Streit um Rückgabe Wem gehört der Dinosaurier?

Der Dinosaurierforscher Eberhard Frey steht im Staatlichen Museum für Naturkunde Karlsruhe (Baden-Württemberg) an einem Schädelabguss des Raubsauriers Tyrannosaurus rex.
Der Dinosaurierforscher Eberhard Frey steht im Staatlichen Museum für Naturkunde Karlsruhe (Baden-Württemberg) an einem Schädelabguss des Raubsauriers Tyrannosaurus rex, der in den USA gefunden wurde. Der Wissenschaftler, der die geowissenschaftliche Abteilung des Museums leitet, erforscht derzeit einen riesigen Saurier-Friedhof in Mexiko. | Foto (Detail): Uli Deck ¸© picture alliance / dpa

Eine Auseinandersetzung zwischen Brasilien und Deutschland um ein seltenes Dinosaurier-Fossil schürt Diskussionen um kolonialistische Praktiken in der Wissenschaft. Derweil ruht die wissenschaftliche Forschung über das Tier.

Die Rückgabe von Kunstgegenständen die durch Europäer*innen geraubt worden sind, wird von ehemaligen Kolonien schon länger gefordert. Nun erstrecken sich solche Forderungen auch auf paläontologisches Material, das zum Verständnis der Entwicklung des Lebens auf der Erde beitragen kann. Etwa das seltene Fossil eines Dinosauriers, das Brasilien von Deutschland zurückverlangt. Ubirajara Jubatus, die Art, um die es hier geht, war etwa so groß wie ein Huhn und lebte vor ungefähr 100 Millionen Jahren im heutigen Becken von Araripe im Hinterland des nordöstlichen Bundesstaats Ceará. Als es im Dezember 2020 erstmals in der Zeitschrift Cretaceous Research beschrieben wurde, erregte das Tier in der internationalen Fachwelt Aufsehen wegen Eigenschaften, die bis dahin bei einer südamerikanischen Arte nie beschrieben worden waren: eine Art Flaum auf dem Rücken und von den Schultern aufragende „Antennen“.

In Brasilien jedoch löste die Nachricht Empörung aus. Brasilianische Paläontolog*innen behaupteten, von der Existenz des kleinen Raubtiers nichts gewusst zu haben und erst recht nicht davon, dass es sich seit den 1990er-Jahren im Naturkundemuseum Karlsruhe befindet. Die Brasilianische Paläontologische Gesellschaft SBP äußerte den Verdacht, Ubirajara sei illegal außer Landes gebracht worden. Unter dem Hashtag #UbirajarabelongstoBR – Ubirajara gehört Brasilien – verlangten Paläontolog*innen in sozialen Netzwerken die Rückgabe des aus Ceará stammenden Dinosauriers. Das deutsche Museum reagierte auf die Flut von Kritik mit dem Hinweis, das Fossil sei gemäß internationaler Gepflogenheiten erworben worden und „Eigentümer ist das Land Baden-Württemberg“.

Ein juristisches, politisches und wissenschaftliches Problem

„Dass das Fossil sich nicht mehr in Brasilien befindet, ist nicht nur juristisch und politisch ein Problem, sondern auch wissenschaftlich, denn es beeinträchtigt unsere Forschung in ihrer Entwicklung“, sagt Renato Ghillardi, Präsident der Brasilianischen Paläontologischen Gesellschaft. Da alle freundlichen Bitten um Rückgabe des Fossils auf institutioneller Ebene abgelehnt worden seien, sagt er, versuche es inzwischen die brasilianische Generalstaatsanwaltschaft. „Das Material hierzubehalten, ist wichtig, damit die Bevölkerung weiß, dass es uns gehört, und um jungen brasilianischen Wissenschaftler*innen die Forschung daran zu ermöglichen. Hätten wir den Dinosaurier wieder, wären eine Reihe von Untersuchungen dazu sicherlich hier durchgeführt worden, zum Wohle der brasilianischen Wissenschaft“, glaubt der Paläontologe.

Als Reaktion auf die Unstimmigkeiten nahm die Zeitschrift Cretaceous Research den Artikel über Ubirajara bis zur Klärung der Umstände seines Exports aus Brasilien von der Website. Das heißt, die wissenschaftliche Arbeit an dem Tier ruht derzeit. Für die Wissenschaft ist Ubirajara nicht mehr vorhanden.

Wissenschaftlicher Kolonialismus?

