Was wäre, wenn du ins Exil gezwungen wärst, um weiterhin die Kunst zu machen, an die du glaubst? Vor die Wahl gestellt, zu bleiben und sich den Diktaten der Zensur zu stellen oder zu gehen, entschieden sich Mar und Ousmane für Letzteres. Ihr Land und ihre Heimat tragen sie seitdem im Herzen. Seit ihrer Ankunft im kalten Brüssel macht Diam Min Tekky als Gruppe mit Konzerten bis Workshops weiter, um allen Mauretaniern eine Stimme zu geben.
Seit über zwanzig Jahren sind Mar Bâ und Ousmane Sow die Stimme einer mauretanischen Jugend, die allzu oft zum Schweigen gebracht wurde. Um weiterhin frei rappen zu können, mussten sie ins Exil. Zwischen dem Brüsseler Kopfsteinpflaster und der lebendigen Erinnerung an ihr Heimatviertel Sebkha verwandeln sie nun Schmerz und Nostalgie in Kunst. Ihre Gruppe Diam Min Tekky – „diejenigen, die mit Mut sprechen“ – ist weit mehr als ein musikalisches Projekt: es ist ein Akt des Widerstands.Wurzeln in Sebkha, Zuspruch in Brüssel
In einer kleinen gepflasterten Straße in Brüssel vibriert ein Proberaum vom Bass eines rauen Beats. Auf einem Hocker sitzend, kritzelt Mar in ein abgenutztes Notizbuch. Neben ihm schließt Ousmane die Augen, vertieft in den Rhythmus. Fernab der staubigen Straßen Nouakchotts schreiben die beiden Rapper weiter an der Geschichte eines vergessenen Volkes.Geboren Ende der 90er-Jahre im sechsten Bezirk der mauretanischen Hauptstadt, wuchsen sie in Sebkha auf, einem Viertel, in dem soziales Elend, ethnische Spannungen und sprudelnde Kreativität nebeneinander existieren. Ihr erster Track „Stop à la drogue“ („Stoppt Drogen“), im DIY-Stil aufgenommen, offenbarte bereits eine Dringlichkeit: zu sprechen, anzuprangern, durch Worte zu überleben.
„Die Wahrheit zu sagen kann teuer werden“
In Mauretanien wird künstlerisches Engagement schnell als Bedrohung wahrgenommen. Ihr Name, Diam Min Tekky, wird zum Synonym für Gehorsamsverweigerung. 2007 wurde Mar von einem Polizisten brutal angegriffen, als er versuchte, Anzeige wegen Körperverletzung zu erstatten. Ihre ersten beiden Alben, Gonga (Wahrheit) und Gonga II, wurden zensiert. Sie sprechen Tabuthemen offen an: die Hinrichtung schwarzer Soldaten, das Verschwinden von Menschen und Flüchtlingslager.Angesichts von Zensur und Einschüchterung entschieden sie sich für das Exil. „Wir konnten nicht mehr atmen“, sagt Mar. „Wir mussten gehen, um weitermachen zu können.“
Exil als künstlerisches Sprungbrett
Bei ihrer Ankunft in Brüssel wurden sie zunächst mit Kälte, Einsamkeit, Unsichtbarkeit und den Schwierigkeiten unvorbereiteter Ankömmlinge konfrontiert. Sie waren den Anforderungen der Anpassung und der Suche nach einer neuen Identität in einem europäischen Kontext der Ablehnung des Anderen angesichts einer immer größeren Migrationsbewegung ausgesetzt. Es ist gut, angekommen zu sein, die „Überfahrt“ geschafft zu haben, doch der eigentliche Kampf begann für diese beiden Künstler erst als deren europäischer Traum mit der harten Realität kollidierte: dem Exil.Doch das Exil wurde schnell zum Katalysator. „Wir verstanden, dass wir etwas Einzigartiges hatten: unsere Geschichte“, erklärt Ousmane. In der belgischen Hauptstadt veränderte sich ihre Musik. Ihre Beats vermischten sich mit Bao Sissakhos Kora und Daouda Thiams Hoddu. Die Grundlage bleibt dieselbe: die Geschichten von Sebkha, der Schmerz der Abwesenheit, der Wunsch nach Gerechtigkeit. Doch ihre Perspektive ist nun klarer und umfassender.
