Algerien

Sep. 2018

Migration  2 min Omar, 29 Jahre

Ein Mann, Omar, am menschenleeren Martyrs‘ Square in Algier an einem Abend im Ramadan
Omar auf der Place des Martyrs, Algier, an einem Abend des Ramadan. ©Goethe-Institut/Leïla Saadna
Ich bin seit fünf Monaten in Algerien. Ich bin gekommen, um einen Asylantrag zu stellen, denn in meinem Land Guinea, in Conakry, wird Homosexualität nicht akzeptiert. Dort war ich ehrenamtlich in einer NGO tätig, die sich im Kampf gegen Aids engagiert und indirekt Schwulen hilft. Eines Tages hat mich eine Frau meines Viertels in das Gebäude der NGO gehen sehen und ist zu meinem großen Bruder gegangen. So haben sie erfahren, dass ich schwul bin. Er hat Nachforschungen über mich angestellt, ist mir jeden Tag gefolgt und am Schluss in den Raum der NGO gekommen, wo ich eine Gesprächsrunde über Prävention und Früherkennung von Aids abhielt. Am Abend hat er mir gesagt, ich solle das Haus verlassen, er hat mich mit einem Messer bedroht, meine Sachen rausgeworfen, die Leute aus dem Viertel wollten mich bei lebendigem Leibe verbrennen. Deshalb bin ich fortgegangen. Mit meinen wenigen Ersparnissen konnte ich mir einen Pass machen lassen. Aber ich musste sechs Monate arbeiten, um das Geld für den Flug zu beschaffen, während ich mich versteckt hielt, denn sie suchten nach mir und wollten mich umbringen. Ich wäre gern sofort gegangen, aber ich hatte Angst, durch die Sahara zu gehen, da sie dort Menschen angreifen und töten.

Als ich hier ankam, hatte ich 45 Euro in der Tasche, das entspricht 30.000 CFA-Francs. Freunde haben mir Geld geliehen, und ich konnte ein Bett in einem Wohnheim bezahlen, wo ich noch heute wohne. Ich habe die nötigen Behördengänge bei der UNHCR erledigt, das hat zwei Monate gedauert. Das Warten war sehr anstrengend, ich war zu gestresst und depressiv, habe jede Nacht gebetet, aber sie haben mir Asyl gewährt und mir den Ausweis gegeben. Dennoch warte ich immer noch auf Unterstützung und darauf, eine Umsiedlung in ein anderes Land beantragen zu können.

Um überleben zu können, putze ich manchmal bei reichen Leuten. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie rassistisch sind, aber sie beuten dich aus und benutzen dich gegen sehr wenig Geld. Solange ich warte, bleibt mir keine andere Wahl.

In Algerien habe ich kein Leben, denn das Leben beginnt mit der Redefreiheit, mit der Freiheit, überall hingehen zu können, wo man will. Als Schwarzer hat man diese Freiheit nicht. Du kannst weder frei umhergehen, noch sagen, was du willst. Du musst alles ertragen. Ich lebe versteckt und habe große Angst, dass ich aufgegriffen werde und man mich gewaltsam zwingt, in mein Land zurückzukehren. Dort erwartet mich der sichere Tod. Ich verlasse meinen Schlafsaal nur, um etwas zu essen zu kaufen. Ich verbringe meine ganze Zeit in den sozialen Netzwerken, weil ich mich sehr einsam fühle.

In Algerien herrscht überall Rassismus. Die meisten Algerier haben keinen Respekt vor schwarzen Menschen. Sie fühlen sich überlegen. Wenn du in den Bus steigst, weigern sich die Leute zusammenzurücken, sie setzen sich schräg hin. Sie zeigen dir direkt, dass du keine Rechte hast, dass das hier ihr Zuhause ist. Aber wenn ich aufstehe, um meinen Platz einer algerischen Mutter zu überlassen, die meine Großmutter, meine Mutter, meine große Schwester sein könnte, will sie sich nicht auf meinen Platz setzen, weil ich schwarz bin. Es fehlt an Respekt in jeglicher Form. Sie sagen, dass es bei uns nichts zu essen gibt, sie fragen, wie wir schlafen, ob wir auf Bäumen schlafen.

Manchmal beleidigen dich Kinder auf der Straße auf Arabisch oder schlagen dich, aber du kannst nicht mit ihnen schimpfen, denn sonst kommen die Leute, um dich einfach so zu verprügeln oder zu bedrohen. Eines Abends bin ich auf der "Place du Martyrs" spazieren gegangen. Das war bevor sie mit den Rückführungen begonnen haben. Zwei Kinder haben mich angesprochen: „Guten Abend, Kamerad.“ Da es Kinder waren, war ich freundlich zu ihnen. Einer der Jungen hat meine Haut angefasst, um zu sehen, ob sie, da ich schwarz bin, an der Hand kleben bleibt. Der andere hat mich auf Arabisch beleidigt. Ich habe mich aufgeregt, aber ich wusste, dass ich nichts machen konnte. Ein alter Mann hat die Szene verfolgt, er kam zu mir, um mir zu sagen, dass es Kinder seien und dass ich sie nicht beachten solle, dass sie die Kinder zum Hass auf die Schwarzen erziehen.

Dieser ganze Rassismus tut sehr weh! Die Leute mit so einer Einstellung denken, dass sie mehr wert sind als Schwarze! Nicht deine Hautfarbe ist das Wichtigste, sondern dass, was du im Kopf und im Herzen hast. Sie behaupten auch noch, Moslems zu sein. Ein richtiger Moslem wird nicht rassistisch, er soll seinen Nächsten lieben und sich nicht anderen überlegen fühlen. Die Mentalität muss sich ändern! Aber wenn ich sehe, in welche Richtung sich Algerien bewegt, weiß ich nicht, ob sich das ändern wird.

Als ich herkam, war es das erste Mal, dass ich mein Land verließ und in ein Land kam, das Schwarze nicht mag, ich hatte also große Angst, obdachlos zu werden, meinen HCR nicht zu bekommen oder schwer krank zu werden. Aber Gott sei Dank, ich habe meinen HCR. Ich bin an sehr nette Leute geraten, die mir helfen, meinen Schlafplatz im Wohnheim zu bezahlen, die mir zu essen geben. Selbst wenn es mir psychisch nicht gut geht, sind diese Menschen für mich da. Es berührt mich sehr, dass unter ihnen Schwarze, aber auch Algerier sind.
 

Fotografin Leïla Saadna

Leïla Saadna produziert Dokumentarfilme und visuelle Kunst. Sie lebt und arbeitet seit zwei Jahren in Algier. Nach dem Studium der Bildenden Künste in Paris hat sich Saadna filmischen und künstlerischen Dokumentarprojekten zugewandt, die engagiert und poetisch sind. Die Themen ihrer Arbeit und Recherchen sind postkoloniale Migrationsgeschichten, Aussagen und Kämpfe von Personen, die von Formen der merkmalübergreifenden Unterdrückung betroffen sind, wie Rassismus und Sexismus; und insbesondere die Erlebnisse von Frauen im postkolonialen Kontext.