"Juha und sein Esel" und "Kalila und Dimna" sind nur einige Beispiele für die vielen berühmten Geschichten, die in arabischsprachigen Ländern durch mündliches Erzählen (Hakawati) über Generationen weitergegeben wurden. Trotz der Herausforderungen des Geschichtenerzählens angesichts des Aufstiegs künstlicher Intelligenz versucht Israa Saleh, Gründerin des ägyptischen Projekts "Super Abla", Kindern durch Geschichtenerzählen die Liebe zur Sprache zu vermitteln.
Woher kam die Idee für Super Abla, wie haben Sie mit der Planung begonnen und wie haben Sie den ersten Schritt zum Start dieses Projekts gemacht?Eigentlich begann alles eher zufällig. Ich arbeitete damals in einem Unternehmen, das Nachhilfeunterricht anbot. Ich selbst war dort für das operative Geschäft zuständig und hatte mit dem Unterricht selbst gar nichts zu tun. Aber ich wollte gerne selbst die Unterrichtserfahrung machen. Als ich gefragt wurde, welches Fach ich unterrichten möchte, entschied ich mich für Arabisch.
Bevor ich zu meiner ersten Schülerin ging, hatte ich geplant, auf traditionelle Weise zu unterrichten, mit einem Zeitplan und ähnlichem. Doch dann erfuhr ich zu meiner Überraschung, dass das Mädchen das Down-Syndrom hatte. Sie war sehr intelligent und verfügte über ein stark visuelles Denkvermögen und verstand den Unterrichtsstoff am besten durch Visualisierung. Sie sagte mir, sie verstehe nur, wenn ich die Grammatik zeichnen oder singen würde. Ich war sprachlos und bat sie, mir fünf Minuten zu geben. Ich hatte Erfahrung als Geschichtenerzählerin, insbesondere durch meine Arbeit im Straßentheater, und konnte innerhalb weniger Minuten eine Geschichte entwerfen und ausschmücken. Am Ende des Jahres hatte ich alle meine Unterrichtsstunden nach dieser Methode aufgebaut. Auf diese Weise erzielte jenes Mädchen dank dieser Vorgehensweise hervorragende Leistungen im Fach Arabisch.
Mit Beginn der Corona-Pandemie verließ ich meinen Job im Unternehmen und gab weiterhin privaten Nachhilfeunterricht.
Die Idee zu „Super-Abla“ entstand, als ich dem Sohn einer Freundin Nachhilfe gab. Seine Mutter sagte zu ihm, ich sei schon immer „super“ gewesen. Er fragte: „Super was?“ Ich weiß nicht, woher mir die Antwort kam, aber ich sagte spontan: „Super-Abla!“ (Anm. d. Übers.: „Abla“ wird auf Arabisch für „Lehrerin“ verwendet). Allen Anwesenden gefiel der Name, und sie ermutigten mich, in meiner Art zu unterrichten weiterzumachen. Also begann ich, Videos unter dem Namen „Super-Abla“ zu produzieren. Ich war überrascht, dass meine Videos Dutzende Male geteilt wurden. Eines Morgens wachte ich auf und stellte fest, dass mein Account bereits 5.000 Follower hatte.
Da beschloss ich, dass ich mich weiterbilden musste, und schrieb mich in einen Kurs zur Gründerförderung ein, den die Universität Kairo für Absolventinnen anbot. Ziel war es, sie beim Aufbau und Management von Projekten zu unterstützen und mit dem Konzept von Inkubatoren vertraut zu machen. Von 250 Bewerberinnen wurden 35 ausgewählt. Der Kurs dauerte mehrere Monate. Dabei sank die Zahl im weiteren Auswahlverfahren erst auf neun, dann auf fünf Teilnehmerinnen. Drei Teilnehmerinnen erhielten eine finanzielle Förderung, ich war eine von ihnen und belegte den zweiten Platz.
Seitdem ist mein Interesse an Unternehmertum gewachsen. Ich nahm an der Sendung Shark Tank teil und erhielt zwei Deals, mit Ayman Abbas und Ahmed Tarek. Ich organisierte in dieser Zeit Workshops und Camps für Kinder, entschied mich aber, zum Content zurückzukehren. Dafür brauchte ich eine starke Figur, die Kinder anzieht. Natürlich hatte ich Vorbilder, z. B. Miss Rachel und Blippi aus den USA. Sie sind nicht nur Persönlichkeiten mit ansprechenden Inhalten, sondern auch erfolgreiche Unternehmen mit sehr hohem wirtschaftlichem Gewinn.
