Seit Ausbruch des Syrienkriegs 2011 kamen Hunderttausende Syrer nach Europa, vor allem nach Deutschland. Hochqualifizierte Syrer mussten sich an das neue Land anpassen, doch wie gelang ihnen das angesichts sprachlicher, kultureller und bürokratischer Hürden? Laila Kaddah beleuchtet eine inspirierende Initiative die Akademiker*innen aus Syrien zusammenbringt und ihnen Unterstützung bietet.
Syrer im Exil gelten als eine der größten Flüchtlingsgruppen der jüngeren Geschichte. Seit Kriegsausbruch 2011 sind Hunderttausende von ihnen nach Europa gekommen, insbesondere nach Deutschland. Für das Jahr 2024 beziffert das Statistische Bundesamt die Zahl der in Deutschland lebenden Syrer auf 1,3 Millionen. Syrer machen somit den größten Teil der arabischen Community in Deutschland aus. Entsprechend großen Zulauf haben Netzwerke, die sich um die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Belange der Syrer in der Diaspora kümmern.Neue Netzwerke und Brücken
Neben dem Wunsch, sich in die deutsche Gesellschaft einzugliedern, haben viele geflüchtete Syrer auch das Bedürfnis, die eigene Sprache und Kultur zu bewahren. Das hat zur Gründung zahlreicher Initiativen und Organisationen in der Diaspora geführt, deren Vernetzung inzwischen bis ins Herkunftsland Syrien reicht.
Bereits vor dem Krieg hatten Syrer, die in Deutschland leben, ein paar Vereine gegründet, doch ab 2011 änderte sich das Bild drastisch. Mittlerweile existieren rund 84 syrische Vereine und Institutionen in Deutschland, darunter auch Vereine für Kurden sowie Forschungs- und Kulturzentren, die in den Bereichen Soziales, Kultur, Bildung und humanitäre Hilfe aktiv sind. Die Aktivitäten sollen nicht nur die Kommunikation zwischen den Syrern und die Pflege der Muttersprache erleichtern, sondern auch helfen, die Identität in der Diaspora zu wahren und gleichzeitig die Integration in die deutsche Gesellschaft voranzutreiben.
Der Verband Deutsch-Syrischer Hilfsvereine e. V.
Die wachsende Zahl syrischer Vereine in Deutschland erforderte die Gründung eines Dachverbands, der die Arbeit der Vereine unterstützt und koordiniert. 2013 wurde deshalb der Verband Deutsch-Syrischer Hilfsvereine e. V. (VDSH) ins Leben gerufen, dem mittlerweile 32 syrische Vereine angehören.Der VDSH will die Mitgliedsvereine in einem starken Netzwerk zusammenführen und beim Berufsberatungsangebot sowie in organisatorischen und finanziellen Belangen unterstützen. Zudem ist der Verband bestrebt, die gesellschaftliche Integration der Mitgliedsvereine durch eine gezielte Kontaktaufnahme mit Entscheidungsträgern zu beflügeln, innovatives Sozialunternehmertum zu fördern und einen sicheren legalen Geldtransfer nach Syrien zu ermöglichen.
