Jemen

Apr. 2023

Zukunftsperspektiven?!  5 min Junge Jemenit*innen: Neue Perspektive durch Kaffee

Abdul Latif Al-Jaradi in den Kaffeeplantagen
Abdul Latif Al-Jaradi in den Kaffeeplantagen ©Privat

Im März 2015 stürzte der ausbrechende Krieg den Jemen in eine tiefe Krise. Das jemenitische Bruttoinlandsprodukt hat sich laut Weltbankangaben bis zum Jahr 2021 halbiert. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen leben mittlerweile fast 58% der ca. 32.5 Millionen Einwohner unterhalb der Armutsgrenze. Die Weltbank schätzt die Arbeitslosenquote unter Männern auf 12,4% und unter Frauen sogar auf 26,3%, bei insgesamt 7.298.663 arbeitsfähigen Personen. Der Krieg brachte aber auch unerwartete Nebenwirkungen hervor: Es sind zahlreiche neue Unternehmen entstanden. Die Generation der jungen Jemeniten machte aus der Not eine Tugend und entdeckte einen alten Handel neu, der zu den zentralen Stützen der jemenitischen Wirtschaft zählt: den Kaffee.

Der jemenitische Kaffeebaum ist weltweit für seine Qualität bekannt und war über viele Jahrzehnte hinweg eine wichtige Einkommensquelle des Landes. Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts hatten die Jemeniten das Kaffeemonopol. Der Anbau erreichte Höchststände und der Kaffee wurde aus der westjemenitischen Hafenstadt Al Mocha (daher kommt auch der Name „Mokka“) in alle Welt exportiert. Seit Ende des 20. Jahrhunderts aber fiel der Jemen aus mehreren Gründen hinter andere konkurrierende Länder zurück. Laut Statistiken des jemenitischen Ministeriums für Industrie und Handel belegt das Land beim Kaffeeexport heute den 42. Platz unter 64 Staaten weltweit.

Trotz dieses Rückgangs arbeiten junge Menschen mit ihren Projekten und Unternehmen hart daran, die Bedeutung des jemenitischen Kaffees auf den Weltmärkten wiederherzustellen. Die intensiven Bestrebungen vor Ort stoßen in der Gesellschaft auf viel Zuspruch.

Krieg und Aufbruch

In den ersten Kriegstagen im Jemen organisierte die Agentur „SMEPS“ die Kampagne #YemenCoffeeBreak. Die Kampagne veranlasste junge Menschen dazu, über die Gründung von Unternehmen im Kaffee-Sektor nachzudenken. Der 30-jährige Adnan Al-Qasous, Leiter der Abteilung Kommunikation und Promotion in der Agentur, sagt: „Wir dachten an eine Kampagne, die Hoffnung verbreitet. Sie sollte den jemenitischen Kaffee als lokales Produkt bekannt machen und so die Wirtschaft wiederbeleben. Also starteten wir die Kampagne #YemenCoffeeBreak, als Signal des Aufbruchs an die junge Generation, um das Monopol auf diesem Markt zu durchbrechen.“
Adnan al-Qassos Adnan al-Qassos | ©Privat
Laut Al-Qasous konzentriert sich die Agentur SMEPS auf die Unterstützung des Kaffeesektors. Sie unterstützten viele Bäuerinnen und Bauern in mehreren jemenitischen Regionen mit Bildungsmaßnahmen zur Qualitätsverbesserung des Kaffees und über die richtigen Anbaumethoden. Er fügte hinzu: „In Trainingskursen im In- und Ausland wurde eine Gruppe junger Leute im Bereich Verkostung und Röstung ausgebildet. Denn je besser qualifiziert die Mitarbeiter in diesem Bereich sind, desto mehr steigt die Nachfrage nach dem Produkt und damit der Gewinn.“ Außerdem gibt er an, dass sie viel zu Orientierung vieler junger Leute und aufstrebenden Unternehmen beigetragen hätten. Er ergänzt: „In der neuen Strategie der Agentur werden wir uns mit der Erschließung ausländischer Märkte für jemenitische Firmen aus dem Kaffeebereich beschäftigen und uns verstärkt um Ausbildung und Qualifizierung bemühen, um den Stellenwert dieses wichtigen Produktes auf dem Weltmarkt als wichtige ökonomische Einkommensquelle wiederherzustellen.“