Wie hat deine Erziehung dein Verhältnis zur arabischen Sprache geprägt?
Natürlich hat sie sehr viel dazu beigetragen. Obwohl ich an der Universität mein Jurastudium auf Englisch absolviert habe, liebe ich die arabische Sprache und ihre Grammatik. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, die der arabischen Sprache sehr verbunden ist: Mein Großvater war Professor für Islamische Recht für Nicht-Muttersprachler an der Al-Azhar-Universität, meine Mutter hat einen Magister in Arabisch, und meine Großmutter war Arabisch-Lehrerin. Durch dieses Umfeld war ich von klein auf mit den grammatischen Regeln vertraut und konnte ein gutes Gespür für arabische Dichtung entwickelten.
Ich kann sagen, dass ich Arabisch durch Lesen und Debattieren gelernt habe. Ich bin mit Synonymen und idiomatischen Wendungen der arabischen Hochsprache ganz selbstverständlich aufgewachsen – Ausdruck einer tiefen Liebe zur arabischen Sprache, zum Beispiel zu jenen Formulierungen, mit denen man sich entschuldigt.
Zum Beispiel schenkte mir meine Mutter zum achten Geburtstag den Roman „Cheops“ von Nagib Mahfuz und diskutierte mit mir über die Symbolik der Geschichte und ihre Parallelen zur Geschichte des Propheten Youssuf und seinen Brüdern.
Was sind deiner Meinung nach die größten Herausforderungen beim Arabischunterricht in unserer heutigen Zeit?
Es gibt vier Herausforderungen: Erstens müssen wir anerkennen, dass die Materialien, die Arabischlehrkräften zur Verfügung stehen, im Vergleich zu anderen Sprachen wie Englisch sehr dürftig sind. Daher ist die Erkenntnis wichtig, dass der Lehrer die entscheidende Rolle spielt. Gerade in den ersten in den unteren Klassen muss er mehr Komiker als Lehrer sein, er sollte entspannt sein und schauspielerische und stimmliche Fähigkeiten wie ein Schauspieler mitbringen. Nur dann kann eine Generation heranwachsen, die Arabisch liebt. Was jedoch in der Realität passiert, ist, dass es durch den Einsatz traditioneller Lehrmethoden zur Entfremdung von der Sprache kommt.
Daraus ergibt sich der zweite Punkt: die Distanzierung von der Umgangssprache im Unterricht. Wenn wir einem kleinen Kind immer wieder das Wort „anf“ (Nase) beibringen, obwohl es das Wort „manakhir“ (Dialekt für „Nase“) aus dem Alltag kennt, führt das zu einer sprachlichen Entfremdung. Deshalb plädiere ich für die Verwendung einer einfachen Sprache, d.h. eines alltagstauglichen, vereinfachten Hocharabischen, das das Kind versteht und das zugleich Wörter und Synonyme aus dem Wörterbuch vermittelt.
Der dritte Punkt ist, dass es im Internet weltweit sehr wenig arabischen Content gibt und das ist äußerst besorgniserregend. Denn der Content, den Kinder auf Arabisch konsumieren, ist aus meiner Sicht oft unangemessen, größtenteils nicht pädagogisch sinnvoll und oft nur eine Kopie ausländischer Inhalte.
Was unterscheidet deine Geschichten bei „Super-Abla“ von typischen Zeichentrickfilmen?
Ich schreibe diese Geschichten selbst, weil mir Originalität wichtig ist. Es geht darum, kreative neue Inhalte zu schaffen und nicht einfach zu kopieren. Ich lasse mich dabei immer von Problemen inspirieren, die ich mit Kindern erlebt habe. In der Geschichte „Ich, Opa und Wafil“ etwa begegnete mir ein Kind, das nach der Trennung seiner Eltern zum Großvater zog und den Hund nicht mitnehmen durfte, weil der Opa das nicht wollte. So entstand die Geschichte.