Die Deutsch-Syrische Forschungsgesellschaft: Von der Idee eines Einzelnen zur effizienten akademischen Einrichtung
Speziell an syrische Studierende und Wissenschaftler in Deutschland richtet sich das Angebot der Deutsch-Syrischen Forschungsgesellschaft (DSFG), die von syrischen Wissenschaftlern und deutschen Wissenschaftlern syrischer Herkunft gegründet wurde. Es handelt sich um ein nichtstaatliches Non-Profit-Projekt, dem ursprünglich die Idee zugrunde lag, dass sich syrische Forscher zusammenschließen sollten, um sich Gehör zu verschaffen. Aus dieser Idee entwickelte sich nach und nach ein weitverzweigtes Netzwerk zur Unterstützung von Akademikern.Einzelinitiative und persönliche Erfahrungen
Die Idee, die zur Gründung der Deutsch-Syrischen Forschungsgesellschaft führte, ergab sich aus der veränderten Situation ab 2011, als die Zahl der syrischen Akademiker im Hochschulsektor und in der Industrieforschung spürbar anstieg. Prof. Dr. Hani Harb, der letztlich als Gründer der DFSG gelten kann, hatte erkannt, wie wichtig es war, eine institutionelle Struktur aufzubauen, die syrische Akademiker vernetzt, ihnen Gehör verschafft und ihnen zu mehr Teilhabe am Forschungs- und Wissenschaftsbetrieb in Deutschland verhilft. 2016 legte Prof. Dr. Hani Harb dann schließlich den Grundstein für die Deutsch-Syrische Forschungsgesellschaft, indem er eine entsprechende Satzung ausformulierte, woraufhin sich ihm recht schnell acht weitere syrische Forscher anschlossen, um mit ihm gemeinsam eine Aufbauorganisation und eine klar kommunizierbare Vision auszuarbeiten, sodass bereits Ende 2016 die Eintragung als Verein erfolgen und im Frühjahr 2017 die Arbeit offiziell aufgenommen werden konnte. Seit der Gründung arbeitet die Deutsch-Syrische Forschungsgesellschaft schwerpunktmäßig an einer effizienten Vernetzung von syrischen Akademikern in Deutschland, um ihnen mit Rat und Tat beistehen zu können, insbesondere auf den ersten Etappen ihres wissenschaftlichen Werdegangs. Später vergrößerte der Verein seinen Wirkungs- und Einflussbereich durch vergleichbare Projekte in Syrien.
Vielfältige Herausforderungen: Bürokratie, Finanzen, Neutralität
Auch die Geschichte vom Durchsetzungsvermögen des Prof. Dr. Hani Harb zeugt von vielfältigen Herausforderungen. Vor allem mit der Bürokratie in Deutschland hatte die Deutsch-Syrische Forschungsgesellschaft seit ihrer Gründung immer wieder Probleme. Das fing bereits mit der Eintragung ins Vereinsregister an. Auch die Finanzierung gestaltet sich nach wie vor schwierig. Dr. Yamen AlSalka verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass das Wort „syrisch“ im Vereinsnamen potenzielle Geldgeber oft abgeschreckt habe, weil sie rechtliche Konsequenzen wegen der Sanktionen gegen Syrien befürchteten, obwohl die DSFG ja ganz offiziell in Deutschland registriert ist. Es sei deshalb bisweilen einfacher gewesen, Einzelpersonen als Geldgeber zu finden. Eine weitere Herausforderung hatte anfangs auch darin bestanden, zu gewährleisten, dass der Verein für alle syrischen Akademiker offen ist, unabhängig von politischen, ethnischen und religiösen Fragen, so Dr. Yamen AlSalka. Der Verein hat sich deshalb als überparteilich und ethnisch neutral definiert, um alle, die das wünschen, vorbehaltlos unterstützen zu können.
Projekte und Erfolge: Anhaltende Unterstützung, allen Widrigkeiten zum Trotz
Zu den zahlreichen ambitionierten Projekten und Programmen der Deutsch-Syrischen Forschungsgesellschaft zählt nach Auskunft von Dr. Yamen AlSalka unter anderem auch ein Mentoring-Programm, das vor einigen Jahren ins Leben gerufen wurde und inzwischen über 100 freiwillige Mentoren einbindet. Das Programm bringt syrische Studenten und Forscher mit syrischen Berufstätigen und Experten in Deutschland zusammen, um Ersteren den Zugang zu Hochschulen und Stipendien zu erleichtern und ihnen zu helfen, sich in die deutsche Hochschul- und Berufslandschaft zu integrieren. Allein im Jahr 2024 konnten 44 Studierende aus Syrien von diesem Programm profitieren.
Parallel dazu organisiert der Verband virtuelle Qualifizierungs-Workshops und Akademiker-Info-Webinare. In Zusammenarbeit mit der Lernplattform DataCamp können hier zum Beispiel 100 kostenfreie Stipendien pro Halbjahr für EDV-Kurse bereitgestellt werden, um die entsprechenden Kompetenzen der Forschenden und Studierenden auszubauen.
