Deutsche Soldaten in Litauen  „Da wo mein Spind steht, bin ich zuhause“

Deutsche Soldaten in Litauen | „Da wo mein Spind steht, bin ich zuhause“ Foto: © Denis Vėjas

Während Russland seine tödlichen Angriffe auf die ukrainische Bevölkerung fortsetzt, stationiert Deutschland eine ständige Brigade in Litauen, um die Ostgrenze der NATO zu sichern. Reporterin Marlen Busse traf dort Raphael und Danny. Die beiden gehören zu den ersten von fast 5.000 Bundeswehr-Soldat*innen, die künftig in Litauen stationiert werden sollen.

Eine historische Wende

„Ein bisschen komisch war es schon, nur mit einem Koffer bepackt am Flughafen zu stehen und zu wissen, dass man nicht nur in eine andere Stadt, sondern in ein anderes Land zieht“, erzählt mir der 42-jährige Raphael. Ich treffe ihn und den 37-jährigen Danny im April in der Kaserne in Nemenčinė etwa 25 Kilometer nordöstlich der litauischen Hauptstadt Vilnius. Hier nutzen deutsche Soldaten die bereits vorhandene Infrastruktur der litauischen Streitkräfte.

Raphael und Danny sind im Oktober 2024 nach Litauen gekommen. Nicht aus Befehl, sondern aus Überzeugung. Die beiden haben sich freiwillig für den Einsatz hier gemeldet, so wie alle deutschen Soldat*innen, die bisher in Litauen eingetroffen sind. Auf 4.800 Soldat*innen und 200 zivile Mitarbeiter*innen soll ihre Zahl bis 2027 anwachsen. Gemeinsam werden sie die 45. Brigade bilden. Noch nie zuvor hat die Bundeswehr so viele Soldaten dauerhaft im Ausland stationiert.
 
Danny und Raphael gehörten zu den ersten Soldat*innen, die in Litauen eintrafen und helfen, den Grundstein für Deutschlands erste ständige Auslandsbrigade zu legen.

Danny und Raphael gehörten zu den ersten Soldat*innen, die in Litauen eintrafen und helfen, den Grundstein für Deutschlands erste ständige Auslandsbrigade zu legen. | Foto: © Denis Vėjas

Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius hat die Stationierung der 45. Brigade in Litauen mehrfach als „Leuchtturmprojekt der Zeitenwende“ angepriesen. Den Begriff „Zeitenwende“ prägte der ehemalige Bundeskanzler Olaf Scholz, um den historischen Kurswechsel Deutschlands nach dem russischen Überfall auf die Ukraine zu beschreiben. Insgesamt stellte Scholz 100 Milliarden Euro für die Modernisierung der Bundeswehr bereit und versprach, das Ziel der NATO, 2 Prozent des BIP für Verteidigungsausgaben aufzuwenden (inzwischen 5 Prozent), zu erreichen. Diese strategische Wende markierte das Ende der traditionellen militärischen Zurückhaltung Deutschlands.
Während Deutschland weiterhin über seine Verteidigungspolitik debattiert, setzt die russische Armee ihre Angriffe auf ukrainische Zivilist*innen und Soldat*innen fort.
Seit 1991 waren rund 445.000 deutsche Soldat*innen im Ausland im Einsatz, unter anderem im Kosovo, im Irak, in Mali und im Libanon. Bei traditionellen Einsätzen werden die Truppen alle drei Monate abgelöst, in Litauen jedoch werden die Soldat*innen dauerhaft stationiert, und dafür gibt es gute Gründe. Laut dem deutschen Verteidigungsministerium ist Litauen aufgrund seiner geopolitischen Lage zwischen Belarus und der russischen Enklave Kaliningrad „der am stärksten gefährdete Staat an der Ostflanke der NATO“. Wie Pistorius sagte: „Die Sicherheit Litauens ist auch unsere [Deutschlands] Sicherheit.“

In Deutschland werden seit Jahren innenpolitische Debatten um die Bundeswehr geführt. Viele stehen höheren Verteidigungsausgaben skeptisch gegenüber. Politiker*innen und Teile der Zivilgesellschaft warnen vor einer schleichenden Militarisierung der Außenpolitik, beispielsweise durch Waffenlieferungen in Konfliktgebiete. Befürworter*innen argumentieren jedoch, dass angesichts von Bedrohungen wie Russlands Kriegsführung militärische Verantwortung und Bereitschaft erforderlich sind. Auf die Frage „Finden Sie es gut oder nicht gut, dass Deutschland in Zukunft deutlich mehr Geld für Verteidigung und die Bundeswehr ausgeben will?“ antworteten 70 Prozent der Befragten in einer Umfrage im Mai 2025 mit „gut“.

