funktionierenden städtischen Regionen ins ‚städtische Dorf‘. Die Wohnkosten für Privathäuser im Zentrum von Stockholm steigen. Angehörige der unterer und der mittlerer Schichten kaufen sich zum dauerhaften Wohnen lieber ein Wochenendhaus, das 30 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt ist. Der niedrigere Preis eines solchen Hauses bedeutet natürlich auch einen niedrigeren Standard, ebenso ein gewisses Fehlen von Infrastruktur und Bürgerversorgung, doch für Familien mit Kindern die näher an der Natur sein wollen, ist es eine ideale Lösung“, beschreibt Schindler-Wisten die Situation, die auch in Tschechien nicht unbekannt ist.
Hütte an der norwegischen Küste, typischerweise in leuchtenden Farben. | Foto: © Žaneta Jansa Gregorová
Vikendica am Meer und in der Stadt
Ebenso wie in Tschechien rettete auch die Bevölkerung im ehemaligen Jugoslawien seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Objekte, die sonst wohl verfallen und eingestürzt wären. „Die Menschen kauften verwaiste und vernachlässigte Häuser zu Urlaubszwecken in Städten, etwa in Rovinj, wo die Altstadt noch in den 1960er Jahren infolge des Zweiten Weltkriegs und der daraufhin einsetzenden Emigration eines bedeutenden Teils der italienischen Bevölkerung unbewohnt war. Neben der Rettung der zerstörten und verfallenden Häuser war die zumindest saisonweise Belebung ansonsten verlassener Dörfer oder kleinerer Städte eine weitere Gemeinsamkeit“, betont Schindler-Wisten.Der etablierte Begriff Vikendica schloss sämtliche Objekte ein, von der Einzimmerhütte ohne Elektrizität bis hin zur Luxusvilla mit allen Errungenschaften. Zuweilen wurden verschiedene Hütten wild, ohne Regulierung und in solchem Maße erweitert, dass die Entstehung von neuen Gesetzen oder örtlichen Verordnungen erforderlich wurde. Während in der Tschechoslowakei die Chatas und Chata-Kolonien meist in der freien Natur, etwa in Flusstälern, etwa an der Sázava oder der Berounka entstanden, florierte in Jugoslawien der unerlaubte Bau an der Adriaküste. Auch deshalb, weil es im Falle beider Länder relativ schwierig war, ein Urlaubsobjekt zu bekommen. Falls man nicht gerade eines geerbt hatte, musste man suchen, Tipps nachgehen und viel fahren, Kontakte knüpfen und ähnliches, denn die Nachfrage war riesig.
Üblicherweise wurden die Häuser in Eigenarbeit renoviert und mit ausrangierten Möbeln aus Wohnungen eingerichtet. Ähnlich wie für die Tschechoslowakei die Zeitschrift Chalupář (etwa: Der Chalupa-Häusler) existierte auch auf dem Balkan eine Reihe von Titeln zum Thema Heimwerken und Ferienhäuser. In einzelnen Ländern gab es merkliche Unterschiede, was natürlich noch den Unterschied im Eigentum unterstrich. „Die meisten Objekte gab es in Kroatien entlang der Küste, hier wurden größere Häuser gebaut, in denen die Menschen in den Sommermonaten mehr Zeit verbrachten, was einen größeren Komfort erforderte. Die Städte im Inland waren hingegen nur für den Kurzurlaub am Wochenende bestimmt, die Häuser dort waren weniger luxuriös“, erklärt Karin Taylor in ihrem Text mit dem Titel My own Vikendica.
Sie erinnert auch daran, dass in einer Zeit, da sich die Arbeitenden an einen regelmäßigen Urlaub im Rahmen eines Systems des sozialen Tourismus gewöhnten, immer mehr Stadtbewohner*innen ihre Freizeit außerhalb des Kollektivs zu verbringen suchten. Andere, die ihren Urlaub in Hotels und häuslichen Unterkünften verbrachten, sehnten sich nach unverbindlicher Erholung und dem Gefühl von geschützter Privatheit. Wer ein Wochenendhaus besaß, hatte ein gutes Leben: Es stand für die Festigung von familiären und freundschaftlichen Beziehungen, finanzielle Rücklagen, einen Ort zur Erholung, wohin man sich in eine Ruhe und vielleicht auch in Freiheit flüchten konnte. Parallelen mit der sozialistischen Tschechoslowakei lassen sich in Jugoslawien mehrere finden, so begann auch hier das Interesse an Urlaubsobjekten in den 1980er Jahren abzunehmen (in Tschechien zu Beginn der 1990er Jahre).
Die dramatischen Ereignisse der 1990er Jahre veränderten jedoch nicht nur das Aussehen Jugoslawiens, sondern unter anderem auch die Freizeitgestaltung und das damit verbundene Zweite Wohnen. Vor allem in Kroatien werden in den letzten Jahren viele Ferienhäuser von einer ausländischen Klientel gekauft, unter anderem aus der Tschechischen Republik.