Die Wirkung der Kampagne

Wie viele andere junge Jemeniten hat der 30-jährige Abdullatif durch den Krieg seine Arbeit verloren. Er hatte an einer Schule in Sanaa gearbeitet und sollte dort auch Schulleiter werden. Aber mit den ausbleibenden Gehältern seit Kriegsbeginn begann Al-Jaradi über die Gründung einer eigenen Firma nachzudenken. Er sagt: „Ich dachte an ein Projekt, das meine Zukunft und die Zukunft nachfolgender Generationen absichern könnte. Aber damals dachte ich noch nicht an den Kaffee-Sektor. Im Jahr 2015 organisierte die Agentur SMEPS die Veranstaltung #YemenCoffeeBreak und da ich ein leidenschaftlicher Kaffeetrinker bin, nahm ich an der Veranstaltung teil.“ Die Veranstaltung habe seinen Blick auf den Kaffee verändert und ihn mit den Details vertraut gemacht. Dann habe er begonnen, über eine Tätigkeit in diesem Bereich nachzudenken: „Damit fing alles an. Ich fragte mich, warum arbeite ich nicht im Kaffee-Export? Es gibt Nachfrage nach hoher Qualität und wir im Jemen können die hochwertigsten Kaffeesorten anbieten.“

Abdul Latif Al-Jaradi Abdul Latif Al-Jaradi | ©Privat Al-Jaradi sagt, er habe an vielen spezialisierten Veranstaltungen der Agentur SMEPS zum Thema Kaffee teilgenommen: „An den Weltkaffeetagen feierten wir bei SMEPS und das brachte alle Akteure in diesem Sektor zusammen und sorgte für Vernetzung. Es taten sich neue kommerzielle Kommunikationskanäle zwischen Händlern, Firmen, Unternehmern und Investoren in diesem Bereich auf.“

Die Firma „Mokha Story“

Nachdem al-Jaradi an der Veranstaltung #YemenCoffeeBreak teilgenommen hatte, begann er sich intensiv einzulesen und beschäftigte sich mit der Welt des Kaffees, den internationalen und nationalen Märkten, dem Anbau- und Produktionsvorgang, mit Trocknung und Abfüllung, mit Spezifikationen und internationalen Normen. Er sprach mit vielen Bauern in verschiedenen dafür bekannten jemenitischen Regionen. Im Jahr 2016 schließlich gründeten er und sein Freund die Firma „Mokha Story“. Über die Gründungsphase sagt er: „Leider war es ein sehr schwieriges Jahr für uns, weil wir zwar Kaffee produzierten, diesen aber nicht verkaufen konnten.“ Ausländische Kunden zu finden, sei nicht einfach gewesen, daher hätten sie ihre Strategie für den internationalen Markt überarbeitet. „Dieses Hindernis konnten wir nur mit viel Aufopferung und Geduld bewältigen. Manchmal waren wir gezwungen, vor der Bezahlung Proben ins Ausland zu schicken, damit der Kunde die Qualität testen konnte. Außerdem baten wir einige unserer Kunden, unsere Firma bei ihren Freunden und ihnen bekannten Röstereien bekannt zu machen. Das hat uns viel geholfen."