Solche Themen (Trennung der Eltern) sind wichtig, da sie häufig vorkommen, insbesondere in Bezug auf die Folgen für das Kind. Viele Kinder wachen plötzlich auf und finden sich in einer völlig anderen Lebensrealität wieder. Mit dieser Geschichte wollte ich die Aufmerksamkeit auf das Thema lenken. Was andere Geschichten angeht, wie „Ich bin eine Katze aus Gaza“ so bin ich nicht der Meinung, dass ein Kind die Welt anhand von Geschichte und Politik in ihrer ganzen Komplexität verstehen muss, wie z.B. die aktuellen Ereignisse in Gaza. Vielmehr sollten Kinder die palästinensische Identität durch Geschichten kennenlernen.
Kreativität ist unerschöpflich. Heute sehe ich, wie viele arabische Mütter in der Fremde eigene Videos machen, damit ihre Kinder die Sprache und Identität nicht verlieren.
Du hast die Altersgruppe deiner Zielgruppe erweitert und arbeitest inzwischen mit Kindern bis acht Jahren. Haben sich deine Inhalte durch die Anpassung an der neuen Altersgruppe verändert?
Inhaltlich hat sich eigentlich nichts verändert, denn ich richte meine Online-Inhalte nach wie vor an Kinder bis sieben Jahren. In Workshops und Camps nehme ich nun aber auch Kinder bis acht Jahre auf. Ich entwickle spezielle Programme für diejenigen, die sich mit dem Lesen noch sehr schwertun.
Was sind deine nächsten Schritte mit "Super-Abla"?
Ich möchte künftig mehrere Folgen pro Woche erstellen und meinem YouTube-Kanal teilen. Außerdem plane ich, Content für Nicht-Muttersprachler zu entwickeln und mehr Lieder zu produzieren. Bei den Präsenzaktivitäten möchte ich die Camps und Angebote für Schulen weiter ausbauen und einige meiner Hörbücher in gedruckter Form veröffentlichen.
Du verfolgst sicher die Diskussionen rund um Künstliche Intelligenz. Einige sagen, dadurch könnten Bereiche wie das Schreiben, Erzählen oder Journalismus verschwinden. Machst du dir darüber Sorgen?
Ich denke, Künstliche Intelligenz ist nur ein Werkzeug, das uns bei bestimmten Dingen unterstützen kann. Wer sich jedoch vollständig auf sie verlässt, wird zwangsläufig verschwinden, denn dann entsteht nichts Neues mehr.
Was bedeuten diese Auszeichnungen für dich, zumal in einem Jahr, in dem du an der Universität Kairo als Business-Pionierin geehrt und außerdem als eine von 100 Unternehmerinnen aus Afrika und dem Nahen Osten in die Initiative Unstoppable Women aufgenommen wurdest? Hast du das Gefühl, jetzt die Früchte deiner Arbeit zu ernten und deine Ziele erreicht zu haben?
Ganz im Gegenteil: Je mehr Auszeichnungen ich erhalte, desto größer werden meine Ängste, Sorgen und Zweifel. Ich habe denke schon seit längerem, dass ich am Impostor-Syndrom leide, dem Gefühl, all diese Anerkennung gar nicht verdient zu haben. Manchmal denke ich, dass andere viel bessere Arbeit leisten als ich, und dass es besser wäre, meinen Weg einfach ungestört weiterzugehen, ohne all diese Aufmerksamkeit. Ich habe noch so viel zu lernen. Viele meiner Ziele habe ich noch längst nicht erreicht, denn meine Ambitionen sind grenzenlos und reichen bis zum Himmel.
Was würdest du als Schlusswort jenen Menschen sagen, die Arabisch für eine eine schwierige und langweilig zu erlernende Sprache halten?
Ich möchte Edward Said zitieren, der über die arabische Sprache sagte, sie sei „eine der großartigsten Schöpfungen des menschlichen Geistes“. Sie ist eine sich erneuernde Sprache mit über einer Million sechzigtausend Wörtern, eine Sprache des Gesangs, des Rhythmus und einer ihre ganz eigene Musik.
über Super Abla
Anregende Lerninhalte für Kinder von 2 bis 8 Jahren, die ihre Entdeckerfähigkeiten und ihre Liebe zur arabischen Sprache fördern. Super Abla verwendet vertraute Wörter, die Kinder täglich verwenden und die auch im Wörterbuch nachgeschlagen werden können, um sprachliche Entfremdung zu vermeiden. Es verbindet Kultur, Geschichte und Geographie in einer unterhaltsamen und anregenden Lernreise, die die Denkweise und Interessen des Kindes berücksichtigt.
Oktober 2025