Während Deutschland weiterhin über seine Verteidigungspolitik debattiert, setzt die russische Armee ihre Angriffe fort – auf ukrainische Zivilist*innen und Soldat*innen, von denen viele keine vorherige militärische Erfahrung hatten und sich nicht freiwillig für den Soldatenberuf entschieden haben. Seit Russland im Februar 2022 seine großangelegte Invasion der Ukraine begonnen hat, wurden UN-Daten zufolge mehr als 12.000 ukrainische Zivilist*innen, darunter 650 Kinder, getötet. Die UNO fügt hinzu, dass die tatsächliche Zahl höher ist, da nur nachweisliche Todesfälle erfasst werden. Darüber hinaus erlitten die ukrainischen Streitkräfte laut dem Center for Strategic and International Studies fast 400.000 Verluste (Tote und Verwundete). Die Zahl der Getöteten und Verwundeten der russischen Armee hat laut Mediazona eine Million überschritten.
  Im April 2025 sind bereits etwa 300 deutsche Soldat*innen vor Ort in Litauen, in Nemenčinė nutzen sie bereits bestehende Einrichtungen der litauischen Streitkräfte. Bis 2027 werden die Soldaten nach Rūdninkai und Rukla verlegt – strategisch wichtige Standorte in der Nähe von Vilnius und Kaunas. Rūdninkai liegt nur 10 Kilometer von Belarus entfernt und ermöglicht eine schnelle Reaktion auf potenzielle Bedrohungen in diesem sensiblen Gebiet. Im September 2025 führte Russland die Militärübung Zapad in Belarus, nahe der Grenze zu Litauen, durch.

Eine Familienentscheidung

Raphael ist seit über 20 Jahren bei der Bundeswehr. 2002 hatte er sich freiwillig für den Wehrdienst gemeldet. In seiner Laufbahn hat er hat schon viele Dienststellen durchlaufen, von der Infanterie bis zur Logistik. In Litauen bekleidet er, wie auch zuvor in Deutschland, den Posten des Materialdispositionsfeldwebels. Damit ist er zuständig für die Urkundenverwaltung und die „zentrale und dezentrale Beschaffung“. Er verbucht also zum Beispiel das militärische Material und weist es den entsprechenden Soldat*innen zu. Aktuell stehe aber die zivile Beschaffung im Vordergrund – vom Bleistift bis zur Küchenausstattung. „Jetzt in der Anfangszeit ist das sehr viel, wir haben schließlich bei null angefangen – das ist fordernd, aber erfüllend.“
 
NARA-Reporterin Marlen Busse trifft Raphael und Danny im April 2025 in einem Café in der Kaserne der litauischen Armee in Nemenčinė, wo die deutschen Truppen vorerst noch stationiert sind.

NARA-Reporterin Marlen Busse trifft Raphael und Danny im April 2025 in einem Café in der Kaserne der litauischen Armee in Nemenčinė, wo die deutschen Truppen vorerst noch stationiert sind. | Foto: © Denis Vėjas

Dass es für ihn nach Litauen geht, ergab sich für Raphael erst wenige Wochen vor Reiseantritt. Weil ein anderer Soldat abgesagt hatte, rückte er nach. Er verbrachte vor Dienstantritt seinen Urlaub in Litauen, um das Land zu erkunden, und fand ein Haus zur Miete.

