Mirath:Music – Hajar Zahawy   Jiyan

Hajar Zahawy wird in einem Raum mit schallisolierten Wänden interviewt. Er ist schwarz gekleidet (schwarzes T-Shirt und schwarze Kappe).
Interview mit Hajar Zahawy in einem Raum mit schallisolierten Wänden – Jiyan (Mirath:Music) © Hajar Zahawy
 

Hajar Zahawy - Jiyan © Hajar Zahawy

Jiyan vereint zwei integrale Bestandteile kurdischen Erbes: Perkussionsinstrumente und Dichtkunst. Das Zusammenspiel von Musik und gesprochenem Wort (oder: Poesie) ist durch seine dokumentierende Funktion schon seit langer Zeit tief in der kurdischen und irakischen Kultur verwurzelt. Infolge der geschichtlichen Verflechtungen der beiden Regionen sind in Kurdistan sowohl Kurdisch als auch Arabisch in Gebrauch. Nach der Unabhängigkeit Kurdistans vom Irak wurde Kurdisch jedoch ab 1991 zur offiziellen Sprache erklärt und Arabisch immer zweitrangiger. 

Um diesen sprachlichen Dualismus auch in der Musik wiederkehren zu lassen, wählte Zahawy zwei in Arabisch und Kurdisch rezitierte Gedichte. Aus dem kurdischen Erbe verwendet er das Gedicht „XYZ“ des berühmten Dichters Sherko Bekas aus Sulaimaniyya im Norden des Landes. Aus der Feder des bekannten irakischen Dichters Bader Shaker Al-Sayyab und damit aus dem arabischen Erbe stammt das Gedicht „Matar“ (Regen). 

Beide Dichter galten, weil sie ihre Worte von strengen Metren und Normen befreiten, als innovative Pioniere im Bereich der Poesie. Obwohl die Texte beider Liebe, Leben und Schmerz thematisieren, kreiert Sherko Bekas durch seine eigene dichterische Herangehensweise, einen ganz eigenen Fokus auf Musik und auf das Hören. In seiner Dichtung verwendet er “Sorani”, ein Ansatz durch den er das Leben aus anderen Blickwinkeln betrachtet und der ihn von anderen unterscheidet. Diese Poesie stellt das Leid und die Entfremdung der Kurden dar und zeigt die starke Verbindung des Dichters mit seiner Heimat. Al-Sayyabs Gedicht “Matar” dagegen schöpft aus der mythischen Geschichte des Iraks, lässt babylonische Symbole und antike Gottheiten wie Ishtar wieder aufleben und verwendet Palmen als Symbol des Iraks. So erzeugt er Nähe und Vertrautheit egal wie fern diese Vergangenheit ist.

Die Worte der beiden Dichter aus Nord und Süd werden melodisch neben perkussiven Beats und atmosphärischen Klängen von der Oud begleitet. Das Stück lädt den Hörer dazu ein, sich die Landschaften hinter den Klängen vorzustellen, wobei die beiden Gedichtrezitationen in Arabisch und Kurdisch harmonisch zusammenfließen.


Texte/Gedichte: Bader Shaker Al-Sayyab, Sherko Bekas
Komposition: Hajar Zahawy
Arrangement: Hajar Zahawy
Instrumentierung:  Dohol, Daf, Daira, Bendir, Rasseln, Rahmentrommeln, Oud, Cajón
Khanda Ismail (Kurdisch)
Jarer Mohammed Al Abdulwahid

Sound Design: Siyawash Kamkar
Originalkomposition/Datum: keine Angabe
Aufnahme: August 2021
Text: keine Angabe

Das Warum hinter der Musik

Kurdische Kultur und Musik sind so divers wie die Gegenden in welchen sie sich entwickelt haben, vom Irak bis in den Iran, nach Armenien, Syrien und in die Türkei. Durch die jahrhundertelange geographische Zersplitterung des kurdischen Volkes, seine Unterdrückung und die Abwesenheit zentraler kurdischer Kulturinstitutionen hat sich kurdische Musik hauptsächlich aus Folklore und Alltagspraktiken entwickelt. So brachte jede Region ihre eigenen musikalischen Charakteristiken hervor, die sich in Aufführungsformen (oder “Ada’ أداء”), Gesang, Rhythmen, Instrumentierung und Formationen niederschlagen.

Als kurdischer Künstler wollte ich schon immer mein eigenes musikalisches Erbe lebendig halten und das Wissen über seine Fülle und seinen Reichtum so weit wie möglich verbreiten. Das ist mir umso wichtiger, als das wir, das kurdische Volk, bisher durch die Diskriminierung und die Ungerechtigkeiten, denen wir ausgesetzt waren, kaum eine Möglichkeit hatten, unsere Kultur bekannt zu machen. Für diese Ausstellung wollte ich also die Vielfältigkeit kurdischen Kulturerbes durch meine musikalischen Kompositionen zusammenführen. 

Dabei gestaltete es sich schwierig, Archivmaterialien zu finden, mit denen ich arbeiten konnte. Die Dokumentation, Verbreitung und Bewahrung kurdischer Kulturgüter durch kulturelle Institutionen ist ein eher gegenwärtiges Phänomen der letzten drei Jahrzehnte. Kurdische Kultur wird noch immer vor allem mündlich weitergegeben, deshalb sind auch meine Kompositionen neben den verfügbaren kurdischen Aufnahmen statt durch Archivmaterial hauptsächlich von dem reichhaltigen praktischen Inventar inspiriert, das unsere Lehrer und Musiker zu gesellschaftlichen Anlässen und beim sozialen Zusammenkommen ihren Schülern weitergegeben haben. 

In meiner Komposition für Mirath:Music kombiniere ich Klänge aus dem sufischen Erbe mit solchen aus kurdischem Repertoire, hauptsächlich über Schlaginstrumente wie der kurdischen Rahmentrommel Daf, der Bendir und Elementen der Dichtkunst. Durch die Verwendung digitaler Technologien verschmelze ich diese Elemente mit zeitgenössischen Sounds, da Innovation für mich der ideale Weg ist, kulturelles Erbe zu bewahren.