KI in Redaktionen Zwischen Tool und Zeitenwende

Eine Illustration, auf der ein in einer Hand gehaltenes Mikrofon dargestellt ist.
Illustration: © Ricardo Roa

KI transkribiert Interviews, sortiert Kommentare, glättet Formulierungen – und verändert damit still und leise, aber grundlegend den Alltag in Redaktionen. Wie sehr? Und was bedeutet das für ein Berufsbild, das auf Haltung, Urteilsvermögen und Verantwortung baut? Gregor Schmalzried, Journalist und Host des „KI-Podcasts“ beim Bayerischen Rundfunk, nimmt uns mit hinter die Kulissen. Lena Kronenbürger sprach mit ihm.

Herr Schmalzried, stellen wir uns vor, alle KI-Tools in Ihrer Redaktion würden morgen verschwinden. Wo würden Sie am meisten ins Schwitzen kommen? Welche redaktionellen Aufgaben würden ohne KI-Tools am schwierigsten zu bewältigen sein?

Es ist nicht so, dass bestimmte Dinge dann gar nicht mehr möglich wären. Vieles würde einfach viel länger dauern. Neulich hatte ich ein Problem mit meinem Touchpad und musste komplett über die Tastatur arbeiten. Das ist zwar möglich, macht aber keinen Spaß und ist ziemlich mühsam. So fühlt es sich ohne KI an: machbar, aber zäh und zeitraubend.

Viele sprechen von einer „Zeitenwende“ im Journalismus – ein Davor und Danach durch KI. Spüren Sie das auch?

Auf jeden Fall – oder sagen wir: Es gibt ein Vorher und es gibt ein Mittendrin. Die Anwendungen, die es vor ein paar Jahren gab, waren viel punktueller: etwa Transkriptionstools oder erste Versuche im sogenannten Roboterjournalismus, bei Spielberichten oder Börsentexten, also bei Inhalten, die auf strukturierten Daten basieren. Das hat funktioniert, war aber auf ganz bestimmte Aufgaben beschränkt. Und es wurde eher top-down organisiert: Einige haben geschaut, wo man das einsetzen kann, aber die meisten in der Redaktion hatten damit nichts zu tun. Was heute anders ist: Die Möglichkeiten stehen plötzlich allen zur Verfügung. Es ist kein Nischenthema mehr für Technikaffine oder Projektteams, sondern betrifft jede*n im Arbeitsalltag. Auch Kolleg*innen, die sich nie aktiv für KI interessiert hätten, müssen sich jetzt damit auseinandersetzen – weil sie merken, dass es in ihren konkreten Aufgaben relevant wird.

Gibt es Redakteur*innen, die den Einsatz von KI-Tools komplett ablehnen oder bewusst vermeiden?

Verweigerung ist selten. Viel öfter denken die Leute einfach nicht daran, was technisch möglich ist. Ein Kollege hat kürzlich einen Text nur abfotografiert und jemand anderes wollte das alles abtippen, ohne zu überlegen, dass man das Bild einfach einem Chatbot geben könnte. Solche Dinge sind vielen noch nicht bewusst, und das ist normal – es dauert, bis neue Arbeitsprozesse verinnerlicht sind.

Wie stark beeinflusst Ihrer Erfahrung nach das Alter der Redakteur*innen ihre Offenheit gegenüber KI-Tools?

Ich kenne ehrlich gesagt auch viele Jüngere, die erstaunlich weit hinten dran sind. Vielleicht, weil sie mit einem sehr klassischen journalistischen Selbstbild starten – rausgehen, mit Leuten reden, aufschreiben. Für die passt KI nicht rein. Andererseits sind es oft gerade die, die schon immer an ihren Workflows gebastelt haben, die sich jetzt leichter tun. Die hatten schon vor KI eigene Datenbanken, Tools, Routinen. Dieses Tüfteln ist ein guter Einstieg.

Was bedeutet es konkret für Redakteur*innen, wenn sie im Umgang mit KI-Tools zurückbleiben?

Ganz einfach: Man braucht länger für Aufgaben, die andere viel schneller erledigen. Noch wichtiger ist aber, dass man das Gefühl verliert, wie sich die Welt gerade verändert. Im Journalismus ist es essenziell, ein Gespür dafür zu haben, wie Menschen kommunizieren und welche Tools sie nutzen. ChatGPT ist inzwischen ein Massenmedium mit 800 Millionen wöchentlichen Nutzern und die fünftmeistbesuchte Website der Welt. Wer das ignoriert, verliert den Bezug zu dem, was die Menschen wirklich bewegt.