Danny kam mit seiner Frau und seinen Kindern nach Litauen. Hätte seine Familie nicht zugesagt mitzukommen, wäre auch er nicht nach Litauen gegangen, erzählt er mir. Als Fahrdienstverantwortlicher organisiert Danny die gesamte Fahrzeuglogistik vor Ort. „Ich bin einer der wichtigsten Ansprechpartner, wenn jemand irgendwo hinwill.“ Danny hat 2010 in Strausberg bei Berlin seinen Grundwehrdienst geleistet. Nach einer Versetzung nach Wunstorf verschlug es ihn in den zivilen Sektor; er arbeitete als Konditor und als Dachdecker, bevor er 2014 zur Bundeswehr zurückkehrte. In Hannover war er zehn Jahre lang bei den Feldjägern, absolvierte zwei Auslandseinsätze und kam dann im vergangenen Jahr nach Litauen.

Einige Tage später traf ich Dannys Frau Jacky in ihrem Haus in der Nähe von Vilnius, wo die Familie mit den beiden Töchtern, Hund Apollo und Katze Peanut lebt. Jacky hat den Umzug nach Litauen „ziemlich entspannt“ aufgenommen. Sie hätten schon öfter darüber gesprochen, dass Danny gerne mal ins Ausland gehen möchte. Mit einer Bedingung: „Wenn, dann kommen wir alle mit“, sagt Jacky. Über mehrere Jahre eine Fernbeziehung zu führen, kam für das seit zwölf Jahren verheiratete Paar nicht infrage.

Die fünf- und neunjährigen Töchter fanden die Nachricht über den Umzug nach Litauen zunächst allerdings nicht so positiv. „Die Schule verlassen, den Kindergarten verlassen, die Freunde verlassen – das konnten sie sich noch gar nicht vorstellen“, erzählt Jacky. Einige Tränen sind geflossen. Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet. „Die beiden haben hier gut Anschluss gefunden und sind sehr glücklich“, sagt Danny. Wenn die Sehnsucht nach dem alten Zuhause dann doch mal groß ist, lindern Videocalls nach Deutschland das Heimweh. „Sie gehen hier super gerne zur Schule“, fügt Jacky hinzu. Mit der internationalen Schule sind nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern sehr zufrieden. Sie sei besser als die in Deutschland. „Die Schule ist super ausgestattet und das Kind steht im Vordergrund.“
  In Deutschland hat Jacky als Inklusionskraft an einer Grundschule gearbeitet. Wegen des Umzugs musste sie ihren Job kündigen. Allerdings mit der Option, jederzeit wieder einsteigen zu können, wenn es irgendwann zurück nach Deutschland geht. „Das hat die Entscheidung nochmal leichter gemacht.“ Weil sie allerdings kein entsprechendes Studium hat, darf Jacky in Litauen ihrem Job als Erzieherin noch nicht nachgehen. Deshalb möchte sie bald ein Fernstudium machen, um in Litauen dann auch beruflich Fuß fassen zu können.

Für die Familie ist Litauen ein „Aufenthalt auf Zeit“. Ihr Haus in Deutschland haben sie behalten. Danny ist erstmal für drei Jahre in Litauen stationiert. „Ich würde aber auch gerne verlängern“, erzählt er, und Jacky hat nichts dagegen. In Litauen haben sie vor allem die Natur und die Entspanntheit der Leute begeistert. Zwar sei die Sprache manchmal noch eine Herausforderung, zum Beispiel bei Arztterminen, aber grundsätzlich komme man hier mit Englisch sehr gut zurecht.
Raphael und Danny sagen, dass sie sich in Litauen respektiert fühlen, anders als in Deutschland, wo das Militär nach wie vor ein gemischtes Ansehen genießt.
Dass der Krieg nicht allzu weit entfernt ist, hat auch Jacky im Hinterkopf. Auch die Kinder wissen, warum sie hier sind. „Aber wir lassen uns davon nicht einschränken und leben unser Leben ganz normal weiter. Wenn es eskaliert, haben die Kinder und ich jederzeit die Möglichkeit, unsere Zelte hier abzubrechen“, sagt Jacky. Wie geht sie mit dem Gedanken um, dass Danny möglicherweise irgendwann einmal in einen Kampfeinsatz muss? „Er bekommt ja eine gute Ausbildung und weiß, was er dann tut. Hart wäre es natürlich trotzdem, wenn wir gehen und ihn hier zurücklassen müssten.“ Jacky hat im Vorfeld bereits mit der Militärseelsorge gesprochen, die ihr in einem solchen Fall Unterstützung zugesichert haben. „Aber wir können es nur auf uns zukommen lassen. Das gehört dazu, wenn man die Frau eines Soldaten ist.“

