1930 in Berlin Einstein und das Radio

Albert Einstein 1930 auf der Berliner Funkausstellung
Albert Einstein 1930 auf der Berliner Funkausstellung | Bundesarchiv, Bild 102-10300 / CC BY-SA 3.0 DE

Albert Einstein liegt auf dem Schwielowsee und lacht sich kaputt. In der folgenden Radiogeschichte von Pascal Richmann spielen mit: Albert Einstein, Don Quijote, Frankenstein und der Gründer der Universal Studios, Carl Laemmle.
 

Carl Laemmle steht also im Studio und wartet. Er findet schon auch, dass Zeit relativ ist, KLARE SACHE, er merkt es ja grad selbst erst wieder, wie er dort vom linken Fuß auf den rechten tritt und auf den Einstein wartet. Carl Laemmle guckt auf die Uhr an seinem Arm. Carl Laemmle hat nicht direkt Angst, aber aufgeregt ist er. „Sollen sich auch alle schämen, die gedankenlos sich der Wunder der Wissenschaft und Technik bedienen und nicht mehr geistig davon erfasst haben als die Kuh von der Botanik der Pflanzen, die sie mit Wohlbehagen frisst“ – so formulierte der Einstein das vor Jahren im Radio oder, beziehungsweise, in Berlin, ACHTUNG, unter dem Funkturm. Carl Laemmle weiß schon auch Bescheid. Er muss sich nicht schämen, wenn er den Lichtschalter betätigt.

Am 18. Mai 1932 liegt Einstein auf dem Schwielowsee und lacht sich kaputt. Dass seine Initialen ein Ä ergeben, ist ihm bisher nicht eingefallen, aber jetzt, wo er darüber nachdenkt, sich ausbürgern zu lassen, fällt es Einstein ein. Wie jedesmal, wenn er segeln geht, trägt Einstein keine Schwimmweste. Er kann sich vieles vorstellen, aber nicht zu ertrinken. Einstein ist 53 Jahre alt. Sein Lieblingsspiel ist Die Siedler von Catan. Er hat sich entschieden, ein freundlicher Mensch zu sein. Er liest gern im Don Quijote.

Heute morgen erst ist er im Bett gelegen, ganz nackig ist Einstein dagelegen, ohne Hose, Unterhose, Hut, und hat das Buch in Richtung Decke gestemmt. Immer wieder liest er das Kapitel, wo die Ritterromane aus dem Fenster fliegen, weil Don Quijote Probleme hat. Angeblich kann er nicht unterscheiden zwischen Roman und Realität. Und Cervantes? Der zog, ohne seinen Quijote zu kennen, in die Seeschlacht von Lepanto. Krieg, nicht anders als die anderen, davor oder danach: „You who were with me in the ships at Mylae!“ Cervantes also, AUF HOHER SEE, dem eine Kugel in den Arm schlug, el manco de Lepanto, der seine linke Hand zum Ruhme seiner rechten verlor.

Ä mit AE, denkt Einstein und lacht und steuert zurück nach Caputh. Realität, denkt er, Schlacht und Ritterroman. Zuhause zieht Einstein sich um, um schick auszusehen neben seiner Frau im Zoopalast. In der S7 reden sie über Mary Shelley und Einstein ärgert sich, Frankenstein vor der Premiere kein zweites Mal gelesen zu haben, obwohl er das Buch doch mochte. Die Einsteins kaufen ein kleines Popcorn und essen es schnell auf, sie sind schon fertig, als im Projektor Carl Laemmles Triggerwarnung anspringt.

Der Mistgabeln und Forken wegen, die in der Schlussszene den Mond verdunkeln, träumt Einstein in dieser Nacht VOM FEUDALISMUS IN OSTFRIESLAND. Dort gibt es ein Radiogerät, das er alles fragen kann. Mein bester alter Freund und Knappe, denkt er einmal, ziemlich am Anfang des Traums. Selbstverständlich trägt Einstein es auf seiner Schulter, denn vom Design her ähnelt es einer Dohle. In Norddeich Mole, auf dem Weg zur Insel Norderney, erleben die beiden viele Abenteuer, die sie noch enger zusammenschweißen. Doch plötzlich, Einstein versteht es zuerst gar nicht, spricht das Radio anders. Wenn Sancho Panza vor seinem Herrn Quijote die Rolle des Knappen bloß spielt, weil es das ja immer braucht, Top und Bottom, Dick und Doof, dann hört er jetzt, plötzlich, damit auf. Es ist nämlich das KOMPLETT ASOZIALE, was ins Radio fährt. Es ist der Feudalernst, der sich durchgesetzt hat. Will Einstein zum Beispiel eine Fährverbindung wissen, wird das Radio komisch. Einstein hat den Eindruck, das Radio vertrete INTERESSEN, in diesem Fall die eines gutgenährten Fährmanns mit einem Boot aus Gold.

Carl Laemmle also, im Studio, wartend. Er fürchtet sich nicht. Smalltalk, er weiß das, entstand an der Frontier, bei Völkermord und Ackerbau. Der Mittlere Westen war zu weit, um zu schweigen. Wie das meiste, was man im Western sieht, hat es den wortkargen Cowboy nie gegeben. Carl Laemmle hasst Western. Carl Laemmles einziger Western heisst Im Westen nichts Neues. Stattdessen produziert er Horrorfilme. Er findet schon auch, dass Stories WIRKLICH sind, sobald sie aufgeschrieben werden, Blitzeinschlag und -ableiter, Frankenstein, Monstrum, das Wunderzeichen.

„Verehrte An- und Abwesende! Wenn ihr den Rundfunk höret, so denkt auch daran, wie die Menschen in den Besitz dieses wunderbaren Werkzeuges der Mitteilung gekommen sind. Der Urquell aller technischer Errungenschaften ist die göttliche Neugier und der Spieltrieb des bastelnden und grübelnden Forschers“ – so formulierte der Einstein das unterm Funkturm, alles vorgestellt und dann erst verwirklicht, Leichenfledderei, Listen, die abgeschnittenen Hände, wieder und wieder, Arithmetik, Mahnzeichen und auf dem Wasser schwimmen Blumen.