Eine Kunst der Erinnerung
Im Jahr 2022 veröffentlichten sie „30 Ans“ („30 Jahre“), ein Album, das den Opfern der ethnischen Säuberungen der 1990er-Jahre Tribut zollt. Ein Trauma, das die schwarzen Mauretanier erlebten, mit der Hinrichtung Hunderter Soldaten und der Deportation Zehntausender weiterer nach Senegal und Mali.Im Exil entstanden, ist diese Platte ein Werk der Erinnerung, ein Aufschrei gegen das Vergessen. Bei jedem Konzert lassen sie ein Stück Mauretaniens wieder aufleben: die Wolof-Sprache, die Slogans der Ghettos, die Lieder auf Fula, die Wut auf das System, aber auch die Zärtlichkeit der Arbeiterviertel.
Ihre Musik wird zu einem Ort lebendiger Erinnerung, einer Brücke zwischen Generationen und Kontinenten.
Erschaffen trotz Distanz
Nach über zehn Jahren Abwesenheit kehrte die berühmte Rap-Gruppe, bekannt für ihr Engagement für soziale Gerechtigkeit, am 2. März 2022 nach Mauretanien zurück, um dort ein Konzert zu geben. Die Gruppe wollte dabei ihr drittes Musikalbum mit dem Titel „30 ans“ präsentieren, um den 28 ermordeten Soldaten und den Witwen und Waisen der Deportationen von 1989 zu gedenken.Doch der Gruppe, die eine Genehmigung erhalten hatte, wurde der Auftritt dennoch verboten. Eine Kehrtwende, die daran erinnert, dass Mauretanien noch nicht von seinen Dämonen geheilt ist.
„Hier [in Belgien] sagt uns niemand, dass wir mit dem Rappen aufhören sollen“, sagt Mar. „Aber wir bleiben weit weg. Wir vermissen Hochzeiten, Beerdigungen, vertraute Gesichter.“ Diese Abwesenheit prägt ihre Songs, wie zum Beispiel Clandestinor Adouna O Welanie („Ich mag diese Welt“). Dennoch lehnen sie eine Opfermentalität ab.
In Brüssel veranstalten sie Workshops für junge Menschen mit Migrationsgeschichte. Belgier, aber auch Afrikaner aus Ländern südlich der Sahara oder einfach Weltbürger arbeiten mit afrikanischen und europäischen Künstlern zusammen. Die Gruppe spendet einen Teil ihrer Einnahmen an mauretanische Geflohene im Lager Mbera in Mali und im Lager Dagana im Senegal, während der andere Teil ihnen ermöglicht, sich selbst zu versorgen.
Zwischen zwei Welten, Worte als Zuflucht
In ihrem neuesten Musikvideo, das an den Kais von Brüssel gedreht wurde, bewegen sich Mar und Ousmane zwischen Graffiti und Stille. Ihr Blick trägt noch immer Wut, aber auch die Weisheit der zurückgelegten Reise.Ein Weg voller Hindernisse, ungewiss, aber nicht nutzlos, der aus dem Leid entstanden ist, die Familie, die Freunde aus der Kindheit, die Heimat im Stich zu lassen und sich an einen neuen Lebensstil anpassen zu müssen.
Dort, wo sie vor fast einem Jahrzehnt zum ersten Mal ankamen, gab es für sie keine feste Nachbarschaft mehr wie in Sebkha, sondern eine klare Mission: zu schaffen, zu erinnern und zum Schweigen gebrachten Stimmen Gehör zu verschaffen. Das Exil nahm ihnen einen Teil von sich, bot ihnen aber auch die Freiheit, zu dem zu werden, was sie schon immer waren: Dichter der Wahrheit, Träger der Erinnerung, Männer, die aufrecht stehen.
August 2025