Ein herzliches Willkommen

Zur offiziellen Amtseinführung der deutschen Brigade am 22. Mai 2025 reiste Bundeskanzler Friedrich Merz nach Vilnius. „Unser gemeinsamer Frieden kennt keine geografischen Grenzen – er endet dort, wo wir aufhören, ihn zu verteidigen“, erklärte Merz. Hunderte Menschen nahmen an der Zeremonie auf dem Kathedralenplatz teil.

Raphael und Danny sagen, dass sie sich in Litauen respektiert fühlen, anders als in Deutschland, wo das Militär nach wie vor ein gemischtes Ansehen genießt.

Raphael war bereits dreimal in Afghanistan im Einsatz und habe sich vor Zivilisten jedes Mal dafür rechtfertigen müssen. Nicht selten bekommt er Dinge an den Kopf geworfen, die ihn verletzen. Ähnliche Erfahrungen hat Danny gemacht. „In Berlin wurde ich während meiner Grundwehrzeit sogar mal bespuckt“, erinnert er sich. In Deutschland gebe es deshalb teilweise sogar die Anweisung, dass das Tragen der Uniform außerhalb des Dienstes nicht gestattet ist. „Ich habe schon das ein oder andere Mal darüber nachgedacht, ob es überhaupt Sinn ergibt, die Uniform für eine Bevölkerung anzuziehen, die uns eigentlich gar nicht will“, gesteht Raphael.
 
In Deutschland wurde Raphael wegen seines Militärdienstes oft skeptisch beäugt. In Litauen fühlt er sich besser akzeptiert: „Man kann hier Soldat sein und fühlt sich wohl in seiner Haut.“

In Deutschland wurde Raphael wegen seines Militärdienstes oft skeptisch beäugt. In Litauen fühlt er sich besser akzeptiert: „Man kann hier Soldat sein und fühlt sich wohl in seiner Haut.“ | Foto: © Denis Vėjas

In Litauen ist das anders. „Beim Military Armed Forces Day zum Beispiel haben mir Menschen auf Litauisch und Deutsch zugerufen: ‚Schön, dass ihr da seid!‘ – Das gibt mir ein gutes Gefühl. Wenn man in die glücklichen Gesichter schaut, wenn das Militär durch die Straßen zieht und uns für unsere Arbeit gedankt wird, ist das natürlich ein ganz anderes Bild als in Deutschland“, sagt Danny. Die Menschen in Litauen zeigen ihre Wertschätzung, indem sie Soldaten auch mal an der Kasse vorlassen oder ihnen beim Friseurbesuch die Hand schütteln. „Man kann hier Soldat sein und fühlt sich wohl in seiner Haut“, sagt Raphael.

Es gibt einen Grund für diesen starken Unterschied zwischen den beiden Ländern. Professor Margarita Šešelgytė, Direktorin des Instituts für Internationale Beziehungen und Politikwissenschaft an der Universität Vilnius, erklärt: „Wir sind ein kleines Land, das sich gegen ein sehr großes und sehr aggressives Land behaupten muss.“ Für Litauen, ein Land mit 2,8 Millionen Einwohner*innen und einer langen Geschichte russischer Besatzung, ist die Unterstützung durch fähige und engagierte europäische Verbündete von entscheidender Bedeutung.