Vor allem in Böhmen findet man Blockhäuser. | Foto: © Žaneta Jansa Gregorová
Die Datscha aus der Literatur und zur Sättigung der Familie
In der Sowjetunion, wie auch später in der Russischen Föderation, gab es für die wohlhabendere Bevölkerung die Tradition der Dorfsiedlungen. Eine klassische Datscha findet sich aber auch in den Werken der georgischen Schriftstellerin Nino Haratischwili, und so treffen wir zumindest im europäischen Teil der postsowjetischen Republiken auf diese Tradition. In Russland kennt man auch einen anderen Typ Datscha, die sogenannte Gartendatscha, die insbesondere zum Anbau von Obst und Gemüse dient, ebenso wie die tschechischen Chatas in den Gartenkolonien.Der Trend der klassischen Datscha kam in den 1930er Jahren auf, damals dienten diese Kolonien als Erholungsorte für die stalinistische Mittel- und Oberschicht. „Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich der Besitz der Datscha weiter, wobei Interessierte einer sogenannten Kooperative beitreten mussten. „Unter ähnlichen Gegebenheiten wie bei uns verbreitete sich die Datscha in Russland dank des Ausbaus des öffentlichen Verkehrs (von zunächst Eisenbahn, später Bus und schließlich Auto), ebenso mit der Einführung des freien Samstags im Jahr 1967“, schreibt Bert Hoppe in seiner Publikation Hinaus zur Datscha!. Ihre Größe und die des dazugehörigen Gartens waren streng reguliert. Auch war es nicht möglich, dort dauerhaft zu wohnen.
Stephen Lowell betrachtet die Datscha als Brücke zwischen Dorf und Stadt: „Die Datscha verband in gewisser Hinsicht den grundlegenden räumlichen Widerspruch der modernen Zivilisation zwischen Stadt und Land, und das in einer Gesellschaft, in der Stadt und Land zueinander in außergewöhnlich polarisierter Beziehung standen“, erklärt er in seiner Publikation Dachas in Postwar Russia. Indes stand die Datscha als hochindividualistisches Konzept im Widerspruch zum sozialistischen kollektiven Ethos. „Zunächst wurde die Datscha als Beleg für eine wachsende Lebensqualität der breiten Massen angesehen; sobald sie jedoch eventuelle ‚bourgeoise Züge von Besitztum‘ an den Tag legte, wurde sie begrenzt. Es wurde im Gegenteil ein negatives Stereotyp der Datschas befeuert, indem sie als geschmacklose Häuschen, deren Besitzer verdächtig waren, karikiert wurden. Die Situation verbesserte sich in den 1970er Jahren, als die öffentliche Debatte das Phänomen der Datscha als Lebensstil eines Großteils der Stadtbevölkerung annahm“, ergänzt Lowell.
An eine eigene Datscha zu kommen, war nicht einfach, abgesehen von legislativen Hindernissen spielte auch der Mangel an Baumaterial oder auch die Unmöglichkeit eine Baufirma anzuheuern eine Rolle. Für zwei Generationen von sowjetischen Männern bedeutete die mit eigenen Händen erbaute Datscha einen wichtigen Moment der Selbstverwirklichung. Die Stadtwohnungen wurden zum Ort der Alltagsbewältigung, während die Datscha ein gemeinschaftliches Leben möglich machte. War die Nachbarschaft in der Stadt unwichtig, erhielt sie im Falle der Wochenendhäuser zuweilen gar eine brüderliche Bedeutung. Dies erinnert an die Situation in der sozialistischen Tschechoslowakei, wo oft im Rahmen der Gemeinschaft der Chata- oder Chalupa-Häusler*innen zusammen Feste gefeiert, Veranstaltungen oder gemeinsame Abende organisiert wurden.
Die Nutzung der russischen Datscha erinnert ans tschechische Kleingärtnern. Bert Hoppe macht deutlich, dass für die Russen die grundlegende Motivation, sich eine Datscha zuzulegen, der Mangel an bestimmten Lebensmitteln war, denn hier konnte man vor allem Obst und Gemüse für die Familie anbauen. Wie in der Tschechoslowakei wollte man auch hier seinen Urlaub und aktive Erholung in der Natur verbringen und nicht zuletzt seinen Lebensstil und -standard verbessern. Die russische Datscha war ein Ort schwerer Arbeit und der Erholung gleichermaßen. Sie wurde als ein anderer Planet wahrgenommen, wo man ein anderes Leben führen konnte.