Auch die Verbesserung der Sprachkompetenz, die eine wichtige Voraussetzung für den Hochschulzugang ist, zählt zu den Hauptanliegen der DSFG. Abgerundet wir das entsprechende Angebot durch die Finanzierung von Sprachtests im Rahmen sogenannter Sprachprüfungsstipendien. Um die Erfahrungen syrischer Akademiker in aller Welt zu dokumentieren, wurde ferner das Projekt „Syrian Academic Compass (SAC)“ entwickelt, das vor allem als Orientierungshilfe für Nachwuchswissenschaftler dienen soll. Darüber hinaus versucht der Verband auch mit deutschen Einrichtungen zu kooperieren, zum Beispiel mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), dessen Hilde Domin-Stipendienprogramm auch für syrische Studierende interessante Möglichkeiten bietet.
Nicht unerwähnt möchte Dr. Yamen AlSalka das „Erste Arabische Wissenschaftssymposium in Deutschland (ASSG)“ lassen, das 2024 mit über 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Hannover stattfand, wobei die Mehrzahl der Teilnehmenden syrischer Herkunft waren, neben Teilnehmenden aus anderen arabischen Ländern und aus Deutschland. Ziel dieses Symposiums war es, ein effizientes arabisches Akademiker-Netzwerk in Deutschland zu formieren, um sich in wissenschaftlichen Fragen und im Entscheidungsfindungsprozess vereint positionieren zu können. Eine Neuauflage des Symposiums soll es im Oktober 2025 in Mainz geben, wo man sich bei einem zweitägigen Treffen vor allem auf die einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen konzentrieren möchte.
Mit Blick auf die Reaktivierung akademischer Strukturen in Syrien hat die Deutsch-Syrische Forschungsgesellschaft 2025 ein akademisches Austauschprogramm gestartet, und zwar zunächst in Form einer Veranstaltungsreihe an syrischen Hochschulen unter Beteiligung ehrenamtlich referierender syrischer Experten aus Deutschland. Des Weiteren ist in Zusammenarbeit mit der Fakultät für Architektur an der Universität Damaskus die Betreuung von 16 studentischen Abschlussarbeiten durch Dozierende vor Ort und durch syrische Architekten aus Deutschland im Rahmen eines Joint-Supervision-Projekts vorgesehen. Außerdem beteiligt sich die DSFG aktuell an der Wiederbelebung des syrischen Bibliothekswesens im Rahmen einer Initiative, die darauf hinausläuft, dass syrische Hochschulen Fachliteratur von deutschen Hochschulen erhalten. Zu diesem Zweck gingen kürzlich bereits Hunderte von Büchern auf Deutsch und auf Englisch von der FU Berlin an die Sprachfakultäten mehrerer syrischer Universitäten. Daneben befindet sich gerade ein Projekt zur Wiederinbetriebnahme der Kinderabteilung in der Syrischen Nationalbibliothek in Vorbereitung.
Aktives Leben in der Diaspora und Wahrung der Identität
Das Leben im Exil fällt vielen Syrern leichter, wenn sie aktiv werden und effiziente Netzwerke aufbauen, die ihre Anliegen publikmachen und ihre Interessen in den Bereichen Bildung und Kultur und in zivilgesellschaftlichen Belangen vertreten, trotz der schwierigen Umstände und trotz zahlreicher Hindernisse. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es die Syrer in der Diaspora nicht dabei bewenden lassen wollen, sich an die neue Situation anzupassen, sondern dass sie auch Wege suchen, um ihre Sprache und ihre Identität zu wahren und um die Gesellschaft, in der sie nun leben, zu bereichern. Netzwerke in der Diaspora sind deshalb nicht bloß überlebenstechnische Maßnahmen. Sie haben sich vielmehr zu dynamischen Plattformen entwickelt, die Identitäten neu entwerfen und neue Brücken schlagen, nicht nur zwischen der Heimat und dem Exil, sondern auch zwischen Vergangenheit und Zukunft. Neben zahlreichen anderen Vereinen und Organisationen ist auch die Deutsch-Syrische Forschungsgesellschaft ein lebender Beweis dafür, dass man Einzelinitiativen in effizienten Institutionen bündeln kann, um Syrern spürbar zu helfen.
August 2025