Šešelgytė betont: „Wenn Russland unsere Grenze überschreitet, kann es das Land in relativ kurzer Zeit überrennen. Und wir wissen, dass Russland die Gebiete besetzt – wir haben gesehen, was in Butscha und anderen ukrainischen Städten passiert ist. Unser Ziel ist es daher, uns an unserer Grenze zu verteidigen und die Russen nicht passieren zu lassen. Dafür brauchen wir jedoch zusätzliche Streitkräfte und Ausrüstung.“

Sie fügt hinzu, dass die Erfahrungen Litauens ein tiefgehendes Verständnis für die Notwendigkeit starker Verteidigungsinvestitionen geprägt haben: „Andernfalls könnte man Unabhängigkeit und Souveränität verlieren.“

Deutsche Soldaten waren zuletzt vor mehr als 80 Jahren in Litauen, in einer gänzlich anderen historischen Epoche. Während des Zweiten Weltkriegs, im Juni 1941, marschierte Nazi-Deutschland in die Sowjetunion ein, darunter auch Litauen, das zu dieser Zeit dem Sowjetblock einverleibt war. Viele Litauer*innen begrüßten die Deutschen zunächst als Befreier und hofften auf ein Ende des sowjetischen Terrors. Diese Hoffnungen konnten nicht weiter von der Wirklichkeit entfernt sein: Nazi-Deutschland errichtete ein brutales Besatzungsregime, das für die Ermordung von über 90 Prozent der litauischen Jüdinnen und Juden verantwortlich war – mehr als 200.000 Menschen.

Auch andere Gruppen litten unter der Nazi-Herrschaft. Mindestens 500 Roma – etwa ein Drittel der Roma-Bevölkerung Litauens – wurden getötet. Zwischen 1.200 und 1.500 Psychiatriepatient*innen wurden ausgehungert oder starben infolge unmenschlicher Behandlung und medizinischer Misshandlung. Paneriai in der Nähe von Vilnius war Schauplatz von einigen der größten Massenhinrichtungen in Europa. Bis zu 70.000 Menschen wurden dort ermordet, die überwiegende Mehrheit davon Jüdinnen und Juden, zusammen mit mindestens 7.500 sowjetischen Kriegsgefangenen und etwa 2.000 Pol*innen, vor allem Angehörigen der Intelligenz. Politische Gegner*innen und Menschen, die sich gegen die Nazi-Herrschaft auflehnten oder jüdischen Mitbürger*innen halfen, wurden ebenfalls verhaftet, deportiert und von der Gestapo und kollaborierenden litauischen Polizeikräften hingerichtet.

Heute steht die Präsenz der deutschen Bundeswehr in Litauen in starkem Kontrast zum Zweiten Weltkrieg: Deutschland ist nicht mehr Besatzungsmacht, sondern ein wichtiger sicherheitspolitischer Verbündeter.

Im Juni dieses Jahres beteiligten sich Soldaten der Brigade 45 an der Restaurierung eines historischen jüdischen Friedhofs in Merkinė, um ihre Anerkennung der deutschen Vergangenheit zum Ausdruck zu bringen. In seiner Rede bei dieser Veranstaltung betonte der deutsche Botschafter in Litauen, Dr. Cornelius Zimmermann: „Die historische Verantwortung Deutschlands für die Verbrechen der Nazis ist unbestreitbar.“

Blick nach vorn

Heimweh hatten Danny und Raphael bisher noch nicht. „Als Soldat wird von dir verlangt, dass du deutschlandweit überall eingesetzt werden kannst. Und ob ich jetzt innerhalb Deutschlands ein paar Stunden entfernt stationiert werde oder mich einmal in den Flieger setze und hier arbeite, macht für mich keinen Unterschied“, sagt Danny. „Ich kann überall leben. Da wo mein Spind steht, bin ich zuhause.“

Fehlt den beiden in Litauen trotzdem etwas? „Mettbrötchen“, sagen Raphael und Danny fast gleichzeitig und lachen.
 
Der Einsatz der Bundeswehr in Litauen ist Teil des Engagements Deutschlands für die kollektive Verteidigung der NATO. Litauen, das zwischen Belarus und der russischen Enklave Kaliningrad liegt, gilt als Schlüsselstandort für die regionale sicherheitspolitische Zusammenarbeit.