Beobachten Sie Unterschiede im Umgang mit KI zwischen Rundfunk- und Online-Redaktionen?

Es kommt nicht auf das Medium an, sondern auf die Strukturen. Ältere Medienhäuser mit Jahrzehnte alten Prozessen tun sich schwerer, neue Tools zu integrieren. Junge Produktionsfirmen bauen ihre Workflows heute gleich um KI herum auf. Das ist ein großer Vorteil.

KI kann täuschend echte Stimmen erzeugen, Deepfakes werden immer besser – es wird schwieriger zu erkennen, was echt ist. Was können Redaktionen tun, damit trotzdem Vertrauen bleibt?

Das ist die große Frage, nicht nur für Medien, sondern auch für Marketing, Werbung, eigentlich die ganze Content-Branche. Früher erklärte sich das Menschliche durch das Produkt selbst; heute kann jemand ohne jede Fachkenntnis so tun, als sei er Expert*in. Ich glaube, der Schlüssel heißt Perspektive – eine spürbar menschliche Perspektive. Die muss nicht Meinung sein, aber sie zeigt, wer da spricht. Beim KI-Podcast war uns genau das wichtig: Die Leute sollen unsere Stimmen kennen, wissen, wo wir herkommen. Video hat Gesichter, Audio hat Stimmen, Text ist da am schwersten, weil er erst mal tonlos ist. Aber auch da kann man Persönlichkeit zeigen: ein regionaler Akzent, ein bestimmtes Wort, der eigene Rechercheweg.

Wie wirkt sich der Wunsch der Leser*innen nach authentischen Stimmen und Perspektiven auf die Arbeitsweise von Redaktionen aus?

Die Reise geht ganz klar in Richtung Personalisierung – und zwar auf zwei Ebenen. Zum einen auf Nutzer*innenseite: Statt zu googeln und sich durch zehn Artikel zu klicken, sprechen Menschen direkt mit einem Chatbot. Der weiß, in welcher Stadt man sich befindet und vielleicht sogar, was man sonst noch so liest und gibt direkt eine Antwort. Ich persönlich lese schon noch Artikel, aber das ist für mich eher wie ein Buch – das mache ich aus Interesse, nicht wegen der Effizienz. Das wird seltener werden. Und auf der anderen Seite verändert sich auch, wer überhaupt noch Inhalte produziert – oder wie. Persönlichkeiten mit Haltung werden wichtiger. Menschen, deren Stimme man kennt, deren Perspektive man einordnen kann. Was dabei wegfällt, ist das Geschäft in der Mitte: diese klassischen Ratgebertexte, bei denen man früher etwas gegoogelt hat – „Was tun bei Sonnenbrand?“ oder „Wie funktioniert das?“ – Inhalte, bei denen völlig egal war, wer sie geschrieben hat. Da muss keine Meinung drin sein, keine Stimme, keine erkennbare Person. Genau das kann KI mittlerweile einfach besser.

In Redaktionen wird immer mehr mit KI gearbeitet. Denken Sie, dass das klassische Satz-für-Satz-Schreiben bald überflüssig wird?

Wenn man die Struktur und die Ideen vorgibt, kann die KI mittlerweile mit den richtigen Prompts Texte auf einem Niveau erzeugen, das für normale Nachrichtenartikel ausreicht. Bei Kolumnen oder besonderen Formaten sieht das natürlich anders aus. Dadurch stellt sich die Frage: Ist es künftig okay, wenn jemand das klassische Satz-für-Satz-Schreiben nicht mehr beherrscht, sondern stattdessen mit KI promptet und den Text anschließend redigiert? Für mich ist das in Ordnung.

Welche journalistischen Fähigkeiten kann KI Ihrer Meinung nach nicht ersetzen?

Bewerten – das ist eine Schwäche von KI. Sie akzeptiert oft alles als gut, ohne zu unterscheiden. Das ist frustrierend. Ich wünsche mir eine KI, die besser darin ist, gute von schlechten Ideen zu unterscheiden und nicht einfach alles unterstützend begrüßt, was ich vorschlage. Sie kann nicht entscheiden, ob sich ein Thema lohnt oder nicht. Genau das ist aber unser Job als Journalist*innen: diese Unterscheidung zu treffen, den Sinn für Relevanz und das Gespür dafür, was wirklich einen Unterschied macht.