Der Fall Ubirajara fügt sich ein in die aktuelle Debatte um wissenschaftliches Arbeiten an Fossilien im 21. Jahrhundert. Einmal in reiche Länder gebracht und in angesehenen Museen erforscht und konserviert, kehren Fossilien in der Regel nicht mehr an ihre Ursprungsorte zurück. Aus Sicht mancher Wissenschaftler*innen, vor allem in Ländern des globalen Südens, reproduziert dies ein kolonialistisches Paradigma, das seine Ursprünge im 19. Jahrhundert und in den Anfängen der Paläontologie hat. Europäische Wissenschaftler*innen hingegen beklagen rigide Vorschriften einiger Länder, die den Zugang zu Fossilien und damit den wissenschaftlichen Fortschritt erschweren würden. In Brasilien gelten Fossilien seit 1942 als Staatseigentum und der Handel mit ihnen als Straftat.

Eberhard Frey, Kurator des Karlsruher Museums und Co‑Autor des Artikels über Ubirajara, erklärte gegenüber einer Lokalzeitung: „Das ist ein schlecht erhaltenes Vieh, das bisher noch niemand interessiert hat. Es war schon damals ein echter Ladenhüter.“ Auf Nachfrage zu dieser Aussage per E‑Mail teilte Frey lediglich mit, juristische Fragen um den Dinosaurier würden durch das Baden‑Württembergische Wissenschaftsministerium geklärt. „Wir werden die juristische Untersuchung abwarten und aufgrund deren Ergebnis handeln. Es liegt uns fern, nachweislich unrechtmäßig erworbenes Material in unseren Sammlungen zu beherbergen“, so Frey.

Am Ursprungsort bewahren

Der umstrittene britische Paläontologe David Martill, Mitverfasser des Artikels, spekulierte öffentlich darüber, dass Ubirajara – wäre es in Brasilien verblieben – wohl das gleiche Schicksal erlitten hätte wie andere Exponate, die 2018 dem Brand im Nationalmuseum zum Opfer fielen. Die Behauptung, brasilianische Institutionen seien nicht in der Lage, Fossilien angemessen zu bewahren, sei allerdings nicht geeignet, um deren Verbleib im Ausland zu rechtfertigen, glaubt die auf unrechtmäßigen Handel mit Kulturgütern spezialisierte Anwältin Anuane Dias Soares.

Sie sagt, brasilianische Museen müssten, damit sie ihre Strukturen verbessern könnten, um Besucher*innen und Finanzierung werben. Genau dazu bräuchten sie relevante Bestände – daher sei es so wichtig, Ubirajara im Land zu halten. „Die Behauptung, ausländische Institutionen hätten bessere Bedingungen und Strukturen zur Erhaltung des Materials, ist problematisch, denn warum beteiligen sie sich dann nicht an der Konservierung dort, wo das Objekt ursprünglich war?“, fragt die Expertin. „Es [das Ubirajara‑Fossil] hätte Brasilien nie verlassen dürfen“, sagt sie. Die Brasilianische Paläontologische Gesellschaft versichert, im Land gebe es durchaus Institutionen, die zur Konservierung auf hohem Niveau in der Lage seien. Eine davon, das Paläontologische Museum Plácido Cidade Nuvens, befindet sich just in Araripe, am Fundort von Ubirajara.

„Paläopiraterie“

In der Region Araripe ist der Handel mit Fossilien nichts Außergewöhnliches. Im dortigen Kalkstein befinden sich reichliche Bestände wertvoller Überreste von Insekten, Fischen, Pflanzen und Dinosauriern, die seit Jahrzehnten auf den internationalen Fossilienmarkt gelangen. Viele werden zu exorbitanten Preisen in Online‑Auktionen angeboten, andere erst nach ihrer Erwähnung in wissenschaftlichen Publikationen entdeckt. Etwa im Mai 2021, als The Journal of Arachnology eine neue brasilianische Spinnenart beschrieb. Nachdem klar wurde, dass das Material illegal außer Landes gebracht worden war, wurde es von der Universität Kansas in den Vereinigten Staaten an das Museum in Araripe zurückgegeben.

Der Präsident der SBP glaubt, die juristische Auseinandersetzung um die Rückkehr von Ubirajara könne Jahre dauern. Immerhin zeigte das Medienecho in dem Fall bereits Wirkung. Einige europäische Institutionen erklärten sich bereit, andere Fossilien, die illegal auf brasilianischem Territorium geborgen wurden, zurückzugeben. „Die Universität Exeter in England wird eine Sammlung von 200 Insekten an Ceará zurückgeben, und die Universität Tübingen steuert zur Wiederherstellung der Sammlung des Nationalmuseums das Fossil eines Fischs bei“, freut sich Ghillardi. „Die paläontologischen Gesellschaften Lateinamerikas haben sich zusammengetan, um in einem gemeinsamen Artikel das Verhalten einiger europäischer Länder anzuprangern. Es geht auch darum, Bewusstsein zu schaffen“, sagt er.

Anmerkung der Redaktion: Am 12. Juni 2023 wurde das Ubirajara-Jubatus-Fossil an Brasilien zurückgegeben.