Datschen in der DDR
Schindler-Wisten verweist noch auf die Ähnlichkeit mit den ostdeutschen Datschen, die es in Kolonien früher besonders zahlreich um Berlin herum und in der Lausitz gab. „Jeder Kleingärtner musste dem Gärtnerverein beitreten, einer Organisation mit mehr als 1,5 Millionen Mitgliedern. Um eine Mitgliedschaft bemühte man sich aus rein pragmatischen Gründen. Wenn ein DDR-Bürger sich für eine Datsche interessierte, musste er dem Verein beitreten, um einen Mietvertrag zu erhalten“, schreibt Isolde Dietrich in ihrer Publikation mit dem Titel Hammer, Zirkel, Gartenzaun. Auch hier verwischten gesellschaftliche Unterschiede, das kommunale Leben war hier überaus gesellig.Die kleineren Kinder genossen die gemeinsame Zeit mit den Eltern in den Datschen, die älteren blieben alleine in den Stadtwohnungen zurück. Eine besondere Stellung hatten Frauen, die nicht nur arbeiteten und sich um den Haushalt kümmerten, sondern auch am Wochenende die Gartenarbeit und die Verarbeitung der Ernte zu erledigen hatten. Hausgemachter Ketchup, Marmelade und Eingemachtes stehen bildhaft für den Wochenendvertreib mehrerer sozialistischer Länder. Grund dafür war auch hier der Mangel an hochwertigem Obst auf dem Markt.
Die Hütten können winterfest gemacht werden, müssen es aber nicht. Das hängt von den Heizmöglichkeiten im Winter ab. | Foto: © Žaneta Jansa Gregorová
Andere Arten von Urlaub: vom Wohnwagen bis hin zur Garage
In Europa gibt es aber auch Länder, in denen das Wochenend- und Ferienhäuslern weniger typisch war, sodass diese sich in der Rangliste der Urlaubsunterkünfte erst hinter der Tschechischen Republik finden. So etwa die Niederlande, Irland oder auch Westdeutschland.In Österreich verbreitete sich beispielsweise ein anderer Trend. Private Objekte auf landwirtschaftlichem Boden wurden von den Eigentümer*innen bereits seit Ende des Zweiten Weltkriegs an Stadtbewohner*innen vermietet. Daraus entstanden dann Berghütten und Pensionen. Diese werden hier in großer Zahl angeboten, sodass sich der Trend zu eigenständigen Ferienobjekten nicht durchsetzte.
Für die Niederlande ist nach wie vor das Reisen im Wohnmobil typisch. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs begannen die Holländerinnen und Holländer auch nach Tschechien zu fahren, wo im Norden sogar Campingplätze in niederländischer Hand betrieben werden. Auch heute sind für die Benelux-Länder Wohnmobil-Parks gängiger als Wochenendhütten. Darüber hinaus ist in den von Kanälen durchzogenen Niederlanden auch der Besitz von Hausbooten verbreitet, auf denen es möglich ist, das ganze Jahr über zu wohnen.
Die Reise im Wohnmobil ist auch in Kanada ein weitverbreiteter Trend, und das nicht nur bei Tourist*innen, sondern auch bei der einheimischen Bevölkerung. Toiletten, Zugang zu Trinkwasser, weitläufge Parkplätze und Picknicktische – die Infrastruktur ist für diese Art zu Reisen in sämtlichen kanadischen Provinzen ausgebaut, eine spezielle App empfiehlt die jeweiligen Stationen entlang der Route, und in allen Geschäften und Tankstellen gibt es einheitliche Gaskocher-Kartuschen zu kaufen. „Früher haben das wirklich alle Kanadierinnen und Kanadier gemacht. Zu Beginn des Sommers ist die ganze Familie ins Auto gestiegen, und mit einem angekuppelten kleinen Wohnanhänger sind wir tausende Kilometer weit gefahren. Und im nächsten Sommer wieder. Wer nicht gern reiste, legte sich eine Hütte oder ein Blockhaus am See zu. Genau wie wir auch war man dort in der Natur, bloß an einer Stelle“, erzählt Patsy Klyne aus dem kanadischen Manitoba und lacht, denn in der Natur sei man in Kanada eigentlich überall.
Auf Malta sind Urlaubsobjekte aus ehemaligen Hafengaragen entstanden. Ihre Anzahl geht nicht in die Statistiken ein, in denen die Zahlen des Zweiten Wohnens der jeweiligen Länder verglichen werden, denn eine Garage bleibt fürs Amt eine Garage. „Auf einer Insel, die man in einer halben Stunde mit dem Auto oder dem Bus durchquert hat, erscheint die Fahrt zur Ferienwohnung im Hafen, also einer ehemaligen Garage, recht absurd. Dennoch ist dies ein großer Trend, der durch den unablässigen Bau von Ferienappartments für Touristen durch Projektentwickler potenziert wird. Den Einheimischen bleiben also nur die Garagen im Hafen“, beschreibt mir der in Valletta lebende Martin Galea De Giovanni.
Wenn auch das Phänomen des Zweiten Wohnens verschiedene Formen annehmen kann, etwa Appartmenthäuser oder Ferienvillen am Meer, ist dennoch klar, dass dieser Trend in der Mehrheit der europäischen Länder ungeachtet des Eisernen Vorhangs und unter ähnlichen Gegebenheiten entstanden ist. Vorerst scheint er auch nicht abzunehmen.
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August 2025