Der Einsatz der Bundeswehr in Litauen ist Teil des Engagements Deutschlands für die kollektive Verteidigung der NATO. Litauen, das zwischen Belarus und der russischen Enklave Kaliningrad liegt, gilt als Schlüsselstandort für die regionale sicherheitspolitische Zusammenarbeit. | Foto: © Denis Vėjas

Danny sagt, seine Motivation sei es, dem Land zu dienen, auch in kritischen Zeiten. „Ich wollte schon immer Uniform tragen – Polizist, Feuerwehrmann, irgendwas mit Verantwortung. Bei der Bundeswehr bin ich hängengeblieben.“ Und ja, Geld spiele auch eine Rolle: „Ich möchte meinen Kindern einfach das Bestmögliche bieten.“
Kein Familienvater würde seine Kinder hierher bringen, wenn er nicht überzeugt wäre, dass es sicher ist.“
Ähnlich ist es bei Raphael. „Ich würde jederzeit wieder unterschreiben.“ Er betont das große Ganze: „Wir tun das, was kein anderer in der Bundesrepublik tut. Wir würden im Zweifel das höchste Gut geben, was wir haben – unser Leben.“ Ob er sich selbst als mutig bezeichnen würde? „Mut ist relativ. Es gibt Kollegen, die haben Angst vor Spinnen, aber würden in den Krieg ziehen. Also ich denke schon, dass man das als mutig bezeichnen kann“, so Raphael.

Der Krieg in der Ukraine ist nah – geografisch und emotional. Gefragt, ob er Angst habe, sagt Raphael: „Respekt, ja. Angst, nein. Wir sind Soldaten. Mit Angst kann man den Job nicht machen.“ Wahrscheinlich gebe es auch deshalb nicht so viele Menschen, die diesen Job machen möchten, vermutet er. Derzeit dienen gut 181.000 Soldat*innen in der deutschen Bundeswehr. Nicht genug, wie aus dem diesjährigen Wehrbericht hervorgeht. Eigenen Schätzungen zufolge beziffert die Bundeswehr ihren Bedarf auf mehr als 200.000 Soldat*innen bis 2031. Dieses Ziel wird schwierig zu erreichen sein, da die junge Generation zögert, sich den Streitkräften anzuschließen, selbst nach – oder gerade wegen – der großangelegten russischen Invasion der Ukraine.

Seit der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 gibt es in Deutschland keinen automatischen Nachschub von Rekrut*innen mehr, was auch die freiwillige Rekrutierung erheblich erschwert. Hinzu kommt, dass die Bundeswehr mit attraktiveren zivilen Arbeitgebern um Fachkräfte konkurriert, beispielsweise im Technologiebereich. Auch die Einschätzung von Militärs hinsichtlich der Kriegsgefahr spielt eine Rolle für ihr Engagement.

„Die [Gefahrenlage] ist heute natürlich deutlich höher als noch vor wenigen Jahren. Inwieweit uns das hier [in Litauen] direkt betreffen wird, müssen wir abwarten“, sagt Danny. „Wir wissen um die geografische Lage, wir sind uns bewusst, dass der Krieg überschwappen kann“, fügt Raphael hinzu. Dennoch: „Kein Familienvater würde seine Kinder hierher bringen, wenn er nicht überzeugt wäre, dass es sicher ist“, betont Danny. „Ich persönlich fühle mich sehr sicher und habe keine Bedenken, dass der Krieg hierherkommt.“

Für Raphael steht fest: „Ob aktiv oder als Reservist – ich will nichts anderes mehr machen. Ich hoffe, dass ich so lange wie möglich hierbleiben kann.“ Für die Zukunft wünschen sich die beiden vor allem Gesundheit und Frieden. „In ein paar Jahren möchte ich immer noch hier sein – und zwar ohne Krieg“, sagt Danny voller Überzeugung. „Und ich hoffe, dass es nicht zu einem Einsatz kommt.“

Perspectives_Logo Dieser Artikel erschien zuerst im litauischen Onlinemagazin NARA, einer unserer Medienpartner für PERSPECTIVES – dem neuen Label für unabhängigen, konstruktiven, multiperspektivischen Journalismus. JÁDU setzt dieses von der EU co-finanzierte Projekt mit sechs weiteren Redaktionen aus Mittelosteuropa unter Federführung des Goethe-Instituts um. >>> Mehr über PERSPECTIVES

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