 Al-Jaradi beschloss, sich auf die Erstellung von speziellem Content über Kaffee auf dem Instagram-Account der Firma zu konzentrieren: „Ich begann, Kaffeefarmen in vielen Regionen zu bereisen, in Begleitung eines professionellen Fotografen, um die Bilder auf Instagram zu veröffentlichen. Der Content erschien dann in den Suchmaschinen und wir wurden auf dem Markt sichtbar. Im Jahr 2017 schlossen wir den ersten Liefervertrag in die USA und die Freude war sehr groß, dass wir in dorthin exportieren konnten, trotz aller Schwierigkeiten.“

Al-Jaradi setzte die Erkundungsreise in die Welt des Kaffees fort und im Jahr 2018 erhielt er ein spezielles Training des CQI in Malaysia zum Thema Verkostung, dank einer Finanzierung durch die Agentur SMEPS. Über das Training berichtet er: „Ich war sehr gut und erhielt das Verkostungszeugnis. Damit bin ich qualifiziert, sämtliche Kaffeesorten zu verkosten und zu evaluieren."

Kamel Al-Najmi, Qualitätsverantwortlicher der Firma „Mokha Story“, sagt über seine Arbeit mit Al-Jaradi: „Der Krieg hat unser Einkommen beeinträchtigt. Aber die Kaffeeleidenschaft von Abdullatif hat uns dazu gebracht, in diesem Bereich tätig zu werden, der uns finanzielle Unabhängigkeit gebracht und viele Türen geöffnet hat. 

Lokale Initiativen

Eine Gruppe junger Menschen im Jemen mit Bezug zum Kaffeesektor hat die Initiative ergriffen, um den Kaffee zu erhalten und wieder nach vorne zu bringen. Dazu gehören Unternehmer, Landwirte oder Fachleute für die Abläufe der Wertschöpfungsketten. Sie gründeten mehrere Initiativen in Form von Messen und Festivals mit kostenlosen Verkaufsständen für alle jungen Unternehmensgründer. Sie sollten die Möglichkeit erhalten, Verbrauchern ihre Produkte zu präsentieren, sich zu vermarkten und so die Barriere der Angst vor der Erfolglosigkeit ihrer Vorhaben zu durchbrechen.

Zu diesen Initiativen gehört das Jemenitische Kaffeefestival, an dem sich sämtliche relevanten Akteure beteiligten und in das die ganze Gesellschaft eingebunden war. Bakr Al-Nasiri, der Geschäftsführer des Nationale Auktionshauses und Verantwortlicher des Jemenitischen Kaffeefestivals sagt: „Das Kaffeefestival will die historische und kommerzielle Bedeutung des jemenitischen Kaffees wiederherstellen. Außerdem sollen die verschiedenen Akteure im bisher zersplitterten und unorganisierten jemenitischen Kaffeesektor zusammengebracht werden: Bauern, Vereinigungen, Exporteure.“

Er verweist darauf, dass die Initiativen die junge Generation dazu motivieren sollen, in diesem wichtigen Sektor tätig zu werden, der angesichts der großen Nachfrage auf den Weltmärkten die Wirtschaft des Landes voranbringen könne.

Nachhaltige Perspektiven für jemenitische Frauen

Konventionen und Traditionen haben die jemenitischen Frauen zu einer Maschine für Anbau, Pflege und Ernte der Kaffeebäume werden lassen. Der Wirtschaftsanalyst Nabil Al-Sharabi sagt dazu: „Die Frauen tragen die größte Last bei Anbau und Pflege des Kaffees, ja selbst bei der Ernte. Beim Export dagegen spielen die Frauen keine Rolle, was auf die Sozialstruktur des Kaffeeanbaus im Jemen zurückzuführen ist, der zufolge es verpönt ist, dass Frauen einer Tätigkeit nachgehen, die nicht zugunsten der Familie erfolgt.“ Er ergänzt: „Auch die Tatsache, dass die Frauen nicht dazu qualifiziert sind, in diesem überaus anspruchsvollen Bereich tätig zu werden, führte dazu, dass daraus das Monopol einer begrenzten Gruppe von Männern wurde.“

Riham Hashim zählt zu den Vorreiterinnen im Kaffeebereich. Sie sagt, sie habe sich den Bereich Kaffeeverkauf und -export ausgesucht, da sie der Meinung sei, dass junge Frauen eine Quelle der Kraft seien und an sich selbst glauben sollten, anstatt nur die auf dem Weg wartenden Hürden zu sehen. Über ihre persönliche Erfahrung im Kaffeehandel in den letzten beiden Jahren sagt sie: "Der Krieg hatte negative Auswirkungen auf die Wirtschaft insgesamt und führte folglich auch zu einer schlechteren ökonomischen Situation der Individuen. Ich als Teil der Allgemeinheit habe auch Einkommensverluste erlitten. Also überlegte ich, in den Kaffeehandel einzusteigen, da der Jemen die weltweit besten Kaffeesorten produziert und das Getränk sich weltweit großer Beliebtheit erfreut. Daher bietet dieser Bereich zahlreiche Perspektiven.“ Sie ergänzt: „Also habe ich mein Unternehmen „Brown Crown“ gegründet, das einen speziellen und zu 100% jemenitischen Kaffee anbietet. Wir kümmern uns um alles, vom Pflücken bis zum Mahlen.“ Laut Riham habe ihr die Arbeit im Kaffeesektor zu finanzieller Unabhängigkeit verholfen. Unterstützt durch die Gesellschaft habe sie durchhalten und Hürden überwinden können: die mangelnde staatliche Unterstützung und die Schwierigkeiten bei der Bekanntmachung des Angebots an hochwertigen und damit höherpreisigen Kaffeesorten unter den Verbrauchern.

Reham Hashem Reham Hashem | ©Privat Zu ihrer Teilnahme am Kaffeefestival sagt sie: „Ich hatte die größten Verkaufserfolge beim Festival. Das Festival hat den Leuten das Produkt nähergebracht und bei der Vermarktung geholfen.“
Al-Sharabi ergänzt: „Die Beteiligung der Frauen in diesem Bereich hat viele Vorteile: Sie werden qualifiziert und erwerben Wissen über die Geheimnisse des jemenitischen Kaffees: über Qualität, Wettbewerbswege, Methoden des Handels und Exports. Zudem bringt es ihnen hohe finanzielle Erträge, die in anderen Handelsbereichen nur schwer zu erzielen wären.“

Eine Nachhaltige Wirtschaft

Die Kaffee-Projekte stoßen in der jemenitischen Bevölkerung auf großen Zuspruch, was ihren Fortbestand und Expansionsmöglichkeiten stärkt. al-Jaradi sagt: „In der letzten Zeit gab es deutlich mehr Nachfrage nach Kaffee. Die Kaffeeunternehmen erfuhren Unterstützung vor Ort und wurden von den Leuten begrüßt, gerade unter der jungen Generation. Das bedeutet einen Aufschwung für die Cafés, in denen hochwertiger Kaffee auf neue Weise angeboten wird.“

Er ergänzte, dies sei zugleich auch Marketing für den Jemen und dem Land dabei helfen, nach Kriegsende Touristen in jemenitische Cafés und auf jemenitische Farmen zu locken. Hinzu komme: „Es gibt viele Leute in aller Welt, die den Jemen besuchen wollen, insbesondere Kaffeeliebhaber. Das kommt ganz sicher der jemenitischen Wirtschaft zugute.“ 

Das Wissen um die Bedeutung der Kaffees im Welthandel, die Gründung einer Börse für Kaffee- und Kaffee-Produkte, die Planungen für die Wiederbelebung des Kaffeeanbaus im Jemen sowie die anschließende weltweite Vermarktung - all das wird dazu beitragen, die soziale, mikro- und makroökonomischer Situation des Jemens zu verbessern und jungen Menschen sowie Generationen materielle Unabhängigkeit zu ermöglichen, wie andere Projekte es nicht schaffen könnten, so Alsharabi.

Mehr lesen

Failed to retrieve recommended articles. Please try again.